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Ostseepipeline: Die Ampel sucht nach einer Haltung zu Nord Stream 2


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Putins Drohkulisse
"Die Lage ist ernst. Sehr, sehr ernst."


28.12.2021Lesedauer: 6 Min.
Russische Kadetten bei einer Übung: Zuletzt hatte das Militär vermehrt Truppen an die ukrainische Grenze geschickt. (Archivfoto)Vergrößern des Bildes
Russische Kadetten bei einer Übung: Zuletzt hatte das Militär vermehrt Truppen an die ukrainische Grenze geschickt. (Archivfoto) (Quelle: Gavriil Grigorov/imago-images-bilder)

Wie umgehen mit der russischen Gasleitung Nord Stream 2? Während Putin Soldaten an die Grenze zur Ukraine schickt, tut sich die Bundesregierung schwer mit einer Antwort.

Die einen wollen, dass sie endlich in Betrieb geht. Die anderen wünschen sich, dass sie nie gebaut worden wäre: Die Pipeline Nord Stream 2, die von Russland durch die Ostsee Erdgas nach Deutschland pumpen soll, bleibt nicht nur in Deutschland ein umstrittenes Projekt. Vor allem seit Russland immer mehr Truppen an die Grenze der Ukraine zieht, werden Forderungen lauter, die Pipeline – obwohl komplett fertiggestellt – doch nicht in Betrieb zu nehmen.

Die Konfliktlinien ziehen sich mitten durch die neue Bundesregierung, namentlich zwischen der SPD und den Grünen. Droht der Ampel eine offene Feldschlacht um Nord Stream 2? Wem nützt die Gasleitung überhaupt? Und begibt sich Deutschland damit in die Abhängigkeit des Kreml? Ein Überblick.

Welche Haltung verfolgt die Bundesregierung bei Nord Stream 2?

Die Ampelparteien scheinen im Moment keine einheitliche Linie zu verfolgen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte die Gasleitung Mitte Dezember nach einem EU-Gipfel in Brüssel als "privatwirtschaftliches Vorhaben" bezeichnet. Die Entscheidungsgewalt, ob und wann Nord Stream 2 in Betrieb gehen kann, entscheide "ganz unpolitisch eine Behörde in Deutschland", hatte der Kanzler betont. Gemeint ist damit die Bundesnetzagentur. Die Diskussion um die Pipeline dürfe zudem nicht mit den aktuellen russischen Truppenbewegungen an der Grenze zur Ukraine vermischt werden.

Genau das sehen die Grünen allerdings anders: Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck machte in der "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" zuletzt deutlich, dass eine Eskalation in der Ukraine auch Auswirkungen auf Nord Stream 2 haben könnte. Die Bundesnetzagentur, die eine nachgelagerte Behörde von Habecks Wirtschaftsministerium ist, entscheide über das Projekt "nach Recht und Gesetz". Sollte Russland allerdings in die Ukraine einmarschieren, dürfe es "keine Denkverbote geben".

Darüber hinaus nannte Habeck das gesamte Projekt einen "geopolitischen Fehler". Daraus hatte die Partei schon seit längerem keinen Hehl gemacht. In ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl hatten sie noch gefordert, Nord Stream 2 gänzlich zu stoppen.

Auch die grüne Außenministerin Annalena Baerbock betonte zuletzt, dass Nord Stream nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine politische Dimension besitzt. "Die letzten Jahre haben ja auch mit Blick auf die unterschiedliche Wahrnehmung in Europa deutlich gemacht, welche geostrategische Rolle Nord Stream 2 spielt", sagte die Grünen-Politikerin. "Bereits die alte Bundesregierung hat ja gemeinsam mit der US-Regierung deutlich gemacht, dass Energie nicht als Waffe eingesetzt werden darf und dass das erhebliche Konsequenzen hätte." Einen Dissens zwischen ihrer Haltung und der des Bundeskanzlers könne sie allerdings nicht erkennen.

Auch in der FDP sieht man die Gaspipeline kritischer als in der SPD: Finanzminister Christian Lindner hatte Anfang Dezember in der "Frankfurt Allgemeinen Zeitung" Russland davor gewarnt, die Leitung dürfe "nicht zum Gegenstand von Geopolitik werden". Zwar sei das Gas aus Russland für Deutschland weiter wichtig. Im Zweifel sei die Sicherheit der osteuropäischen Partnerstaaten allerdings von größerer Bedeutung.

Welche Positionen werden außerhalb der Bundesregierung vertreten?

In der Union gehen die Meinungen über die Gasleitung auseinander. Außenpolitiker Norbert Röttgen vertritt etwa eine ähnliche Haltung wie Wirtschaftsminister Habeck. Es sei "unvorstellbar, dass Nord Stream 2 ans Netz gehen kann, sollte Russland die Ukraine wirklich angreifen", sagte Röttgen Mitte Dezember.

Auch der designierte Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, empfiehlt einen harten Kurs gegenüber Russland. Bei einem Einmarsch in die Ukraine müssten Sanktionen auch die Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland umfassen sowie den Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungssystem Swift, sagte Heusgen dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland". "Eine weiche Reaktion würde Putin als Schwäche interpretieren und seine Expansionsgelüste nur stimulieren."

Besorgt äußerte sich auch der EVP-Fraktionsvorsitzende im EU-Parlament, Manfred Weber. "Wenn Putin Waffen einsetzt, ist Nord Stream 2 am Ende", so Weber gegenüber der "Bild". Der CSU-Politiker warnte sogar vor einem neuen Krieg in Europa. "Die Lage ist ernst. Es ist sehr, sehr ernst", sagte Weber dem "Münchner Merkur". Russland habe mehr als 100. 000 Soldaten an der Grenze zusammengezogen. Zudem besorge ihn die jüngste Propaganda, sagte Weber. "Worte bereiten Taten vor. Putin spricht von einem Genozid im Donbass, damit könnte man dann einen Krieg begründen."

Der Chef der CSU-Landesgruppe in Berlin, Alexander Dobrindt, ist dennoch gegen einen Stopp der Inbetriebnahme der Pipeline. Das Infragestellen der Leitung sei für ihn "ein grundfalscher Weg". Stattdessen müsse Deutschland andere Gasanbieter suchen, um unabhängiger von Russland zu sein.

Auch Linkspartei und AfD plädieren für die Inbetriebnahme der Pipeline. Die Fraktionschefin der Linken, Amira Mohamed Ali, sagte etwa, dass es ansonsten zu einer weiteren Erhöhung der Energiepreise kommen würde. Es dürfe auch keine Option sein, auf das russische Gas zu verzichten und stattdessen Fracking-Gas aus den USA zu kaufen. Auch die AfD argumentiert mit steigenden Energiepreisen. Ein Stopp der Pipeline würde insbesondere einkommensschwächere Menschen treffen, sagte Vize-Parteichefin Beatrix von Storch im Oktober.

Welchen wirtschaftlichen Nutzen hat Nord Stream 2?

Zunächst ist bei der Gasversorgung von Bedeutung, dass in Deutschland der Großteil des Erdgases aus dem Ausland kommt. 2020 wurde laut dem Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie 95 Prozent des hierzulande verbrauchten Erdgases importiert. Davon sollen laut einer Studie des Energiekonzerns BP 55 Prozent aus Russland, 31 Prozent aus Norwegen und der Rest aus den Niederlanden und anderen europäischen Staaten stammen.

Nord Stream 2 soll irgendwann in der Lage sein, pro Jahr rund 55 Milliarden Kubikmeter Gas nach Deutschland zu pumpen. Das entspricht mehr als der Hälfte des deutschen Verbrauchs im vergangenen Jahr (laut der BP-Studie 86,5 Milliarden Kubikmeter). Wichtig ist allerdings, dass Deutschland auch Gas an Nachbarländer abgibt.

Bedeutet dies in der Folge, dass Deutschland auf Nord Stream 2 angewiesen ist? Daran bestehen Zweifel. "Eine energiewirtschaftliche Analyse zeigt, dass die geplante zweite Erdgaspipeline Nord Stream 2 zur Sicherung der Erdgasversorgung in Deutschland und Europa nicht notwendig ist", heißt es etwa in einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung aus dem Jahr 2018. Russland sei laut der Studie hauptsächlich daran interessiert, weniger von Transitländern wie der Ukraine abhängig zu sein, durch die ebenfalls Gas nach Europa gepumpt wird.

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Wie sieht der weitere Verlauf bei der Inbetriebnahme aus?

Fertiggestellt ist die Pipeline bereits. Gas fließt allerdings weiter nicht. Die wachsenden Spannungen mit der Ukraine haben damit aber offiziell nichts zu tun. Aktuell steht die Zertifizierung durch die Bundesnetzagentur noch aus. Das Verfahren wurde im November gestoppt: Zunächst müsse die verantwortliche Nord Stream 2 AG, die in der Schweiz sitzt, in eine deutsche Rechtsform überführt werden. Danach könne das Verfahren fortgesetzt werden.

Nach der ersten Prüfung durch die Agentur wird das Projekt von der EU-Kommission untersucht. Erst danach kann die Bundesnetzagentur die finale Zertifizierung erteilen. Die Behörde teilte bereits mit, dass die Entscheidung wohl erst in der zweiten Jahreshälfte zu erwarten sei.

Wie reagiert Russland auf die hitzige Debatte um die Pipeline?

Der Kreml betont stets, dass das Projekt rein wirtschaftliche Interessen verfolgt. Allerdings ist man unzufrieden, dass noch immer kein Gas durch die Leitung fließt. "Eine künstliche Verzögerung der Inbetriebnahme der Pipeline braucht wohl niemand", sagte der russische Botschafter in Deutschland, Sergej Netschajew.

Zudem wird Russland vorgeworfen, die aktuellen Gaslieferungen in die EU aufgrund der schleppenden Verfahren zu drosseln. Durch die Pipeline Jamal, die von Russland über Belarus und Polen ebenfalls nach Deutschland verläuft, wird etwa seit mehreren Tagen Gas von Deutschland zurück nach Polen gepumpt. Das sei allerdings nicht ungewöhnlich, heißt es von der Bundesnetzagentur. Die deutschen Speicher sollen laut der Initiative Energien Speichern (INES) zurzeit zu 55 Prozent gefüllt sein. Versorgungsengpässe sehe das Bundeswirtschaftsministerium aktuell nicht.

Sollte aber über einen längeren Zeitraum kein neues Gas fließen, könnte es kritischer werden. Bereits seit knapp einem Monat sollen die Füllstände der Speicher sinken. Nach einer Studie des Bundeswirtschaftsministeriums von 2015 wäre bei extremer Kälte ein Mindestfüllstand von 40 Prozent notwendig. Schon bei Unterschreiten von 50 Prozent lässt der Druck in den Tanks so stark nach, dass das Gas langsamer ins Netz fließt. Dass Russland allerdings die Gasmengen als politisches Druckmittel nutzt, hat der Kreml bisher immer bestritten.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Mit Nachrichtenagentur dpa und Reuters
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