Gesundheitsminister rechtfertigt sich Spahn zum Test-Debakel: "Wir sind doch Logistikweltmeister"
Die Kritik an der Corona-Strategie der Bundesregierung wächst. Im Fokus: Gesundheitsminister Jens Spahn. Er betont: Es stünden genug Schnelltests zur Verfügung
Viel Kritik an den Corona-Beschlüssen, zu hohe Fallzahlen, zu wenige Schnelltests und nach wie vor: zu wenig Impfstoff – die Kritik an der Bundesregierung ist zurzeit groß. Befürchtungen über einen möglichen Mangel an ausreichenden Tests ist Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Freitagmorgen in der Bundespressekonferenz entgegen getreten. "Von diesen Schnelltests sind mehr als genug da, sie sind verfügbar, sind einfach bestellbar", sagte Spahn am Freitag in Berlin. "Die Hersteller sagen uns, dass die Lager voll sind." Der Bund habe derzeit mindestens 50 Millionen Schnelltests im Monat abgesichert, abgerufen würden zehn Millionen.
Ab Montag will der Bund für alle Bürger mindestens einmal pro Woche einen Schnelltests finanzieren. Getestet werden soll in lokalen Testzentren, welche die Kommunen mit Partnern organisieren. Zudem sollen das Personal in Schulen und Kitas sowie Schülerinnen und Schüler in jeder Präsenzwoche mindestens einen kostenlosen Schnelltest erhalten.
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Die kostenlosen Schnelltests würden nicht überall gleich am Montag verfügbar sein, sagte Spahn. Er sei aber zuversichtlich, dass das Angebot zügig vor Ort von den Ländern umgesetzt werden könne. Jedes Testzentrum wisse, wo die bereits seit längerem verfügbaren Antigen-Schnelltests bestellbar seien. "Wir sind doch Logistik-Weltmeister." Schnelltests zu organisieren sei "keine Geheimwissenschaft". Spahn bot den Ministerpräsidenten der Bundesländer an, Kontakte zu Herstellern zu vermitteln, um Tests für Schulen und Kitas in ausreichender Menge zu erhalten.
Spahn: Bund-Länder-Beschluss an der Grenze des Verantwortbaren
Auch bei den Schnelltests, mit denen Laien sich selbst auf eine Corona-Infektion testen können sollen, sagte Spahn rasch steigende Kapazitäten zu. Bislang gibt es laut Spahn sieben zugelassene Hersteller, und es würden mehr. Nach Aussage einiger Hersteller seien 20 Millionen Selbsttests pro Woche machbar, sagte der Gesundheitsminister. "Damit wäre jeder Schüler zweimal pro Woche testbar."
Zugleich wies Spahn erneut darauf hin, dass Selbsttests keine absolute Sicherheit bieten. Ein positives Ergebnis müsse durch einen PCR-Test überprüft werden. Auch bei einem negativen Ergebnis dürfe sich niemand "in falscher Sicherheit wiegen". Das Tragen einer Maske und Abstandhalten seien weiter nötig.
Spahn mahnte erneut auch zu Vorsicht bei weiteren Lockerungen von Corona-Beschränkungen. Die von Bund und Ländern vorgesehenen Öffnungsmöglichkeiten gingen an die Grenze dessen, was unter dem Gesichtspunkt des Gesundheitsschutzes verantwortbar sei, sagte der CDU-Politiker am Freitag in Berlin. Keine Öffnungsschritte zu wagen, wäre aber auch kaum verantwortbar gewesen. Wichtig sei deswegen die vereinbarte "Notbremse" für den Fall, dass die Zahl der Neuinfektionen wieder stark ansteigen sollten.
Man könne nicht ab nächster Woche jedem Bürger ein Schnelltest-Angebot machen, sagte auch Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) in der Pressekonferenz. Er sei aber zuversichtlich, dass man das Angebot in einer Woche aufbauen könne. Er kündigte an, dass sein Bundesland die Kapazitäten der Impfzentren im März auf 100.000 Erstimpfungen und 100.000 Zweitimpfungen pro Woche aufstocken wird. Auch Angestellte in Arztpraxen, in Behindertenwerkstätten, Lehrer, Erzieher und Teile der Polizei stünden in NRW nun als nächste auf der Liste.
Wieler: Sehen "Signale einer Trendumkehr"
Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), zeigte sich besorgt über wieder steigende Corona-Inzidenzwerte. Zwar gebe es einen deutlichen Rückgang der Inzidenzzahlen besonders bei den Gruppen, in denen viele schon geimpft worden seien, sagte Wieler. Es gebe jedoch "weiterhin zu viele Todesfälle" und man sehe auch, dass "die Inzidenzen bei den unter 80-Jährigen wieder ansteigen".
Wieler wies auch darauf hin, dass der Inzidenzwert der Infektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen generell bundesweit wieder steige. Am Freitag lag der Wert laut RKI bei 65,4. Registriert wurden innerhalb von 24 Stunden 10.580 Corona-Neuinfektionen und 264 neue Todesfälle von Infizierten.
Zudem sei absehbar, dass die britische Virusvariation B117 bald die vorherrschende Variante in Deutschland sein werde. "Dann wird es noch schwieriger, das Virus im Zaum zu halten", warnte Wieler. Er wies darauf hin, dass diese und weitere Mutanten "noch ansteckender und noch gefährlicher in allen Altersgruppen" seien als das ursprüngliche Coronavirus. Das seien "Signale einer Trendumkehr".
Umso wichtiger sei es, die Impfungen rasch voranzutreiben, mahnte der RKI-Chef. Er betonte erneut, dass alle in Deutschland zugelassenen Impfstoffe hochwirksam seien, auch gegen den Virustyp B117. Bei anderen Mutanten wie etwa der südafrikanischen Variante, schützten die Impfungen zumindest vor schweren Erkrankungen. "Wenn Sie einen Impfstoff angeboten bekommen, lassen Sie sich impfen", rief Wieler die Bürgerinnen und Bürger auf.
Auch Unternehmen machen inzwischen Druck auf die Bundesregierung: Sie bieten an, ihre Mitarbeiter mit Betriebsärzten zu impfen. Das Impfen durch Betriebsärzte sei ein sinnvoller Schritt, sagte Spahn. Aber der Zeitpunkt, von der Priorisierung der Impfverordnung vollkommen abzuweichen sei "noch nicht gekommen".
Bis jetzt habe es trotz Impfstoff-Knappheit in Deutschland noch keinen Anlass gegeben, über Exportbeschränkungen für hierzulande produzierte Corona-Impfstoffe nachzudenken, sagte Spahn. Italien hat eine Lieferung von Astrazeneca-Impfstoff an Australien gestoppt, wie am Donnerstag bekannt wurde.
Er habe noch keine Gelegenheit gehabt, mit seinem Kollegen in Italien über das dort verhängte Verbot von einem Export des AstraZeneca-Impfstoffs nach Australien zu sprechen, so Spahn weiter. Er verwies darauf, dass in Deutschland zudem AstraZeneca seinen Impfstoff bisher nicht produziere, sondern das Vakzin nur abgefüllt werde. Spahn betonte, dass er aber auf jeden Fall ein europäisches Vorgehen und keinen nationalen Alleingang anstreben würde. Die eingeführten Exportkontrollen sollten vor allem Transparenz schaffen, wohin die in der EU produzierten Impfstoff-Mengen gingen, betonte Spahn.
- Bundespressekonferenz am 05.03.2021
- Nachrichtenagenturen dpa, Reuters und AFP