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Heide Simonis: Die SPD-Frau, die den Bann brach


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Nachruf auf Heide Simonis
Sie konnte, was Männer nicht konnten

MeinungVon Gerhard Spörl

12.07.2023Lesedauer: 4 Min.
Heide Simonis, ehemalige Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, in ihrer Kieler Wohnung (Archivbild): Sie war die erste Frau in diesem Amt.Vergrößern des Bildes
Heide Simonis, ehemalige Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, in ihrer Kieler Wohnung (Archivbild): Sie war die erste Frau in diesem Amt. (Quelle: imago stock&people)

Heide Simonis war eine Pionierin, die erste Frau als Ministerpräsidentin. Zwölf Jahre lang regierte sie Schleswig-Holstein mit eher harter Hand.

Heide Simonis war eine humorbegabte Frau mit Sinn für Selbstironie und mit einem Gespür für die schwächeren Seiten der Mitmenschen. Bei Sozialdemokraten fand man damals mehr als heute die Verbindung von Ehrgeiz mit Skepsis, von Geltungsdrang mit innerer Vorsicht, weil ja aus dem Fenster stürzen kann, wer sich zu weit hinaushängt.

Politisch aktiv wurde sie in Schleswig-Holstein, einem nach wie vor merkwürdigen Biotop. Das Land gehörte damals der CDU, jedenfalls sah sie das selber so, was zweifellos damit zusammenhing, dass sie 38 Jahre lang regierte. Die SPD schien zu ewiger Opposition verdammt zu sein und verwandelte sich in eine hochmoralische Anstalt.

Ihr Ahnherr war ein Mann namens Jochen Steffen, der zahlreiche Schüler, von denen noch die Rede sein wird, nach seinem Bilde erzog. Konsequenz war sein Heiligtum. Eigensinnig, wie er war, trat er aus der Partei aus, als die SPD, wie er meinte, dem Kapitalismus verfiel. Danach verwandelte er sich in einen Kabarettisten.

So waren sie, die Sozialdemokraten hoch oben im Norden. Ein bisschen schräg und wundersam, zu Häutungen imstande, an die in Nordrhein-Westfalen oder dem Saarland niemand auch nur im Traum gedacht hätte. Bis Heide Simonis regieren durfte, mussten erst ein paar dieser Moralisten scheitern, und zwar an sich selber, was sie dann in Serie hinter sich brachten.

Plötzliches Ende der CDU-Regierung im Jahr 1987

Das unendliche Regieren der CDU endete mit einem unfassbaren Knall im Jahr 1987. Ministerpräsident Uwe Barschel verwickelte sich in die größte Affäre seit Bestehen der Bundesrepublik. Einer seiner Männer fürs Grobe öffnete sich dem "Spiegel" und erzählte von den Schweinereien, die er im Auftrag an dem SPD-Oppositionskandidaten Björn Engholm, dem ersten Steffen-Schüler, verrichtet hatte.

Barschel trat zurück und starb in einer Badewanne in einem Genfer Hotel. Wilde Geschichte, wohl wahr. Bis heute ist nicht überzeugend geklärt, ob er Suizid beging oder einem Mord zum Opfer fiel. Die einen sagen so, die anderen sagen so.

Das Opfer Björn Engholm war schnell ein heller Stern am Firmament. Pfeifenraucher, kunstsinnig, mit Günter Grass befreundet, erweckte er den Anschein, als sei ihm Politik nicht alles, was es in Wahrheit natürlich doch war. Bald war Engholm nicht nur neuer Ministerpräsident, sondern auch SPD-Vorsitzender und Kanzlerkandidat. Und er war es, der Heide Simonis aus dem Bundestag als Finanzministerin nach Kiel holte.

Mit dem schönen Schein war es rasch wieder vorbei, denn Engholm wurde bei einer wahrheitswidrigen Aussage im Barschel-Untersuchungsausschuss erwischt. Rücktritt in allen drei Funktionen. Kurz vorher war die Nummer 1 unter den Nachfolgern ebenfalls zwangsweise zurückgetreten.

Heide Simonis war eine Pionierin

Damit hatten sich die Moralisten selber erledigt und der Weg war frei für Heide Simonis, die nüchterne Politikern, die etwas von Zahlen verstand, was in der SPD damals noch weniger als heute verbreitet war. Ursprünglich wollte sie Mathematik studieren, begnügte sich dann mit Volkswirtschaft.

Man kann sich vorstellen, wie misstrauisch die Moralisten diese Frau beäugten, die keine der Ihren war, auch keine Gebürtige von hier oben. Erst das Studium hatte sie nach Schleswig-Holstein gelotst. Außerdem hatte sie einige Jahre fernab in Sambia und Japan gelebt. Sie wirkte nicht unbedingt weltläufig, aber sie war weit draußen gewesen und hielt folglich die Ostsee nicht für den tollsten Ozean und die Kieler Förde auch nicht für den Nabel der Welt.

Heide Simonis war eine Pionierin. Vor ihr zierten Frauen in allenfalls mittelschweren Ämtern ihre Regierungen. Eine Frau als Regierungschefin? Undenkbar. Aber sie durchbrach die Mauer, sie wurde als erste Frau Ministerpräsidentin eines Bundeslandes. Sie bahnte anderen Frauen den Weg und die historisch Interessierten in der nächsten Generation wissen es auch. Oft waren es übrigens Sozialdemokratinnen wie derzeit Manuela Schleswig oder Malu Dreyer.

Video | Ex-Ministerpräsidentin Heide Simonis ist tot
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Quelle: t-online

Der "Heide-Mörder" stieß sie aus dem Amt

Zwölf Jahre lang regierte Heide Simonis in Kiel, mal allein, mal in der Koalition. Sie besaß Ausdauer und Mut. Ihre Härte bekam die ÖTV zu spüren, als sie für die Bundesländer die Verhandlungen über Lohnerhöhungen im Öffentlichen Dienst führte. Gerhard Schröder, seines Zeichens Kanzler, ermahnte sie zu Kompromissen. Von wegen. Sie schaffte es, die Gewerkschaft von 9,5 Prozent auf 5,4 zu drücken. Nicht schlecht, oder? Daran könnten sich einige Verhandlungsführer, zum Beispiel der Bundesbahn, ein Beispiel nehmen.

Nun ist Schleswig-Holstein ein kleines, unberechenbares Land, jedenfalls politisch und besonders unter Einbezug der Sozialdemokraten. Im Jahr 2005 ging die Vorherrschaft der SPD, die immerhin 18 Jahre lang gedauert hatte, zu Ende. Die CDU stieg zur stärksten Fraktion auf. Trotzdem schien die Wiederwahl von Heide Simonis in der Koalition mit den Grünen und mit Unterstützung zweier Abgeordneten des Südschleswigschen Wählerverbandes sicher zu sein. War es aber nicht. Heide Simonis fehlte eine Stimme und wer es war, der sie meuchelte, weiß man bis heute nicht. Der "Heide-Mörder" läuft noch immer frei herum.

Simonis stand bereit, als sich die Männer verrannt hatten

Im Leben nach der Politik engagierte sich Heide Simonis für gute Zwecke, zum Beispiel für Unicef, und ging wieder in die Welt hinaus. Als die Taliban 2001 stürzten, reiste sie nach Kabul und besichtigte Projekte der Organisation in Schulen und Krankenhäusern. Vielleicht vermisste sie die Politik, aber dafür kam sie herum.

Aber das Leben, man weiß es, kann ein Verräter sein. Heide Simonis litt seit mehr als zehn Jahren an Parkinson, einer furchtbaren Krankheit, die den Menschen nach und nach ausknipst. Acht Tage nach ihrem 80. Geburtstag ist sie gestorben. Von ihr bleibt, dass sie eine Frau war, die anderen Frauen voranging und dass sie bereitstand, als sich die Männer verrannt hatten. Ziemlich gute Lebensbilanz, oder?

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen und Recherchen
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