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Grünen-Parteitag: Eine einzige Zumutung


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Grünen-Parteitag
Eine einzige "Zumutung"

  • Johannes Bebermeier
Von Johannes Bebermeier, Bonn

16.10.2022Lesedauer: 6 Min.
Annalena Baerbock auf dem Parteitag der Grünen in Bonn: Zufrieden in der Zumutung.Vergrößern des Bildes
Annalena Baerbock auf dem Parteitag der Grünen in Bonn: Zufrieden in der Zumutung.
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Die Grünen regieren in der Krise und müssen schwierige Entscheidungen treffen. Die Partei scheint sich in dieser Rolle zu gefallen.

Es ist kurz vor 22 Uhr am Freitagabend, da täuscht Steffi Lemke die Kontroverse zumindest kurz mal an. Nicht, dass es noch langweilig wird. "Was der Bundesvorstand hier vorgelegt hat, ist eine Zumutung", sagt die grüne Umweltministerin. "Auch für mich."

Als sie ihr Amt angetreten habe, sei sie "felsenfest davon ausgegangen", dass am Ende des Jahres Schluss sei mit der Atomkraft. "Jetzt stehe ich hier vor einem Grünen-Bundesparteitag und werbe um eure Zustimmung für diese Zumutung."

Zumutung? Nun ja. Die Zustimmung der Partei zum Atomkurs ist am Freitag dann jedenfalls übergroß. Genau wie am Samstag bei der Frage, ob und wie energisch man Waffen in die Ukraine liefern sollte (Antwort: Ja, sollte man, und zwar "verstärkt"). Und am Sonntag, als es um die Zumutungen für die Klimabewegung geht, scheitert der Widerstand ebenfalls. Wenn auch sehr knapp.

Parteitage dienen immer und überall dazu, dass sich Parteien ihrer selbst versichern: Wer sind wir? Warum gibt es uns? Und was wollen wir eigentlich? Das sind so die typischen Fragen.

In Bonn auf dem Bundesparteitag der Grünen am Wochenende zeigt sich jedoch, dass es für sie gerade zwei noch wichtigere Fragen gibt. Sie lauten: Wie staatstragend sind wir? Und wie sehr leiden wir darunter? Die vorläufigen Antworten: Sehr, sehr staatstragend. Und: Gar nicht so sehr, wie man vermuten könnte. Zumindest ist die behauptete Zumutung an diesem Wochenende oft deutlich gewaltiger als die tatsächliche Kontroverse auf der Bühne. Nicht nur bei Steffi Lemke.

Es hätte alles auseinanderfliegen können

Dabei ist es ja wahr: Die Grünen regieren jetzt, und das in Zeiten, in denen sich die Krisen nicht abwechseln, sondern auftürmen zu einem großen Krisenhaufen. Und deshalb müssen sie jetzt schwierige Entscheidungen in Serie treffen.

Die Anti-AKW-Partei lässt wahrscheinlich Atomkraftwerke länger laufen. Die Friedenspartei genehmigt Waffenexporte, nicht nur in die Ukraine, sondern sogar nach Saudi-Arabien. Und die Klimapartei baggert das Dorf Lützerath ab, um mehr Kohle verbrennen zu können.

Es wäre nicht sonderlich verwunderlich gewesen, wenn der Parteitag an all diesen Debatten auseinandergeflogen wäre. Doch das passiert nicht.

Stattdessen ist der Applaus der Delegierten in Bonn immer dann am größten, wenn Vizekanzler Robert Habeck die Stimme bricht bei solchen Sätzen: "Nie habe ich mich so zuhause gefühlt wie in dieser Phase, und nie war ich so stolz auf diese Partei." Oder wenn Parteichef Omid Nouripour Dinge sagt, die früher nur auf CDU-Parteitagen zu ähnlicher Ekstase geführt hätten: "Ja, wir tragen diesen Staat!"

Das neue Erfolgsrezept für eine Rede auf einem Grünen-Parteitag geht dann auch in etwa so: Es ist alles sehr schwierig, wir machen auch Fehler, aber es ist eben alles notwendig, und es ist gut, dass wir es tun, denn sonst tut es niemand. Wir müssen "unserer Annalena und unserem Robert" den Rücken stärken. Ach ja, und Friedrich Merz ist doof. Abgang, tosender Applaus.

Eine Atom-Zumutung – für Lindner

Bei der Debatte um die Atomkraft am Freitag führt das dazu, dass die einst regierungskritischen Grünen sich nun unbedingt auf die Regierungsposition festlegen wollen. Jedenfalls die Position, die für sie in der Ampel längst vereinbart ist: Die zwei südlichen Meiler laufen bis Mitte April 2023 weiter, wenn sie gebraucht werden.

Dabei hilft den grünen Ministerinnen und Ministern in der Debatte eher, dass FDP-Chef Christian Lindner die Ampel nun drängen will, ein paar mehr Atomkraftwerke deutlich länger laufen zu lassen. Der gelbe Spaltpilz führt dazu, dass sich die grünen Reihen schließen, so sehen es einige in Bonn.

Ein angekündigter Aufstand des früheren Umweltministers Jürgen Trittin jedenfalls wird abgeblasen und geht weitgehend im Beschluss des Bundesvorstands auf, der die Bedingungen des Reservebetriebs nun haarklein ausbuchstabiert.

Die Grünen wollen das als Zeichen verstanden wissen an Lindner – und als Druckmittel für ihren Robert in den Verhandlungen. Die soll es dem Vernehmen nach an diesem Sonntag zwischen Habeck, Lindner und Kanzler Olaf Scholz und womöglich am Montag in einem Koalitionsausschuss geben.

Die Zeit drängt, Dienstag soll alles in den Bundestag. Doch ein Zugeständnis an die FDP, so ist in Bonn von mehreren Grünen zu hören, ist für sie höchstens bei ganz anderen Themen denkbar. Bei der Atomkraft? Nein, danke.

Insofern scheint die atomare Zumutung dieses Wochenendes am Ende für Lindner ironischerweise größer zu sein als für die Anti-AKW-Partei. Was auch daran liegen mag, dass viele Grüne längst eingesehen haben, dass dreieinhalb Monate länger Kernspaltung ohne neue Brennstäbe das Endlager nun buchstäblich nicht mehr fett machen.

Baerbocks waghalsige Begründung

Bei der Frage, ob Rüstungsexporte an Saudi-Arabien trotz Jemen-Krieg okay sind, ist die Lage anders. Als vor einigen Wochen bekannt wurde, dass Außenministerin Annalena Baerbock und Robert Habeck im Bundessicherheitsrat zugestimmt hatten, an das Regime zu liefern, reichte es vielen Grünen mit der "Zeitenwende" dann doch.

Ein breites Bündnis aus Realos und Linken versammelte sich hinter einem wütenden Gegenantrag für diesen Parteitag. In ihm war die Entscheidung ziemlich unverhohlen zum Fehler erklärt worden. Mehr noch: Die eigenen Leute wurden deutlich aufgefordert, das doch künftig bitte zu lassen. Auch in komplizierten Fällen wie diesem.

Denn das Argument von Baerbock, das sie am Samstag in der Debatte erneut vorträgt, lautet: Es handelt sich um Altverträge der Vorgängerregierung, und vor allem um Gemeinschaftsprojekte mit europäischen Partnern. Da könne man nicht so einfach raus, sonst drohten Strafzahlungen. Und Baerbock will ohnehin das Gegenteil: mehr europäische Rüstungszusammenarbeit, was unter Grünen auch umstritten ist.

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In ihrer Rede begründet Baerbock das dann mit der waghalsigen Behauptung, sie wolle ja nicht, dass man ohne solche Kooperationen "noch mehr im sozialen Bereich sparen" müsse und die Bundesregierung "keine Mittel mehr hat für die Kinder". Waffen an die Saudis, damit es unseren Kindern gut geht? Da schütteln manche Grüne anschließend dann doch mit dem Kopf.

Mitinitiatorin und Bundestagsabgeordnete Jamila Schäfer sagt in ihrer Rede, sie halte die Entscheidung "für falsch". Eine weitere Grüne ruft Baerbock zu: "Wenn jemand sagt, 'vertragliche Verpflichtungen', dann sage ich: Bullshit!"

Doch der Aufstand bleibt auch hier aus. Der Bundesvorstand will einen offenen Konflikt auf dem Parteitag vermeiden, also baut man Teile des Antrags der Kritiker in den eigenen mit ein. Der liest sich anschließend allerdings doch deutlich zahmer – und lässt der Bundesregierung weiterhin große Spielräume.

Das Jammern den anderen überlassen

Am Sonntag dann geht es um die Zumutungen beim Klimaschutz – und es wird erstmals knapp. Das liegt an Lützerath, dem inzwischen ausgeräumten Dorf, das RWE abbaggern will für die Kohle im Boden. Wirtschaftsminister Habeck und die nordrhein-westfälische Landesregierung haben dem zugestimmt. Im Gegenzug soll dort der Kohleausstieg schon 2030 und nicht erst 2038 kommen – und alle anderen Dörfer sollen bleiben dürfen.

Die Klimaaktivisten sind trotzdem wütend, die Grüne Jugend fordert in einem Antrag ein Moratorium und eine erneute Prüfung, ob die Kohle dort wirklich gebraucht wird. Es gibt Zweifel an den eiligen Zahlen und Gutachten.

"Wir haben für den Klimaschutz in den letzten Monaten weiß Gott nicht nur Hilfreiches beschlossen", gesteht Umweltministerin Lemke ein. "Dafür ist Lützerath das heftigste Symbol." Doch mit dem Kompromiss blieben eben 280 Millionen Tonnen Braunkohle in der Erde.

Bei Klimaaktivistin Luisa Neubauer klingt diese Rechnung ein wenig anders. 280 Millionen Tonnen Kohle dürfe RWE mit dem Deal eben auch noch aus dem Boden holen, 50 Millionen dürften es für das 1,5-Grad-Ziel aber nur noch sein. "Ziemlich einfache Rechnung", sagt sie.

Doch die Unterstützer des Deals berufen sich einmal mehr auf schwierige Notwendigkeiten. Man könne sich bei sowas eben nicht nur die Rosinen rauspicken, lautet das Hauptargument. Wenn Lützerath bleibe, gebe es eben keinen Kohleausstieg 2030 und aus anderen Dörfern würden rund 500 Bewohner vertrieben.

Parteichefin Ricarda Lang sagt: "Wenn die Entscheidung ist, etwas zu tun, was nicht perfekt ist oder gar nichts zu tun, dann werden wir uns für die nicht perfekte Lösung entscheiden."

Der aufgebrachte nordrhein-westfälische Umweltminister Oliver Krischer formuliert es etwas undiplomatischer. "Ich bin verdammt noch mal leid, mich dafür zu entschuldigen", ruft er. "Das ist der größte Erfolg der Grünen in der Kohlepolitik!" Landwirtschaftsminister Cem Özdemir sagt: "Überlassen wir bitte das Jammern den anderen, das können die besser."

Am Ende sind 294 Grüne trotzdem nicht überzeugt. Doch die Mehrheit, 315 Delegierte, stimmt selbst für diese Zumutung.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Gespräche beim Grünen-Bundesparteitag in Bonn
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