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Christian Lindner: Schuldenbremse könnte im Notfall ausgesetzt werden


Haushaltsentwurf im Bundestag
Lindner: Schuldenbremse könnte im Notfall ausgesetzt werden

Von dpa
06.09.2022Lesedauer: 4 Min.
Finanzminister Lindner: Die Union wirft ihm vor, eine Mogelpackung vorzulegen.Vergrößern des Bildes
Finanzminister Lindner: Die Union wirft ihm vor, eine Mogelpackung vorzulegen. (Quelle: IMAGO/Bernd Elmenthaler)

Die Union spricht von Mogelpackung, der Rechnungshof bemängelt Verschleierung: Finanzminister Lindners erster Haushaltsplan liegt nun dem Bundestag vor.

Es ist Christian Lindners Erstlingswerk als Finanzminister: Sein Ministerium hat nun den Haushaltsentwurf für das kommende Jahr vorgelegt. Den Haushalt für 2022 hatte sein Vorgänger, der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), noch vorkonzipiert.

Was Lindner daran besonders wichtig ist: Trotz neuer Herausforderungen durch den Ukraine-Krieg, trotz Energiekrise, hoher Preise und Entlastungspaketen soll der Bund nicht mehr Schulden machen, als das Grundgesetz erlaubt. Die Schuldenbremse, so betont es Lindner seit Monaten, müsse unbedingt eingehalten werden.

Lindner: Behalte mir Ultima Ratio vor

Nun hat er allerdings in einem Interview eine Ausnahme eingeräumt. In einer Notsituation könnte es unvermeidlich sein: "Wenn die Lage es erforderlich macht und die Verfassung es erlaubt, dann behalte ich mir diese Ultima Ratio vor", sagte der FDP-Chef der "Süddeutschen Zeitung".

Für ihn wäre es jedoch kein hinreichender Grund, die Schuldenbremse auszusetzen, "weil man kein Geld für Vorhaben eines Koalitionsvertrags hat", betonte Lindner weiter. Dies möge dann "politisch eine Katastrophe sein, im Sinne der Schuldenbremse ist es keine", stellte er klar.

In den vergangenen drei Jahren hatte der Bundestag wegen der Corona-Krise eine Ausnahmeregel der Schuldenbremse in Kraft gesetzt. Die Folge: 130,5 Milliarden Euro neue Kredite im Jahr 2020; 215,4 Milliarden Euro im Jahr 2021 und bis zu 138,9 Milliarden Euro neue Schulden in diesem Jahr.

Die wichtigsten Daten und Fakten zu den Etatplänen des FDP-Chefs:

Wirtschaftliche Ausgangslage

Durch den russischen Krieg in der Ukraine und gedrosselte Gaslieferungen sind die Energiepreise in die Höhe geschossen. Die Inflationsrate kratzt inzwischen an acht Prozent, sogar Lebensmittel sind deutlich teurer geworden. Der private Konsum als wichtige Stütze der Konjunktur wird ausgebremst.

Zugleich aber nimmt der Staat wieder mehr Steuern ein als in den Jahren mit Corona-Lockdowns. In den ersten beiden Quartalen konnte sich die Wirtschaft aufrappeln – jetzt allerdings rechnen Experten erneut mit einem Einbruch.

Das Etatvolumen

Lindner plant für das kommende Jahr Ausgaben von 445,2 Milliarden Euro. Das sind rund 100 Milliarden weniger als 2021, als unter anderem noch Unternehmen durch die Pandemie gerettet werden mussten. "Wie ist dieses Ergebnis erreicht worden? Durch Konsolidierung", erklärte der 43-Jährige seine Zahlen. In sieben Einzelplänen, also etwa Ministerien, stehe jetzt weniger Geld zur Verfügung. 3.000 Stellen sollen eingespart werden.

Er habe bei seinen Kabinettskollegen einiges an Überzeugungsarbeit leisten müssen, gab Lindner zu verstehen. Der Bundesrechnungshof wirft ihm allerdings vor, das Bild zu verzerren: Milliardenschwere Ausgaben für Klima und Transformation, Digitales und die Bundeswehr kämen im Etat gar nicht vor, weil sie über Sondervermögen liefen.

Die Schuldenbremse

Auf dem Papier wird sie wieder eingehalten. Die Regelung im Grundgesetz schreibt dem Bund keine Null-Schulden-Politik vor, sondern erlaubt abhängig von der Wirtschaftslage Kredite in geringem Umfang. Das schöpft Lindner mit 9,9 Milliarden Euro voll aus. Allerdings werden auch 7,3 Milliarden Euro Darlehen für die gesetzliche Krankenversicherung und den Internationalen Währungsfonds (IWF) über neue Schulden finanziert, die der Finanzminister nicht auf die Schuldenbremse anrechnen muss. Ergibt eine Nettokreditaufnahme von 17,2 Milliarden Euro.

Damit das ausreicht, greift Lindner zusätzlich in eine alte Rücklage, die der Bund für Flüchtlingskosten angespart hatte. 40,5 Milliarden Euro sollen 2023 daraus entnommen werden – viel mehr als geplant, was dazu führt, dass für die Folgejahre nur noch etwas mehr als sieben Milliarden Euro übrig sind.

Der Rechnungshof wirft Lindner auch hier Verschleierung vor: Bei der echten Nettokreditaufnahme müsse die Rücklage genau wie Kredite der Sondervermögen berücksichtigt werden. Sie betrage damit eigentlich 78 Milliarden Euro, mehr als viermal so viel wie im Etat angegeben.

Investitionen

Die Ausgaben für Investitionen bleiben mit mehr als 50 Milliarden auf vergleichsweise hohem Niveau. Größter Block ist der Verkehr. Mehr Mittel eingeplant sind für das Elterngeld, sozialen Wohnungsbau, Bafög, Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe. Außerdem werden schwimmende Flüssiggas-Terminals finanziert. Wichtige Investitionen für Klimaschutz, etwa die Förderung der erneuerbaren Energien, der Aufbau einer Ladeinfrastruktur und die Dekarbonisierung der Industrie, werden aus einem Sondervermögen gestemmt.

Probleme: Steigende Zinsen bedeuten für den Bund auch mehr Ausgaben. Lindner spricht von einer "Steilwand", die sich aufbaue, allein für 2023 hat er rund 30 Milliarden Euro eingeplant, um die zuletzt angehäuften Schulden zu bedienen. Zugleich muss die Rente mit der riesigen Summe von 112 Milliarden Euro gestützt werden. Die Krankenversicherung kommt selbst mit aufgestocktem Bundeszuschuss nicht mehr aus.

Und dann bleibt die Unsicherheit, wie sich die Inflation entwickelt. Werden weitere Entlastungspakete nötig sein? Lindner hat zur Krisenvorsorge fünf Milliarden Euro eingeplant, außerdem eine sogenannte globale Vorsorge von neun Milliarden Euro für Konjunkturschwankungen. Doch dieses Geld könnte schnell weg sein. Für Lieblingsprojekte der Koalitionspartner wie die Kindergrundsicherung, das Bürgergeld und die Aktienrente ist wenig Spielraum.

Union kritisiert Entwurf

Kritik kam von der Opposition. Der CSU-Haushaltspolitiker Sebastian Brehm sprach von einer "Mogelpackung" und warf der Bundesregierung vor: "Sie legen einen Haushalt vor, der von Anfang an nicht stimmt."

In der Haushaltswoche werden bis Freitag die Etats der einzelnen Ministerien diskutiert. Der Etat sieht Ausgaben von 445,2 Milliarden Euro vor – deutlich weniger als in den vergangenen Jahren, als die Haushalte noch stärker von Wirtschaftshilfen in der Corona-Pandemie geprägt waren.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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