Entlastungsmaßnahmen "Das Paket ist eines Sozialstaates unwürdig"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Die Preise für Strom, Gas und Sprit steigen. Die Regierung will die Bürger entlasten und verkündet entsprechende Maßnahmen. Doch Sozialverbände üben Kritik: Das Geld komme nicht da an, wo es gebraucht werde.
Die Lage war ohnehin angespannt, der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat die Situation nochmals deutlich verschärft: Die Preise für Strom, Lebensmittel, Heizung und Mobilität steigen erheblich.
Für die Regierung geht es nun darum, unabhängiger von russischem Öl und Gas zu werden – doch ganz akut auch darum, die Bürgerinnen und Bürger von den stark steigenden Preisen zu entlasten. Innerhalb von nur vier Wochen hat die Koalition deshalb ein zweites Entlastungspaket aufgelegt: Die neuen Maßnahmen sollen die durch die gestiegenen Energiekosten entstehenden "echten Härten" für die Bürger "abfedern" – so heißt es im entsprechenden Papier.
Wie gut gelingt das mit diesem Paket? Und kommt das Geld bei den Richtigen an? Sozialverbände üben im Gespräch mit t-online heftige Kritik. Gerade für die in der Gesellschaft, die am dringendsten Hilfe bräuchten, habe das Paket nur wenig zu bieten.
Geld "mit der Gießkanne" verteilt
"Das Paket ist gekennzeichnet von einer sehr starken sozialen Schieflage", sagt Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands. "Unterm Strich sind wir außerordentlich unzufrieden", fügt er hinzu.
Entlastungspaket im Überblick
► Alle Erwerbstätigen sollen eine Energiepreispauschale über einmalig 300 Euro erhalten.
► Familien sollen ergänzend zum Kindergeld einen Einmalbonus in Höhe von 100 Euro pro Kind bekommen.
► Sozialhilfeempfänger sollen einmalig weitere 100 Euro erhalten. Im ersten Paket war bereits eine solche einmalige Auszahlung in dieser Höhe enthalten.
► Die Energiesteuer auf Kraftstoffe soll für drei Monate gesenkt werden. Vereinbart sei unter anderem, den Spritpreis befristet auf drei Monate zu senken, und zwar für Benzin um 30 Cent je Liter und Diesel um 14 Cent pro Liter.
► Der öffentliche Nahverkehr soll als Alternative zum Auto gestärkt werden: Deshalb soll es drei Monate lang Tickets für 9 Euro pro Monat geben.
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Michael Groß vom Verband AWO begrüßt das Entlastungspaket insgesamt, zeigt sich jedoch überzeugt, dass die Maßnahmen sich am Ende als nicht ausreichend herausstellen, um wirklich zu helfen.
Was sie kritisieren: Das Geld werde "mit der Gießkanne" verteilt und sei deshalb wenig zielführend. Der Präsident des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Schneider findet: Wenn es wirklich um Entlastung der Menschen geht, müsste denjenigen geholfen werden, die besonders mit steigenden Preisen zu kämpfen haben. Das sei jedoch mit diesem Paket nicht der Fall. Die Verbände haben sich eine zielgerichtetere Unterstützung gewünscht.
Das sehe man etwa an dem vereinbarten Energiekostenzuschuss von einmalig 300 Euro für Arbeitnehmer und Selbstständige. "Die bekommt selbst der Millionär", kritisiert Schneider. Es zeige sich wieder einmal: "Ungleiches wird gleich behandelt", sagt Groß.
"Sie wissen nicht, wie sie über die Runden kommen sollen"
Eine weitere wichtige Maßnahme im Paket: Die Regierung will die Energiesteuer auf Kraftstoffe drei Monate lang senken: Benzin soll 30 Cent, Diesel 14 Cent pro Liter günstiger werden. "Das bedeutet, dass man Autofahren nach Hubraum subventioniert: Je mehr man tankt, desto größer der Rabatt", sagt Schneider. Das sei kontraproduktiv.
Für die untersten 20 Prozent auf der Einkommensskala gehe es beispielsweise vor allem um die generellen Lebenshaltungskosten – ein wichtiger Faktor dabei: die Preise für Lebensmittel, für frisches Obst, Gemüse und Milchprodukte etwa. Das habe das neue Entlastungspaket nicht im Blick, kritisieren die Verbände – die einmalige Auszahlung helfe da nicht weiter.
Dringend nötig wäre dies jedoch: Immer mehr Menschen wüssten nicht, wie sie sich ihre wöchentlichen Einkäufe leisten könnten, sagt Groß, das bekämen sie aus ihren Einrichtungen und Beratungsstellen mit. Auch Schneider sagt: "Arme Menschen im Land sind verzweifelt – sie wissen nicht, wie sie über die Runden kommen sollen." Die Tafeln berichteten über mehr Zulauf.
In dem Zusammenhang sei auch die Hilfe für Sozialhilfeempfänger "gerade mal ein Tropfen auf dem heißen Stein", sagt Verena Bentele vom Sozialverband VdK. Die Empfänger von Hartz IV etwa sollen erneut eine Einmalzahlung von 100 Euro erhalten – eine Auszahlung in dieser Höhe war bereits im ersten Entlastungspaket enthalten. "Sie reichen bei Weitem nicht, damit Menschen mit geringem Einkommen die monatlich ständig steigenden Kosten stemmen können", so Bentele. Für sie müssten "endlich" die Regelsätze erhöht werden, damit sie zum Leben reichten.
"Was aber ist mit den Rentnerinnen und Rentnern?"
Ein weiterer Aspekt, der im Paket außen vor bleibe: "Was aber ist mit den Rentnerinnen und Rentnern?", fragt Bentele. "Gerade sie sind besonders auf das Geld angewiesen, vor allem wenn sie nur eine kleine Rente bekommen." Deshalb fordert der Verband einen Aufschlag, der direkt ausgezahlt werden müsse.
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Das Anliegen der SPD war, mit dem Entlastungspaket explizit nicht zuzulassen, dass die steigenden Preise "Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt haben".
Doch das leiste dieses Entlastungspaket der Regierung nicht, sagt Schneider: "Diese Gesellschaft ist eine zutiefst gespaltene Gesellschaft. Jetzt mit der Gießkanne zu verteilen, führt dazu, dass man immer weiter spaltet." Um zusammenzuführen, müsse man von unten ansetzen und gezielt etwas für die Ärmsten in der Gesellschaft tun.
Generell zeigten die vereinbarten Maßnahmen einmal mehr, dass arme Menschen von dieser Regierung nur "stiefmütterlich" behandelt würden. Schneider sagt: "Das Paket ist eines Sozialstaates unwürdig."
- Eigene Recherchen
- Gespräch mit Ulrich Schneider am 24.03.2022
- Gespräch mit Michael Groß am 24.03.2022
- Schriftliche Anfrage an Verena Bentele am 24.03.2022
- Papier des Koalitionsausschusses: "Maßnahmenpaket des Bundes zum Umgang mit den hohen Energiekosten"