Reisebeschränkungen oder nicht? UN-Organisationen streiten über Umgang mit Südafrika-Variante
In Südafrika verbreitet sich eine neue Corona-Variante. Deutschland verschärft die Reiseregelungen. Die Vereinten Nationen aber streiten über die Handhabung der Maßnahmen.
Unterschiedliche UN-Organisationen zeigen sich uneins über den Umgang mit einer neu aufgetretenen Virusvariante. Die Weltorganisation für Tourismus (UNWTO) dringt auf rasche und einheitliche Entscheidungen über Reisebeschränkungen wegen der neuen Virus-Variante. "Meine Empfehlung ist, Entscheidungen heute und nicht nach einer Woche zu treffen", sagt der Generalsekretär der UN-Organisation, Surab Pololikaschwili. Wenn die Variante sich weiter so ausbreite, wie es zu erwarten sei, werde es spät sein für Beschränkungen. Die Staaten müssten bei der Ausarbeitung von Reisebestimmungen den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) folgen.
Diese jedoch ruft am Freitag angesichts der von vielen Staaten verhängten Reisebeschränkungen für das südliche Afrika zur Zurückhaltung auf. Sie sollten nicht vorschnell solche Maßnahmen wegen der neuen Corona-Variante verhängen, sagt ein WHO-Sprecher. Es dauere mehrere Wochen, die Übertragbarkeit der Variante B.1.1.529 und die Wirksamkeit von Impfstoffen festzustellen. "Wir wissen noch nicht viel darüber", sagt die technische Leiterin für Corona bei der WHO, Maria van Kerkhove. "Was wir wissen, ist, dass die Variante eine große Anzahl von Mutationen aufweist." Es bestehe die Sorge, dass dies das Verhalten des Virus beeinflussen könne.
Derweil handelte die Bundesregierung, genau wie Regierungen zahlreicher anderer Länder, bereits und hat den Flugverkehr mit Südafrika drastisch eingeschränkt. Das Land gelte ab der Nacht zum Samstag als Virusvariantengebiet, gab das Bundesgesundheitsministerium am Freitag bekannt. "In der Folge dürfen Fluggesellschaften nur noch deutsche Staatsbürger nach Deutschland befördern." Zudem müssten alle Eingereisten für 14 Tage in Quarantäne – auch wenn sie vollständig geimpft sind. Was über die neue Corona-Variante bisher bekannt ist, erfahren Sie hier.
RKI-Chef: "Wir sind tatsächlich in sehr großer Sorge"
Wie das Ministerium weiter mitteilte, wird die neue Einstufung möglicherweise auch Nachbarländer von Südafrika betreffen. Die neu entdeckte Virusvariante "besorgt uns, daher handeln wir hier proaktiv und frühzeitig", erklärte der geschäftsführende Minister Jens Spahn (CDU). "Das Letzte, was uns jetzt noch fehlt, ist eine eingeschleppte neue Variante, die noch mehr Probleme macht."
Spahn bat Reisende aus Südafrika, sich mit einem PCR-Test testen zu lassen. Da die Einschätzung als Virusvariantengebiet mit der Quarantäne-Auflage erst ab heute Nacht greife, appelliere er an Personen, die heute oder vor einigen Tagen aus Südafrika angekommen seien, sich freiwillig testen zu lassen. "Wir sind tatsächlich in sehr großer Sorge", sagte auch Lothar Wieler, Chef des Robert Koch-Instituts (RKI), in Berlin. Er ergänzte, die Gefährlichkeit könne noch nicht eingeschätzt werden und auch nicht, wie effektiv die Impfungen dagegen seien.
Biontech prüft seinen Impfstoff auf Effektivität
Derweil prüft das Pharmaunternehmen Biontech eine mögliche Anpassung seines mRNA-Impfstoffs. "Wir können die Besorgnis von Experten nachvollziehen und haben unverzüglich Untersuchungen zur Variante B.1.1.529 eingeleitet", erklärte ein Biontech-Sprecher am Freitag. "Die Variante unterscheidet sich deutlich von bisher beobachteten Varianten, da sie zusätzliche Mutationen im Spike-Protein hat."
In spätestens zwei Wochen seien weiterführende Daten aus den Labortests zu erwarten. "Diese Daten werden uns Aufschluss darüber geben, ob es sich bei B.1.1.529 um eine Escape-Variante handeln könnte, die eine Anpassung unseres Impfstoffs erforderlich macht, wenn sich diese Variante international ausbreitet."
Biontech hat für einen solchen Fall nach eigenen Angaben schon vor Monaten mit seinem US-Partner Pfizer Vorbereitungen getroffen. Der mRNA-Impfstoff soll dann innerhalb von sechs Wochen angepasst werden. Erste Chargen des angepassten Impfstoffs könnten nach Angaben des Unternehmens innerhalb von 100 Tagen ausgeliefert werden.
Mehrere Länder verhängen Reiseverbot
Angesichts der neuen Coronavirus-Variante kündigten auch andere Länder die Einschränkungen von Reisen aus Südafrika an. So verhängten die Niederlande den Stopp von Flügen aus Südafrika. Italien verbietet die Einreise von Menschen, die in den vergangenen 14 Tagen in Ländern im südlichen Afrika waren.
Malta untersagt Reisen von und nach Südafrika, Namibia, Lesotho, Botsuana, Eswatini und Simbabwe ab Mitternacht in der Nacht von Samstag auf Sonntag, erklärte Gesundheitsminister Chris Fearne am Freitag via Twitter. Tschechien verbietet Nicht-EU-Bürgern aufgrund der Corona-Variante die Einreise aus Südafrika, Namibia, Mosambik, Sambia und vier weiteren afrikanischen Staaten. Das gelte von Samstag an, teilte das Außenministerium in Prag am Freitag mit. Für Tschechen und andere EU-Bürger, die sich in den vergangenen 14 Tagen in einem dieser Staaten aufgehalten haben, sind demnach strenge Quarantänemaßnahmen geplant.
Auch Österreich untersagt die Einreise aus Südafrika und einigen anderen afrikanischen Staaten. Nur Österreicher, die sich in Südafrika, Namibia, Botsuana, Simbabwe und Mosambik aufhielten, dürften noch in ihre Heimat zurückkehren, gab das Gesundheitsministerium am Freitag bekannt. Sie müssten aber ebenfalls besonders strenge Quarantäne-Bedingungen beachten.
Frankreich verhängte ebenfalls ein Landeverbot für Flüge aus dem südlichen Afrika. Dieses gelte ab sofort für wenigstens 48 Stunden, teilte Premierminister Jean Castex am Freitag in Paris mit. Reisende aus Südafrika, Lesotho, Botsuana, Simbabwe, Mosambik, Namibia und Eswatini dürften unabhängig von ihrem Impfstatus für wenigstens 48 Stunden nicht nach Frankreich einreisen. Wer innerhalb der letzten 14 Tage aus einem dieser Länder in Frankreich eingetroffen sei, solle sich bei den Gesundheitsbehörden melden und schnellstens einen PCR-Test machen.
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Die EU-Kommission wird wegen der neu entdeckten Corona-Variante den Mitgliedstaaten die vorübergehende Einstellung des Reiseverkehrs mit den Ländern des südlichen Afrika vorschlagen. Die Kommission wolle "in enger Abstimmung mit den Mitgliedstaaten" über die Aktivierung dieser sogenannten Notbremse entscheiden, teilte Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Freitag auf Twitter mit.
Lauterbach warnt: "Nichts ist schlimmer"
Zuvor hatte Gesundheitsexperte Karl Lauterbach Besorgnis über die Mutation geäußert und Reisebeschränkungen gefordert: "Wir müssen Zeit gewinnen. Nichts ist schlimmer als eine neue Variante in eine laufende Welle hinein", schrieb der SPD-Politiker am Freitagmorgen auf Twitter.
Auch die britische Regierung verkündete angesichts der Entwicklung am Donnerstagabend eine vorübergehende Einstellung des Reiseverkehrs mit sechs afrikanischen Ländern. Von Freitagmittag an würden alle Flüge aus Südafrika, Namibia, Lesotho, Eswatini, Simbabwe und Botsuana nach Großbritannien gestrichen, erklärte Gesundheitsminister Sajid Javid.
Es gebe Hinweise darauf, dass die Variante "möglicherweise übertragbarer ist als die Delta-Variante und dass Impfstoffe (...) möglicherweise weniger wirksam sind". Bisher sei die Variante in Großbritannien noch nicht nachgewiesen worden, fügte er hinzu. Britische Wissenschaftler hätten sich jedoch "sehr besorgt" über die Entwicklung geäußert.
Auch Israel und Japan verschärfen Kontrollen
Reisende, die bis Freitag noch aus einem der betroffenen afrikanischen Länder in Großbritannien ankommen, müssten sich in Quarantäne begeben und am zweiten und achten Tag einen PCR-Test machen. Javid rief auch alle Reisenden, die in den vergangenen zehn Tagen aus diesen Ländern gekommen waren, auf, sich zu isolieren und testen zu lassen.
Auch Israel stufte die Länder Südafrika, Lesotho, Botsuana, Simbabwe, Mosambik, Namibia und Eswatini als "rote Länder" ein. Ausländer dürften aus diesen Ländern nicht mehr nach Israel einreisen, teilte das Büro des Ministerpräsidenten Naftali Bennett mit. Israelis müssen bei einer Heimkehr aus diesen Ländern für bis zu 14 Tage in Quarantäne in ein Corona-Hotel, können sich aber nach einer Woche mit zwei negativen PCR-Tests freitesten. Man werde die neue Variante genau beobachten, um eine Ausbreitung in Israel zu verhindern, hieß es.
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Die japanische Regierung beschloss eine Verschärfung der Grenzkontrollen für Einreisende aus Südafrika und fünf andere afrikanische Länder, wie die Nachrichtenagentur Jiji meldete. Auch Indien reagiert auf die neue Coronavirus-Variante: Internationale Reisende aus Südafrika und anderen Ländern sollen konsequent getestet und geprüft werden, wie das Gesundheitsministerium mitteilte.
WHO beobachtet Variante genau
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beruft für den Mittag (MEZ) ein Expertentreffen wegen der Variante ein. Es müsse entschieden werden, ob die bislang B.1.1.529 genannte Variante als eine "interessante Variante" oder als "besorgniserregende Variante" eingestuft werden solle, sagte ein WHO-Sprecher. Auch solle der Zeitplan für die laufenden Studien überprüft werden. Fast 100 Sequenzen der Variante seien bekannt. Eine frühere Analyse zeige, dass sie eine große Anzahl von Mutationen aufweise. Dies müsse genauer untersucht werden.
Südafrikanische Wissenschaftler hatten zuvor gewarnt, die neue Variante mit der wissenschaftlichen Bezeichnung B.1.1.529 gebe "Anlass zur Sorge". Inzwischen sei die Variante auch in Botsuana und Hongkong bei Reisenden aus Südafrika nachgewiesen worden.
"Ernsthaft besorgniserregend"
Südafrikas Gesundheitsminister Joe Phaahla bezeichnete die Variante als "ernsthaft besorgniserregend" und als Ursache für einen "exponentiellen" Anstieg der gemeldeten Fälle in seinem Land. Die Wirksamkeit der Vakzine gegen diese Virusvariante ist demnach noch unklar. Phaahla erklärte, die neue Variante bestätige die "Tatsache, dass dieser unsichtbare Feind sehr unvorhersehbar ist". Er rief die Südafrikaner dazu auf, Masken zu tragen, Abstand zu halten und insbesondere sich impfen zu lassen. "Wir haben auch das zusätzliche Mittel der Impfungen, das uns helfen wird, schwere Erkrankungen zu vermeiden, einschließlich, dass wir in Klinik enden oder sogar dem Virus zum Opfer fallen", sagte er.
Die Zahl der täglich gemeldeten Corona-Neuinfektionen in Südafrika war zuletzt drastisch gestiegen. Am Mittwoch meldeten die Behörden 1.200 Neuansteckungen binnen 24 Stunden. Anfang November hatte dieser Wert noch bei 106 Fällen gelegen. In Südafrika sind 35 Prozent der Erwachsenen vollständig gegen Covid-19 geimpft.
22 nachgewiesene Fälle der Corona-Variante in Südafrika
Nach Angaben des der Regierung unterstehenden nationalen Instituts für übertragbare Krankheiten (NICD) wurden in Südafrika bisher 22 Infektionsfälle mit der neuen Corona-Variante nachgewiesen. In der Provinz Gauteng mit der Wirtschaftsmetropole Johannesburg sei derzeit ein rascher Anstieg bei der Zahl der Neuinfektionen insgesamt sowie der Positivrate zu beobachten, erklärte das NICD weiter. Mit mehr Fällen sei im Zuge der laufenden Genomanalysen zu rechnen. "Obwohl die Datenlage noch beschränkt ist, machen unsere Experten mit allen Überwachungssystemen Überstunden, um die neue Variante und die damit möglicherweise verbundenen Implikationen zu verstehen."
In Südafrika war im vergangenen Jahr bereits die Beta-Variante des Virus entdeckt worden. Südafrika ist mit rund 2,95 Millionen Corona-Fällen und mehr als 89.600 Toten das nach offiziellen Zahlen am schwersten betroffene Land in Afrika.
- Nachrichtenagenturen dpa, AFP und Reuters