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Flüchtlingsgipfel: Migrationsforscher warnt vor wachsendem Frust


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Migrationsforscher warnt
"Das ist absurd"

  • Annika Leister
InterviewVon Annika Leister

Aktualisiert am 09.05.2023Lesedauer: 4 Min.
Ukrainische Flüchtlinge am Frankfurter Hauptbahnhof (Archivbild).Vergrößern des Bildes
Flüchtlinge am Frankfurter Hauptbahnhof (Archivbild): 2022 kam der größte Teil der Geflüchteten aus der Ukraine. (Quelle: Boris Roessler/getty-images-bilder)
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Vor dem Flüchtlingsgipfel am Mittwoch spitzt sich der Streit zwischen Bund und Ländern zu. Migrationsforscher Hannes Schammann warnt vor unrealistischen Beschlüssen und wachsendem Frust.

Die Kommunen schlagen seit Monaten Alarm: Sie müssten zu viele Flüchtlinge aufnehmen, zugleich komme zu wenig Unterstützung aus der Bundespolitik, heißt es von ihnen. Am Mittwoch treffen sich Bund und Länder deswegen zum Flüchtlingsgipfel. Doch die Fronten sind verhärtet, die Stimmung ist schlecht.

Der Migrationsforscher Hannes Schammann befürchtet, dass der Gipfel nicht nur nichts verbessern wird, sondern die Situation sogar verschlechtern kann. Ein Gespräch über schädliche Forderungen und Phantomdebatten.

Zur Person

Hannes Schammann ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Migrationspolitik an der Universität Hildesheim und leitet dort die Migration Policy Research Group. Ein Fokus seiner Forschung liegt dabei auf der Rolle von Kommunen. Vor seiner Professur hat er zu migrations- und integrationspolitischen Themen unter anderem bei der Robert Bosch Stiftung und im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gearbeitet.

Herr Schammann, seit Monaten schon schlagen Kommunen und Landkreise Alarm, dass sie zu viele Flüchtlinge aufnehmen müssen und nichts mehr geht. Sind die Klagen berechtigt?

Das Problem ist nicht, dass uns gerade unerwartet viele neue Flüchtlinge erreichen. Die höchste Zahl kam in den Monaten direkt nach Russlands Überfall auf die Ukraine, also bis zum Herbst 2022.

Was ist dann das Problem?

Wir haben gerade eine schwierige Mischung: Viele der Ukrainerinnen und Ukrainer haben zuerst bei Freunden, Familie und hilfsbereiten Privatpersonen gelebt, müssen jetzt aber von den Kommunen untergebracht werden. Zugleich steigen die Zahlen anderer Asylbewerber – wie nach der Pandemie zu erwarten – wieder an. Dieser Mix bringt viele Kommunen gerade bei der Unterbringung an den Rand ihrer Kapazitäten.

Stehen alle Kommunen vor denselben Problemen?

Keinesfalls. Das Bild ist sehr uneinheitlich. Es gibt auch viele Kommunen, die nicht nur klagen und sogar mehr Flüchtlinge aufnehmen, als sie müssten.

Ein Beispiel aus der Praxis, wo es besonders gut läuft?

In Düsseldorf sind wie in fast allen Ballungsräumen Wohnungen knapp. Trotzdem erfüllt die Stadt nicht nur ihr Soll, sondern geht sogar darüber hinaus. Das hat unter anderem damit zu tun, dass Düsseldorf ein Amt eingerichtet hat, dass alle Beteiligten der Verwaltung unter einem Dach vereint.

Wie kann das sein?

Einige Kommunen haben aus der Flüchtlingskrise 2015/2016 gelernt. Sie haben verstanden, dass es schlecht für sie ist, wenn sie passiv bleiben und warten, bis der Bus kommt. Sie arbeiten vorausschauend und haben Abläufe in ihren Behörden verändert. Selbst aktiv werden – das ist der wichtigste Punkt.

Warum tun das nicht alle?

Das fürchterlich komplexe Asylrecht in Deutschland sieht eine aktive Rolle für die Kommunen auf den ersten Blick nicht vor. Aber der Bund ist eben auch nicht für alles zuständig. Kommunale Behörden managen die Unterbringung, die Integration. Sie müssen sich aber entscheiden: Reagieren sie bloß auf die tagesaktuelle Situation oder werden sie strategisch aktiv?

Das zaubert allerdings keine neuen Wohnungen.

Aber es verkürzt Wege, spart Zeit und hilft, den Überblick zu behalten. Deshalb hilft es auch bei der Wohnraumfrage. So kann man Gebäude rechtzeitig ankaufen oder anmieten.

Am Mittwoch treffen sich Bund und Länder zum Flüchtlingsgipfel. Die Länder fordern vor allem mehr Geld, der Bund will nicht mehr geben. Würde das überhaupt helfen?

Mehr Geld hilft immer. Es ist allerdings auch die einfachste politische Forderung – und bei Weitem nicht die wichtigste. Sehr viel wichtiger wäre es beispielsweise, die Ausländerbehörden zu entlasten.

Wie?

Man sollte ihnen, wenn möglich, mehr Personal geben, zur Not per Amtshilfe aus anderen Abteilungen zuweisen. Und wir brauchen dringend mehr digitale Lösungen und eine Entrümpelung des Migrationsrechts. Die Ämter müssen immer wieder dieselben Fälle prüfen, obwohl sich bei denen gar nichts verändert. Das ist absurd und verstopft das System.

Der letzte Flüchtlingsgipfel endete im Streit. Auch jetzt sind die Fronten schon verhärtet. Was erhoffen Sie sich von dem Gipfel am Mittwoch?

Es braucht jetzt unbedingt ein starkes Signal, dass man an einem Strang zieht. Dass Bund und Länder pragmatisch diskutieren und Zuständigkeiten anerkennen. Weil das seit Monaten nicht passiert, entsteht der Eindruck: Das politische System schafft es nicht. Das ist fatal. Wenn der Gipfel jetzt noch unrealistische Forderungen beschließt, verstärkt das den Effekt noch.

Was meinen Sie damit?

Schon jetzt wird vor allem gefordert und versprochen, die irreguläre Migration einzudämmen. Aber dieses Versprechen ist kurzfristig nicht erfüllbar, es liegt schlicht nicht allein in Deutschlands Macht. Der gewünschte Effekt wird also nicht eintreten – und das wird den Frust weiter schüren.

Die EU will seit Langem das Gemeinsame Europäische Asylrecht (GEAS) reformieren. Bisher ohne Ergebnisse. Gibt es da überhaupt Hoffnung?

Die Positionen der EU-Staaten gehen nach wie vor weit auseinander. Es wird sich wohl kein gemeinsamer Weg finden lassen. Man müsste eigentlich anerkennen: Das ist nicht zu schaffen. Dann könnte man mit dem weiterarbeiten, was realistisch ist: ein Europa, das neue Regeln in unterschiedlichen Geschwindigkeiten umsetzt. Oder mit kleineren Gruppen von Ländern arbeiten, die sich einig sind.

Vorschläge, die zurzeit prominent diskutiert werden, sind vor allem: mehr Zäune an den Außengrenzen der EU, mehr Kontrollen an den Grenzen im Inneren.

Beides wird wenig bringen, fürchte ich. Wo Waren wandern, wandern auch Menschen, das ist eine einfache Regel. Das werden auch Zäune und Kontrollen nicht ändern. Es sind also eher symbolische Handlungen, die noch dazu eine Gefahr bergen: Wird das Grenzregime zu streng ausgeübt, stehen Lkw im Stau, kommen Güterzüge nicht mehr pünktlich. Der Protektionismus kann so nicht nur der Freizügigkeit in der EU schaden, sondern auch der Wirtschaft.

Wie wichtig ist das Versprechen von mehr Abschiebungen, das der Kanzler und die Innenministerin immer wieder geben?

Es ist durchaus legitim zu sagen: Wir müssen Abschiebungen durchsetzen. Aber das zu einem Heilsversprechen zu machen, ist falsch. Von den knapp drei Millionen Schutzsuchenden in Deutschland können schätzungsweise nur zwei Prozent tatsächlich ausgewiesen werden. Sollen die Ausländerbehörden darauf jetzt einen Schwerpunkt legen, dann kostet sie das große Kraft, denn die Verfahren sind komplex. Die Wirkung dagegen wird man nicht spüren. Man sollte Geld und Zeit lieber in andere Bereiche investieren.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Hannes Schammann
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