Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Gastbeitrag Eine Frage von Leben und Tod
Die Flutkatastrophe hat zu bislang unvorstellbarem Leid geführt. Die Bundesregierung muss sich vorwerfen lassen, nicht genug Vorsorge getroffen zu haben, meint Grünen-Klimapolitikerin Lisa Badum – und macht Vorschläge.
Es ist Sommer und wir reden wieder über Klimanothilfe. In diesem Jahr ist es nicht der vierte Dürresommer in Folge, aber dafür sind es langanhaltender Sturzregen und lebensgefährliche Hochwasser. Leider sind diese Wetterextreme durch die Erderhitzung um ein Vielfaches wahrscheinlicher geworden ist.
Es gibt Katastrophen, die niemand vorhersehen und niemand abwenden kann. Das gehört zur menschlichen Existenz dazu. Wir alle konnten uns ein Hochwasser wie in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz mit über 100 Toten in unseren schlimmsten Alpträumen nicht vorstellen. Es wäre falsch zu behaupten, dass irgendwer vorhersagen konnte, dass aus kleinen Flüssen diese reißenden Ströme werden würden.
Tut die Bundesregierung genug?
Aber wir müssen uns fragen, ob wir genug für den Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger tun. Nicht jeder Ort, nicht jede regionale Wetterlage oder jedes Wetterextrem wird verhindert, abgewendet oder abgemildert werden können. Aber warum reden wir über Klimanothilfe nur in extremen Katastrophenfällen?
Bereits im Sommer 2020 ergab eine Anfrage von uns Grünen an die Bundesregierung, dass das Ausmaß von Klimaschäden in der Bundesrepublik nicht bekannt ist. Wörtlich hieß es damals: "[Daher] kann der tatsächliche Bedarf für Aufwendungen von Anpassungsmaßnahmen in der Regel nicht korrekt erfasst werden."
Lisa Badum, 37, sitzt seit 2017 für die Grünen im Bundestag. Sie ist Sprecherin für Klimapolitik ihrer Fraktion und Mitglied des Umweltausschusses.
Die Nichtregierungsorganisation Germanwatch hat bereits eine Zahl geliefert: Deutschland belegte 2018 den dritten Platz der Länder mit den größten Klimarisiken weltweit, mit über 4,5 Milliarden Euro Klimaschäden. Grund dafür sei die Zeit zwischen April und Juli 2018 mit einer durchschnittlichen Temperatur, die 2,9 Grad höher war als vor der Industrialisierung – die heißeste, die jemals in Deutschland gemessen wurde. Die Hitzewelle verursachte den Tod von mehr als 1.200 Menschen, massive Ernteeinbrüche und Verluste in der Landwirtschaft.
Jedes Zehntelgrad zählt
Wer sich dem Ausmaß dieser Schäden verweigert und sie nicht beziffert, unternimmt weder die notwendigen Maßnahmen für die Klimanothilfe, noch begreift er, dass jedes Zehntelgrad bei der Erderhitzung zählt. Und möglicherweise jedes Zehntelgrad entscheidend dafür sein kann, ob ein Hochwasser einige Meter höher oder niedriger ist, oder ob mehr oder weniger Menschen den Hitzetod erleiden.
Was wir allerdings genau beziffern können, das sind die Gelder, die wir immer noch in die Förderung von Kohle, Öl und Gas stecken. Mehr als 2,38 Milliarden Exportkreditgarantien, von denen in den letzten drei Jahren Unternehmen profitiert haben, oder 57 Milliarden Euro klimaschädlicher Subventionen, die jährlich zum Beispiel in Dienstwagen- oder Dieselprivileg fließen.
Wie viele Milliarden diese Gesellschaft aber dafür einsetzt, um sich vor Klimakatastrophen zu schützen, oder wie viele Gelder für Klimaanpassung und Klimanothilfe überhaupt abfließen, ist nicht bekannt.
Seit diesem bemerkenswerten Offenbarungseid der Bundesregierung auf unsere Anfrage vor einem Jahr ist hektische Betriebsamkeit eingekehrt. Ein Klimaschadenskataster wurde angekündigt, ist aber bisher noch nicht fertiggestellt worden. Ein Zentrum für Klimaanpassung für Kommunen wurde eröffnet, Fördermöglichkeiten für Klimaanpassungsmanager bestehen bisher allerdings noch nicht. Das Umweltministerium alleine ist mit einem Budget von 0,4 Prozent des Bundeshaushalts möglicherweise auch überfordert mit dieser Aufgabe.
Es geht hier um eine Frage nationaler Sicherheit. Klimainnenpolitik muss im Kern den Schutz der Bürgerinnen und Bürger zur Aufgabe haben. Klimaschutz ist Voraussetzung für Sicherheitspolitik.
Dem Klima angepasste Städte werden zur Überlebensfrage
Es wird zu einer Überlebensfrage für ihre Einwohnerinnen und Einwohner, wie Städte und Kommunen sich an die Klimakrise anpassen und welche Schutzmaßnahmen sie ergreifen. Städte können sich nicht mehr nur die Kür leisten, genug Naturflächen zum Abfluss der Regenfälle bereitzustellen oder nach dem Prinzip der Schwammstadt zu bauen.
Gemeinden und Städte brauchen wie alle Menschen kluge Konzepte, um auch bei Hitze und Flut sicher und lebenswürdig aufgefangen zu werden. Das beginnt mit neuen Kanalisationen, die Wassermassen schnell abtransportieren, geht über Grünflächen und Bäume in den Städten, um dort kühlere Luft zu speichern, bis zur Frage, wie viel Beton wir uns noch auf Wiesen und Feldern erlauben können, wenn Regenmassen dort nicht mehr schnell genug versickern können. Städteplanung, Waldwirtschaft, Landwirtschaft und Co. müssen im Einklang sein und eine Umgebung gestalten, die Natur und damit uns schützt.
Wir können die Klimakrise noch eindämmen und durch gezielte und konkrete Maßnahmen die Anpassung an die klimatischen Veränderungen steigern. Dafür braucht es jetzt aber den politischen Willen.
Wir brauchen eine Taskforce Klimanothilfe – und mehr
Wir brauchen eine Taskforce Klimanothilfe mit Bund und Ländern, denn gerade weiß die eine Hand nicht, was die andere tut; einen Klimaanpassungsfond auf Bundesebene, um diejenigen zu unterstützen, die durch Wetterkatastrophen ihr Hab und Gut verloren haben; einen Klimavorsorgefond, damit Kommunen und Städte ausreichende Klimaanpassungsmaßnahmen vorantreiben können; ein Klimaschadenskataster, also die Erfassung von Daten und Geldern der Klimaschäden, und eine Nachjustierung im Katastrophenschutz, um genug Ausstattung, länderübergreifende Zusammenarbeit und personelle Ressourcen garantieren zu können.
Wertvolle Zeit wurde verschwendet. Jedes Zehntelgrad zählt und noch mehr Verzögerungstaktiken im Klimaschutz sind nichts weiter als "softes Klimaleugnen", wie es der amerikanische Wissenschaftler Michael Mann nennt. Wer gestern noch gegen ein Verbrenner-Aus, gegen das Tempolimit und für überzogene Abstände von Windkraftanlagen war, hat den Anspruch verspielt, ernsthaft bei mehr "Tempo für den Klimaschutz" mitreden zu können.
Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wider und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.