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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wahlsieg in Sachsen-Anhalt Ein Mann, der die Populisten zähmt
Es wirkte, als könnte die AfD stärkste Kraft in Sachsen-Anhalt werden. Doch dann siegten Ministerpräsident Reiner Haseloff und seine CDU. Ein Lehrstück darüber, wie man Volkspartei bleibt.
Reiner Haseloff sieht so aus, als könne er es selbst noch nicht glauben. Es ist Sonntagabend, der Ministerpräsident tritt in Magdeburg ins gleißende Scheinwerferlicht und sagt, er sei "überglücklich" über das Ergebnis. Man müsse jetzt von der AfD die "Wähler zurückholen". Es folgt die Frage eines Reporters, welche Fehler denn zur Wahl der AfD führten? Haseloff sagt: "Der Fehler ist in Westdeutschland gemacht worden, da ist die AfD nämlich gegründet worden."
Rumms. Haseloff hätte auch sagen können: Wir haben den rechten Rand hier schon im Griff, aber verursacht haben wir ihn nicht. Denn die entscheidende Frage bei der Wahl in Sachsen-Anhalt war: Überholt die AfD sogar die CDU und wird damit zum Wahlsieger?
Mittlerweile ist klar: Die Umfragen vorher lagen weit daneben. Nach dem vorläufigem Endergebnis kommt die CDU auf mehr als 37 Prozent, die AfD auf weniger als 21 Prozent.
Es ist ein deutlicher Sieg der CDU, die so in Sachsen-Anhalt die wirklich letzte Volkspartei bleibt. Zumal sie fast alle Direktmandate von der AfD zurückerobern konnte.
Auch deshalb stellt sich mancher Christdemokrat nun die Frage, wie Reiner Haseloff das geschafft hat. Sicher: Der Partei dürfte zugutegekommen sein, dass einige Wähler einen Triumph der AfD verhindern wollten.
Eine Mischung aus Aussitzen und Auflehnung
Doch in erster Linie ist es ein Erfolg von Reiner Haseloff. Auf den 67-Jährigen, der das Land seit zehn Jahren regiert, war der ganze Wahlkampf zugeschnitten. Es war eine Kampagne, wie sie die CDU im Bundestagswahlkampf 2013 führte, damals eben auf Angela Merkel fokussiert. Haseloff hätte auch problemlos "Sie kennen mich" plakatieren können.
Dabei bestand seine Machttaktik in den vergangenen Monaten aus einer Mischung aus Aussitzen und Auflehnung.
Das Aussitzen ließ sich Ende letzten Jahres beobachten. Da wäre fast seine Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen an der Frage zerbrochen, ob die Gebühren des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erhöht werden sollen. Weite Teile der CDU waren strikt dagegen, das war auch die AfD-Position. Lange ging es hin und her.
Und Haseloff? Der verhinderte einfach eine Abstimmung im Landtag. Eine klare Positionierung mied er. Der Rundfunkbeitrag wurde erst mal nicht erhöht, die Koalition konnte weiter regieren. In diesen Momenten wirkt Haseloff wie einer, der immer rechtzeitig die Temperatur am Herd etwas runterdreht, bevor alles überkocht. Doch abgestellt wird der Herd nicht.
Die Auflehnung zeigte Haseloff dann in den letzten Tagen. Kurz vor der Wahl gab er der "Welt am Sonntag" ein Interview, geißelte darin die Corona-Politik der Bundesregierung. Als Ministerpräsident hat er diese zwar auch mitverhandelt, doch insbesondere die sogenannte "Bundesnotbremse" stieß Haseloff auf. Er gab sich als patriotischer Landesvater, der sich für die Belange der normalen Menschen stark macht.
Was heißt das für Armin Laschet?
Bei der Auflehnung und dem Aussitzen geht es für Haseloff immer um den Umgang mit extremen Kräften. Denen von außen, der AfD, aber auch denen von innen. In seiner eigenen Fraktion gibt es einige Rechtsausleger, mancher von ihnen hätte wohl auch kein größeres Problem mit einer CDU-AfD-Koalition. Haseloff hat das Problem so gelöst, dass er sich gegen jede Form der Zusammenarbeit mit der AfD aussprach, zugleich aber nicht alle wesentlichen Inhalte den Rechtspopulisten überließ. Die Wähler goutierten es.
Davon ist die CDU im Bund weit entfernt. Doch was lässt sich für sie aus Sachsen-Anhalt lernen? Zunächst hat der Kanzlerkandidat Armin Laschet jetzt den oft herbeigewünschten "Rückenwind". Ralph Brinkhaus, der Fraktionschef der Union im Bundestag, sagte am Sonntag wenig überraschend, es sei ein "toller Abend für uns alle". Und: "Das ist auch ein Erfolg von Armin Laschet."
Aber was bedeutet Haseloffs Zähmen der AfD für Laschet? Etwa für den Umgang mit dem CDU-Rechtsausleger Hans-Georg Maaßen, der in den Bundestag will? Am Wochenende rückte Maaßen die Initialen der Grünen-Kanzlerkandidaten Annalena Charlotte Alma Baerbock (ACAB) in die Nähe des Slogans "All Cops are Bastards", zu Deutsch etwa: Alle Polizisten sind Mistkerle. Am Sonntagabend folgte scharfe Kritik, der Generalsekretär Paul Ziemiak nannte die Äußerung "unmöglich, unsäglich". Der CSU-General Markus Blume erklärte Maaßen sogar zur Belastung im Wahlkampf.
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Im Osten gegen die AfD, im Westen gegen die Grünen
Laschet hat bislang jede scharfe Verurteilung von Maaßen vermieden. Auch bei der Wahl des sehr, sehr konservativen Max Otte zum Chef der sogenannten "Werteunion" hat sich Laschet nur ausweichend geäußert.
Dabei könnte genau das noch zur entscheidenden Frage in diesem Wahlkampf werden: Findet Laschet mit Figuren wie Maaßen und Otte einen Umgang und gelingt ihm die Abgrenzung so klar wie Haseloff? Der hat es geschafft, die extreme AfD zu bändigen und die eigenen, nach rechts abdriftenden Parteifreunde kleinzukriegen.
Was Laschets Situation allerdings komplizierter macht als die von Haseloff: Im Osten Deutschlands ist die AfD der Hauptgegner der Union, im Westen sind es jedoch die Grünen.
Mancher in der CDU befürchtet schon, dass Haseloffs Sieg missinterpretiert wird. Ihre Sorge: Er wird als Rückendeckung für Laschets Mitte-Kurs gesehen. Und als Beruhigung dafür, dass man die eigenen Probleme gar nicht anpacken muss. Ein Bundestagsabgeordneter sagte t-online: "Ich fürchte, dass das die Insolvenzverwalter der CDU wieder stärkt."
- Eigene Recherche