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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Historische Debatte" Im Corona-Hotspot Berlin: Hier trifft sich Merkel mit den Länderchefs
In Berlin explodieren die Corona-Zahlen – trotzdem bittet Merkel die Ministerpräsidenten zum persönlichen Gespräch ins Kanzleramt. Wie die Gespräche aussehen könnten.
Selbst durchlüften wird die Kanzlerin wohl nicht müssen. Im Herzen der Hauptstadt begrüßt Angela Merkel am Mittwochnachmittag die Ministerpräsidenten der Bundesländer. Es ist das erste Mal seit Juni, dass sich alle Länderchefs persönlich nach Berlin aufmachen werden. Im Kanzleramt treffen sie Merkel, beraten über die dramatischen Corona-Entwicklungen in Deutschland und wollen möglichst einen neuen Plan zur Eindämmung der Pandemie verkünden.
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Doch es ist auch ein Treffen an einem Ort, an dem das mit dem Eindämmen des Virus momentan so gar nicht recht zu funktionieren scheint: Berlin ist Corona-Hauptstadt, die wöchentliche Neuinfektionsrate lag am Dienstag pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner bei 71,5 – eine der drei hauptstadteigenen Corona-Ampeln steht auf Rot. Im Bezirk Mitte, dort wo das Kanzleramt schräg gegenüber vom Bundestag liegt, ist der Wert sogar noch einmal höher: 117,2.
Merkel besteht auf persönliches Erscheinen
Während allerorts beschworen wird, mit möglichst wenig Menschen in einem geschlossenen Raum Zeit zu verbringen, geht die Bundesregierung also einen anderen Weg: Merkel soll laut der "Bild"-Zeitung auf die persönliche Teilnahme der Ministerpräsidenten gepocht haben. Kanzleramtschef Helge Braun begründete gegenüber den Staatskanzleichefs der Länder die Notwendigkeit hierfür mit der dramatischen Infektionslage. Man müsse eine offene Debatte führen, die "historische Dimensionen" haben könne, wurde er unter Bezug auf Teilnehmer zitiert.
Doch es gibt auch profanere Gründe für die Abkehr von den Telefonkonferenzen zurück zum persönlichen Gespräch: Zu oft soll in den Video-Schalten einfach wild durcheinander geredet worden sein, heißt es. Gleichzeitig sollen vertrauliche Inhalte aus den Gesprächen ruckzuck an die Öffentlichkeit gedrungen sein. Ein Ministerpräsident, so berichtet der "Spiegel", wollte sich daraufhin sogar nur noch zitieren lassen, wenn seine Pressestelle die Aussagen vorher autorisiert.
Stattdessen gibt es nun also das Treffen im Kanzleramt, genauer gesagt im ersten Stock des Gebäudes. Dort befindet sich der internationale Konferenzsaal, direkt daneben empfängt die Kanzlerin normalerweise die Medien zur Pressekonferenz. Der Raum hat hohe Decken und einen großen runden Tisch in der Form eines Rings in der Mitte, um diesen herum sind weitere Sitzgelegenheiten angeordnet. Licht strömt durch deckenhohe Fenster auf der einen Seite des Saals. Hier hat sich das Arbeiten in Pandemiezeiten bewährt.
"Besonders optimiert und fachlich überprüft"
Denn dorthin ist Merkel bereits mit ihrer Ministerrunde umgezogen, dort sprach sie mit einzelnen Staatschefs oder mit Umweltaktivistin Greta Thunberg. Der Saal hat Platz für rund hundert Gäste, die in der Corona-Zeit so wichtigen Abstände können also von der Kanzlerin und den 16 Länderchefs eingehalten werden. "Die Bedingungen sind im Bundeskanzleramt und insbesondere im internationalen Konferenzsaal, in dem auch die wöchentlichen Kabinettssitzungen stattfinden, besonders optimiert und fachlich überprüft worden", heißt es dazu vom Kanzleramtschef.
Was das genau bedeutet, ließ das Kanzleramt in einer Presseanfrage von t-online allerdings zunächst unbeantwortet. Aufnahmen von Kabinettssitzungen aus den letzten Monaten geben aber einen Einblick: Sie zeigen, dass nur wenige der Sitzmöglichkeiten genutzt werden. Tische sind mit Namensschildern versehen, dazwischen bleiben die Plätze frei.
Sie zeigen aber auch, dass es bisher offenbar keine Pflicht zum Tragen einer Gesichtsmaske gegeben hat. Desinfektionsmöglichkeiten an den Sitzplätzen sind ebenfalls nicht zu erkennen. Es offenbart sich zudem, dass das Abstandhalten von den Politikern nicht immer konsequent eingehalten wird. Fotos zeigen Merkel beispielsweise in Gesprächen mit Innenminister Horst Seehofer (CSU) oder ihrem Vizekanzler Olaf Scholz (SPD), sie sind keinen Meter voneinander entfernt. Andere Aufnahmen zeigen Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, NRW-Landeschef Armin Laschet und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil ziemlich dicht zusammengerückt. Vorbildlich dabei: Sie alle tragen eine Maske.
Gut möglich, dass Merkel und Co. am Mittwochnachmittag penibler auf die Einhaltung der Corona-Gebote achten werden – allein schon wegen der Vorbildfunktion: Schließlich gilt eine Verschärfung der Maskenpflicht als neue Maßnahme für die Bevölkerung als nahezu sicher.
- Eigene Recherche
- ZDF: Merkel per Telefon im Kabinett
- Stuttgarter Nachrichten: Bleibt sie? Zieht er ein?
- BZ: Aktivistin trifft auf Kanzlerin