Wahlkampf bei "Markus Lanz" FDP-Politikerin fordert Ende von Großstadtperspektive
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Eigentlich wollte Markus Lanz wohl den SPD-Generalsekretär "grillen". Doch dann übernahm eine knallhart ununterbrechbare FDP-Politikerin die Regie im Talkshow-Studio.
Wahlkampf und Impfen, die Themenmischung bei Markus Lanz war die gleiche wie am Abend zuvor. Bloß, dass es dieses Mal mit Impfstoff-Fragen los- und dann zur sonstigen Politik überging. Der wie immer entspannt lächelnde SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil blieb bemerkenswert zurückhaltend. Außer Beispielen aus seinem Wahlkreis in der Lüneburger Heide hatte er überraschenderweise sogar freundlich klingendes, freilich giftiges Lob für Gesundheitsminister Spahn parat (Man müsse "neidlos anerkennen, dass er sich immer gut in Szene setzt").
Nach knapp einer halben Stunde ging es dann um die scharfen SPD-Vorwürfe gegen Spahn in der neuen "Maskenaffäre", über die am Mittwoch auch der Bundestag debattiert hatte. Lanz verlas Zitate von SPD-Co-Chefin Esken ("moralischer Verfall der Union") und Klingbeil selbst, der Spahns Verhalten "menschenverachtend" genannt hatte. Eröffnet die SPD nun mit brachialen Attacken den Wahlkampf, obwohl sie ja noch, unter anderem mit Spahn, die Regierung bildet? Lanz wollte sich Klingbeil vorknüpfen, doch drängte ein anderer politischer Gast mehr und mehr in den Vordergrund.
Die Gäste:
- Lars Klingbeil, SPD-Generalsekretär
- Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Mitglied im FDP-Bundesvorstand
- Anne Hähnig, "Die Zeit"-Journalistin
- Dirk Heinrich, Leiter des Hamburger Impfzentrums
Es seien ja gleich zwei Medien, "Spiegel" und "Zeit", gewesen, die von der neuen Maskenaffäre – dem Plan, womöglich unbrauchbare Schutzmasken an benachteiligte Menschen zu vergeben – berichteten, argumentierte Klingbeil wenig überzeugend. Das müsse geklärt werden. Die Kritik gelte nur für den Fall, dass die Vorwürfe sich bewahrheiten. "Mir tut die SPD fast leid", sagte die "Zeit"-Journalistin Anne Hähnig.
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Zum eigentlichen "Grillen" Klingbeils setzte Lanz an, indem er Plakatsprüche aus dem SPD-Wahlkampf in Sachsen-Anhalt zitierte. "Mit unserer Gesundheit zockt man nicht" oder "Chaos an den Schulen beenden" hieß es dort, obwohl die SPD doch auch in Magdeburg Teil der bisherigen Regierungskoalition, also für Gesundheits- und Schulpolitik mitverantwortlich war. Seine Partei sei in Koalitionen Kompromisse eingegangen und benenne im Wahlkampf dann eben Veränderungsbedarf, argumentierte Klingbeil. Die SPD habe sich weit entfernt von den Wählern, konterte Lanz. "Quatsch", entgegnete Klingbeil.
Differenzierter sprach Hähnig, die Lanz als gebürtige Sächsin vorgestellt hatte und die tatsächlich ostdeutsche Perspektiven einbrachte: Es sei immer problematisch, wenn man in ländlichen Regionen das Gefühl hätte, "Menschen in den Städten setzen Maßstäbe, nach denen alle leben sollen". So kam das Gespräch auf Benzinpreise, ein Lieblingsthema Lanz', aber auch Klingbeils. Die SPD sehe die Probleme, etwa bei der Erhöhung der Benzinpreise, die erst erfolgen sollte, wenn überall Alternativen zu Autos mit Verbrennermotor bestehen. Die Mehrheit der Deutschen lebt im ländlichen Raum. "Um dort zum Arzt zu kommen, musst du mobil sein", sagte Klingbeil. Das seien Herausforderungen, die in den Metropolen nicht gesehen werden, die er aber aus der Lüneburger Heide kennt.
FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann reagierte mit einem längeren Beitrag, der mit der Aufforderung endete, "dass wir mal aus dieser Großstadtperspektive rauskommen" – was so ziemlich dasselbe war, das Klingbeil zuvor gesagt hatte. Immer resoluter lenkte nun sie das Gespräch. Lanz' Frage, ob die FDP nach der Bundestagswahl zusammen mit Klingbeils SPD regieren könne, verneinte die Liberale, die in erster Linie Verteidigungspolitikerin ist: schon weil der SPD-Fraktionsvorsitzende nur noch eine "Nullbeziehung zur Bundeswehr" habe. Sogleich erzählte sie von den gescheiterten Sondierungsgesprächen zu einer schwarz-grün-gelben Jamaika-Koalition nach der Bundestagswahl 2017: "Frau Merkel hatte überhaupt keine Lust auf uns." Und dass der FDP-Vorschlag eines Digitalministeriums abgeschmettert wurde, habe Deutschland während der Corona-Krise zu spüren bekommen, in der die mangelhafte Digitalisierung überall zu spüren war und ist. Das stimmt vermutlich, hätte allerdings eine etwas ausführlichere Diskussion vertragen.
Stattdessen entspann sich eine Art Battle vor allem zwischen Strack-Zimmermann und Lanz, wer wen unterbrechen kann – den die äußerst selbstgewisse FDP-Politikerin mit fester, lauter Stimme souverän gewann. Lanz erhielt auf die vorläufig ohnehin theoretische Frage, ob die FDP im Herbst 2021 wieder "lieber nicht, als schlecht regieren" sagen wird wie 2017, zwar keine Antwort. Etwas, was er wollte, bekam er doch: eine halbwegs spektakuläre Aussage, auf die er Strack-Zimmermann mehr oder weniger festnageln konnte.
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Im flotten Themen-Hopping ging es um Steuern, deren Erhöhung die FDP in künftigen Koalitionsverhandlungen ablehnen würde. Aber mit welcher Partei könnte sie dann überhaupt regieren? Klingbeil, der länger staunend zugehört hatte, nutzte die erste Gelegenheit, einzuwerfen, dass "wir in den nächsten Jahren Geld brauchen für Investitionen und Schuldenabbau" und "Superreiche" daher doch mehr als bisher zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen müssten. Das war klassisches Politiker-Durcheinanderreden, wie es in anderen Talkshows häufig, bei Lanz eher selten vorkommt. Strack-Zimmermann redete weiter und blieb dabei, dass nach Corona gar keine Steuererhöhung die Wirtschaft belasten dürfe. "Offenbar verläuft da die "rote Linie" für eine mögliche FDP-Regierungsbeteiligung", konnte Lanz festhalten.
Am Ende gibt es noch einen Lacher
Fazit: Dieser Sendung fehlte ein roter Faden. Mit ihrem Verlauf dürfte der Moderator selbst nicht sehr zufrieden sein. Die am Anfang vom vierten Gast, dem Arzt Dirk Heinrich, trotz aller Probleme pragmatisch gesetzten positiven Ausblicke waren am Ende vergessen. Da neuer Impfstoff kommt, könnten in seinem Hamburger Impfzentrum demnächst 55.000 Menschen pro Woche geimpft werden, hatte er unter anderem gesagt.
Immerhin gab es ganz am Schluss dank Klingbeil einen Lacher. "Nächste Woche kommt, glaube ich, Olaf Scholz zu uns", sagte Lanz zum Ausklang – ein bisschen fragend in Richtung des Generalsekretärs, der den SPD-Wahlkampf ja managt. "Ich dachte Karl Lauterbach kommt mal wieder vorbei", antwortete dieser trocken.
Wo Lauterbach dann gleich tatsächlich zu sehen war: unmittelbar im Anschluss im ZDF-Werbetrailer für die Maybrit Illner-Talkshow, in der der SPD-Gesundheitspolitiker am heutigen Donnerstag gastieren wird.
- "Markus Lanz" vom 9. Juni 2021