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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Presse zu Corona-Beschlüssen "Das würde die Menschen vollends demoralisieren"
Der Ausweg aus dem Lockdown ist beschlossen – oder ist es doch eher ein Irrweg? Die Presse findet kaum lobende Worte für die Beschlüsse von Bund und Ländern.
Bund und Länder ringen lange um einen Weg aus dem Lockdown. Ein Stufenplan soll es nun richten – trotz steigender Inzidenz und gefährlicher Virusmutationen. Die deutsche Presse bewertet die Beschlüsse daher sehr kritisch. Doch es gibt auch Ausnahmen.
Spiegel (Hamburg): "Die Sehnsucht nach dem normalen Leben ist mehr als nachvollziehbar. Wir alle wollen unsere Freiheit zurück, lieber heute als morgen. Wir wären diesem Leben längst wieder näher, hätte die Politik das Land nicht so halbherzig und zögerlich in den Corona-Winter geschickt. (…) Zumachen oder aufmachen, das sind die einfallslosen Pole, zwischen denen sich Merkel und die Ministerpräsidenten seit Monaten bewegen. Nur wird jetzt auch noch die Logik des bisherigen Krisenmanagements ausgehebelt: Obwohl die Fallzahlen steigen, obwohl die Mutanten auf dem Vormarsch sind, obwohl die Impfquote noch zu gering und das Testregime noch nicht etabliert sind, wird gelockert. Politik paradox. Die Menschen seien eben Shutdown-müde, heißt es, sie bräuchten eine Perspektive. Dabei ist den Damen und Herren, die ihr Handeln so begründen, durchaus bewusst, welch riskanten Weg sie einschlagen. Doch das Gefühl schlägt den Verstand, die Politik kapituliert."
Frankfurter Allgemeine Zeitung: "So sehr sich die Beteiligten der Bund-Länder-Runde am späten Mittwochabend auch mühten, das gemeinsame Papier als den ersehnten Kurswechsel zu verkaufen: Die Lockerungen sind erstmal überschaubar. Das, was eigentlich ein befristeter Ausnahmezustand sein sollte, ist zur neuen Normalität geworden und wird es bis Ende März auch bleiben – mindestens. (…) Ein Gesundheitssystem, das selbst bei hohen Infektionszahlen wie rund um Weihnachten noch mehr als 4000 freie Intensivbetten bereithalten konnte, finanziert sich nicht von selbst, sondern aus Steuern und Sozialabgaben. Gleiches gilt für Schwimmbäder, Theater, neue Sozialwohnungen und vieles mehr. Wer will, dass für all das auch in Zukunft noch genug Geld vorhanden ist, sollte ein Interesse daran haben, dass möglichst schnell wieder normales wirtschaftliches Leben einkehrt."
Tagesschau (Hamburg): "Zuckerbrot und Peitsche. Die Bürger sollen so motiviert werden, weiterhin Abstand zu halten, Maske zu tragen, die Hände zu waschen und unsere Kontakte selbstverantwortlich einzuschränken. Ein paar werden nun sagen, das System ist so kompliziert – da bleibe ich lieber weiterhin zu Hause. Andere werden die neuen Freiheiten voll ausschöpfen, ohne Rücksicht auf Verluste. Wieder andere werden gar nicht mehr durchblicken und machen, was sie wollen."
t-online (Berlin): "Die Ergebnisse des Bund-Länder-Gipfels sind mittlerweile so komplex, dass geplante Öffnungsperspektiven nicht wie oben beschrieben einen Weg zurück in Richtung Normalität darstellen und eigentlich auch nicht mal einen adäquaten Trampelpfad. Es fühlt sich eher an wie ein Irrweg durch ein Labyrinth von verschiedenen Inzidenzwerten. Unter Berücksichtigung voranschreitender Mutantenausbreitung. In Abhängigkeit von Schnell- und Selbsttests und den Fortschritten beim Impfen, die nicht so groß sind wie erhofft. Den ganzen Kommentar lesen Sie hier."
Redaktionsnetzwerk Deutschland (Hannover): "Es klingt paradox: Der Staat hat die Pandemie nicht im Griff, die Fallzahlen steigen, das mutierte Virus breitet sich aus, es fehlt an Schnelltests und Impfungen – und Deutschland lockert den Lockdown. (…) Für den Fall, dass bisherige Erfolge durch die neue Strategie zunichtegemacht werden, haben Merkel und die Ministerpräsidenten eine Notbremse eingebaut: alles wieder auf Anfang, neuer Lockdown. Das würde die Menschen vollends demoralisieren. Merkel hat sich so oft mit dem Appell durchgesetzt, man müsse nur noch ein paar Wochen durchhalten. Die Schnelltests sind angeblich im April ausreichend vorhanden, und dann ist die Impfquote höher. Auch die wärmere Jahreszeit würde helfen, die Pandemie in den Griff zu bekommen. Ein paar Wochen noch. Diesmal hat Merkel es nicht geschafft."
- Spiegel: "Gefühl schlägt Verstand"
- FAZ: "Gefangen in Unterpunkten"
- Tagesschau: "Wer steigt da noch durch?"
- RND: "Lockerungen ohne Sicherheitsgefühl"