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Gesundheitsminister Lauterbach muss Revolution bei Krankenhausreform aufgeben


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Krankenhausreform
Lauterbach muss seine Revolution abblasen


Aktualisiert am 11.07.2023Lesedauer: 5 Min.
Karl Lauterbach: Er will die Krankenhausversorgung in Deutschland verbessern. Aber ob ihm das gelingt?Vergrößern des Bildes
Karl Lauterbach: Er will die Krankenhausversorgung in Deutschland verbessern. Aber ob ihm das gelingt? (Quelle: dpa/Jörg Carstensen)
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Der Gesundheitsminister und die Länder haben sich auf Eckpunkte der Krankenhausreform geeinigt. Vieles wird sich für Patienten ändern. Doch der ganz große Wurf bleibt aus.

Eine Revolution hatte Karl Lauterbach Ende 2022 vollmundig versprochen. Die deutsche Krankenhauslandschaft sollte umgekrempelt werden, kündigte der SPD-Bundesgesundheitsminister da an: Schluss mit den Fallpauschalen, durch die Kliniken sich finanzieren müssen und durch die sie stärker auf stationäre als ambulante Eingriffe setzen, auf Quantität statt Qualität. Schluss mit unnötigen Operationen, mit überflüssigen Klinikaufenthalten, Schluss auch mit dem "Hamsterrad", mit völlig überlastetem Personal. Schluss mit Kliniken, die für die Eingriffe, die sie vornehmen, nicht gut qualifiziert sind. Schluss mit unnötigen Toten.

Als Lauterbach am Montag vor die Presse tritt, um nach Monaten des Streits mit den Ländern endlich Eckpunkte für die Reform zu präsentieren, wählt er andere Worte. "Es ist eine Art Revolution", sagt er. Keine wirkliche Revolution also, nur so etwas ähnliches, eine "Art". Die drei Buchstaben mehr aber zeigen gut an, wie viel von Lauterbachs Plänen schon jetzt auf der Strecke geblieben ist.

Angst vor fliegenden Tomaten

Das liegt vor allem an den Gesundheitsministern der Länder – und an einer ganz natürlichen Rollenverteilung. Manfred Lucha (Grüne), Gesundheitsminister in Baden-Württemberg, erklärt sie am Montag so: Der Bund komme von einer "höheren Flughöhe", habe das große Ganze im Blick. Bei den Ländern hingegen liefen die Bürgermeister und Bürger auf – "bei uns gibt es Tomatenflug".

Was Lucha meint: Krankenhäuser sind ein wichtiges Thema für die Landes- und Kommunalpolitik, in einer völlig anderen Dimension als für den Bund. Wo immer eine Klinik geschlossen werden soll, wo immer sich die Fahrtwege zur nächsten Notaufnahme verlängern, protestieren Bürger. Für Politiker ein Riesenproblem.

Spätestens als Lauterbachs Pläne durchsickerten, auf Zentralisierung und Spezialisierung von Kliniken zu setzen, um die Qualität zu erhöhen, war der Aufschrei in den Boulevard-Medien groß. Denn das hätte eben auch bedeutet, dass sich die Fahrtwege ins Krankenhaus für viele Bürger verlängern und dass in vielen Kliniken die Notaufnahme ganz gestrichen worden wäre.

Ab diesem Punkt betonten die Länder, dass Krankenhauspolitik ihre Sache sei. Der Bund darf mitspielen, am Tisch sitzen. Aber das Ruder übernehmen? Auf keinen Fall.

Lauterbach gab das Ruder aus der Hand

Experten kritisieren, Lauterbach habe das Ruder rasch und willig aus der Hand gegeben. Nur so aber dürfte es ihm gelungen sein, am Montag überhaupt eine Einigung zu erzielen und die erste Reform seit Jahrzehnten auf den Weg zu bringen. 14 Länder stimmten für die Eckpunkte, Schleswig-Holstein enthielt sich, nur Bayern stimmte dagegen.

Lauterbach spricht von einem "sehr ehrbaren Ergebnis". Andere Politiker, die mit am Tisch gesessen haben, sagen, die Ampelkoalition habe diesen Erfolg nach der Pleite ums Heizungsgesetz wohl unbedingt gebraucht. Und alles dafür getan.

Noch ist, was da erarbeitet wurde, kein fertiges Gesetz, nicht einmal ein Gesetzentwurf. Es sind Eckpunkte, an denen über die Sommerpause noch gearbeitet wird. Sie sind an vielen, vor allem den strittigsten Punkten, vage gefasst. Was sie an Veränderung für die Bürger bringen, lässt sich deswegen noch nicht mit Sicherheit sagen.

Was bisher vorgesehen ist:

  • Von den Fallpauschalen werden sich die Krankenhäuser nicht ganz lösen, aber zu einem großen Teil. In Zukunft sollen sie sich zu 60 Prozent über sogenannte Vorhaltepauschalen finanzieren. Das bedeutet: Egal, wie viele Operationen sie machen – die 60 Prozent sind ihnen sicher. Es ist ein wichtiger Hebel, um ökonomischen Druck aus dem System zu nehmen. Operationen, die nur des Geldes wegen durchgeführt werden, soll es nicht mehr geben, so die Hoffnung. Auch das Personal soll das maßgeblich entlasten. "Der Hamsterrad-Effekt ist damit weg", sagt Lauterbach.
  • Nicht mehr jedes Krankenhaus soll jeden Eingriff vornehmen dürfen. Krebspatienten zum Beispiel sollen nur noch in zertifizierten Häusern behandelt werden können. Ein wichtiger Schritt, der viele Leben retten kann. Brustkrebspatientinnen zum Beispiel haben eine fast 25 Prozent höhere Überlebenschance, wenn sie sich in einem zertifizierten Zentrum erstbehandeln lassen, wie eine Untersuchung im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums ergab.
  • Soweit wie ursprünglich von Lauterbach geplant wird die Zentralisierung und Spezialisierung im Namen der Qualität aber nicht gehen. Die Länder behalten das Sagen – und lehnen schon die Einteilung der Krankenhäuser in bundesweit gleiche Level ab. Statt sich dem Bund zu beugen, darf jedes Land seine eigenen Kriterien und Begriffe verwenden und selbst entscheiden, wie es die Häuser einteilt. In diesem wichtigen Punkt scheint bisher zu gelten: Jeder weiter, wie er will.
  • Kleine Krankenhäuser auf dem Land sind vor Schließungen sicher. Das war eine der großen Sorgen in den Ländern. "Die Reform wird die kleinen Kliniken, die wir benötigen auf dem Land für die bedarfsgerechte Versorgung, erhalten", verspricht Lauterbach. Die Vorhaltepauschalen sollen ihnen helfen zu überleben. Vor allem deshalb haben Lauterbach zufolge auch die ostdeutschen Bundesländer den Eckpunkten zugestimmt.
  • Trotzdem werden Kliniken in die Insolvenz gehen und schließen. Das hat nichts mit der Reform zu tun. Höchstens damit, dass sie zu spät kommt. Grund ist die missliche Lage, in der sich die Häuser nach Corona- und Energiekrise befinden. Ein Großteil der Häuser schreibt rote Zahlen, bis Ende des Jahres droht einigen die Insolvenz. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft warnt vor einem "unkontrollierten Krankenhaussterben", auch von kleinen Häusern auf dem Land, wenn der Bund nicht jetzt sofort Geld nachschießt. Lauterbach aber sieht dafür keinen Spielraum und verweist auf den gebeutelten Bundeshaushalt. "Ich kann da keine Hoffnung machen, wir können nur prüfen." Bis die Reform wirke, würden Kliniken in die Insolvenz gehen, gesteht er ein.
  • Für Patienten soll transparenter werden, wie die Qualität der Behandlungen in den Kliniken ist. Auf einer Homepage sollen sie in Zukunft zum Beispiel sehen können, wie oft ein Krankenhaus bestimmte Eingriffe durchführt und wie häufig es dabei zu Komplikationen kommt. So sollen Bürger besser entscheiden können, in welches Krankenhaus sie für welchen Eingriff fahren. Die Länder aber verweigern sich Lauterbachs Transparenzinitiative, sie fürchteten wohl negative Konsequenzen für die Krankenhäuser. Lauterbach will die Transparenz deswegen vom Bund aus schaffen und dafür nach dem Sommer ein eigenes Gesetz vorbereiten.
  • Steigen die Kosten für die Krankenkassen für Bürger wegen der Reform weiter? Das ist unklar. Viele Eingriffe, die vorher stationär erbracht wurden, sollen in Zukunft ambulant gemacht werden, sagt Lauterbach. "Das System wird effizienter" und solle deswegen "kostendämpfend" wirken. Der Verband der Ersatzkassen aber warnt: Die Pläne von Bund und Ländern seien nicht "erlösneutral". Die Reform werde zu deutlichen Mehrkosten und deswegen auch zu Beitragserhöhungen führen.

Über den Sommer will Lauterbach gemeinsam mit mehreren Ländern – darunter Hamburg, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen – einen Gesetzentwurf erarbeiten. Nach seinen Plänen soll die Reform am 1. Januar 2024 in Kraft treten.

Wie viel dann von seiner Revolution übrig geblieben ist, wird sich zeigen.

Verwendete Quellen
  • Eckpunkte für die Krankenhausreform von Bund und Ländern
  • Pressekonferenz von Bund und Ländern am 10. Juli
  • Eigene Recherchen
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