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AfD: Zeigt die "Tagesschau" Bilder aus Moria nicht? | Faktencheck


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AfD-Behauptung
Faktencheck: Zeigt die "Tagesschau" Bilder aus Moria nicht?


Aktualisiert am 19.09.2020Lesedauer: 4 Min.
Moria: In einem Video zeigt die AfD mehrere Szenen, die in der Tagesschau nicht zu sehen gewesen sein sollen. Doch sie finden sich auch alle bei der Tagesschau.Vergrößern des Bildes
Moria: In einem Video zeigt die AfD mehrere Szenen, die in der Tagesschau nicht zu sehen gewesen sein sollen. Doch sie finden sich auch alle bei der Tagesschau. (Quelle: Youtube/AfD-Landtagsfraktion NRW, tagesschau.de)
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In einem Video kündigt die AfD Bilder aus Moria an, die die Tagesschau "nicht zeigt". Alle waren bei der Tagesschau zu sehen. Eigentlich geht es um etwas anderes.

Die AfD-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen behauptet in einem Video, aus Moria würden vor allem Bilder von Kindern, Frauen und Familien gezeigt. Sie kündigt Bilder an, die die Tagesschau nicht zeige. Alle Ausschnitte, die dann im 3:39 Minuten langen Video auftauchen, sind allerdings von Szenen, die auch die Tagesschau gezeigt hat.

In dem Video spricht die integrations- und kulturpolitische Sprecherin der AfD-Fraktion, Gabriele Walger-Demolsky, die sich offenbar nur unzureichend mit den Hintergründen vertraut gemacht hat oder sie verschweigt. t-online geht die Szenen durch, die angeblich die Tagesschau nicht zeigt – und beantwortet die Frage, um die es der AfD offenbar eigentlich geht: Wie viele Frauen und Kinder sind unter den Menschen im Flüchtlingslager?

Männer steigen in den Flieger: Im AfD-Video ist ein Ausschnitt von jungen Menschen zu sehen, die in ein Flugzeug steigen, das sie von Lesbos wegbringt. Im AfD-Video wird kommentiert: "Kinder, Frauen, Familien suchen wir hier vergeblich." Das ist allerdings nicht verwunderlich. Die Tagesschau hat die Szene gezeigt, aber auch erklärt, was zu sehen ist: Es handelt sich um minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Deshalb können keine Familien oder Kleinkinder zu sehen sein.

Durch das Bild laufen aber sogar auch Mädchen. Unter den 4.558 unbegleiteten Minderjährigen in Griechenland Ende Juli machten sie nach Zahlen der UNHCR 6,9 Prozent aus, Kinder unter 14 Jahren nur 7,6 Prozent. Das ist auch naheliegend: Für Mädchen und kleine Kinder ohne Begleitung Erwachsener ist die Flucht besonders gefährlich.

Männer stehen in einer Schlange: Zu Beginn des AfD-Beitrags sind fast ausschließlich Männer und Jugendliche zu erkennen, die in einer Schlange zur Lebensmittelausgabe anstehen. Bei der Tagesschau gab es Bilder in der Schlange stehender Männer auch. Richtig ist: Dort wurde die Schlange nicht in voller Länge abgefahren. Absurd ist der mitschwingende Vorwurf dennoch, solche Bilder würden aus politischen Gründen nicht gezeigt: Das von der AfD genutzte Video, auf dem so viele Männer in der Schlange stehen, hat die Flüchtlingsorganisation "Mission Lifeline" veröffentlicht.

Menschen stellen Stühle vor den Reichstag: Im Beitrag kritisiert Walger-Demolsky die Stimmen, die in Deutschland problemlos Platz für die Aufnahme von 13.000 Menschen sehen. Das ist eine völlig legitime politische Position, rund zehn Prozent der Deutschen sind laut aktuellem Deutschlandtrend sogar grundsätzlich gegen eine Aufnahme von Moria-Flüchtlingen. Während die AfD-Abgeordnete darüber spricht, sind die Bilder vom Aufbau von 13.000 Stühlen am Reichstag zu sehen. Auch das lief in der Tagesschau, Bilder aus Berlin waren aber wohl auch nicht gemeint mit dem Vorwurf der AfD. Walger-Demolsky erklärt zudem, die Wohnungsnot sei auch ohne die Aufnahme weiterer Menschen schon groß. Allerdings ist Knappheit in Deutschland vor allem ein Problem, weil viele Menschen in die Städte ziehen wollen – Flüchtlinge spielen dabei eine untergeordnete Rolle.

Einheimische bauen Blockaden auf: Im AfD-Video wird behauptet, dass die Haltung der Bewohner auf Lesbos in der Tagesschau nicht thematisiert werde. Dort ist der Unmut über die Situation groß – wie die Tagesschau mit Bildern einer Blockade zeigte, die auch im AfD-Video auftaucht. Die Szene lief zumindest in den Tagesthemen und ist auch auf tagesschau.de zu finden.

Rund ein Viertel sind Frauen

Bleibt die Frage, wie hoch der Anteil von Frauen, Kindern und Jugendlichen unter den Menschen auf Moria ist. Die jüngsten, am 16. September veröffentlichten Zahlen der UNHCR weisen für Moria keine eigenen Zahlen aus, sondern fassen 26.500 Flüchtlinge auf griechischen Ägäisinseln zusammen. Frauen machen demnach 21 Prozent der Menschen aus. Kinder und Jugendliche 31 Prozent. Davon wiederum seien 70 Prozent jünger als zwölf Jahre.

In Moria selbst dürfte die Zusammensetzung sich aber nicht signifikant unterscheiden. Nach Zahlen der Verwaltung des Camps waren zum Jahreswechsel 36 Prozent der Bewohner Männer, 29 Prozent Frauen und 35 Prozent Kinder und Minderjährige im Alter von bis zu 18 Jahren.

Frauen und Kinder dürften jedoch in den Beiträgen der Tagesschau tatsächlich überrepräsentiert sein. Allerdings wird die Not bei Frauen mit Kindern auch deutlicher sichtbar. Bilder eines Beitrags von Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf auf Pro7 hatten deutlich erschütterndere Eindrücke vermittelt als die eher nüchternen Beiträge der Tagesschau.

Medienwissenschaftler: Verhältnis in Medien stimmt

Und die Tagesschau hatte sich in einer Studie der Universität Mainz vorhalten lassen müssen, 2015 in der Flüchtlingskrise Frauen und Kinder deutlich überbetont zu haben. Die Medienwissenschaftler hatten statistische Informationen über soziodemografische Merkmale und Kriminalität von Zuwanderern mit Berichterstattung und Bildern verglichen. Bei den ausgewerteten Beiträgen der Tagesschau waren Frauen und Kinder etwas häufiger zu sehen, als es ihrem Anteil an den Flüchtlingen entsprach. Insgesamt habe das Verhältnis in den Medien aber gestimmt.

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"Medien stellten die Fakten in der 'Flüchtlingskrise' nicht falsch dar", fasste einer der Autoren auf Twitter zusammen. "Sie berichteten zwar einseitig, jedoch nicht durchweg zugunsten der Zuwanderer."

Und die Medien zeigen auch Bilder, die man bei ihnen angeblich nicht sieht – auch wenn das aus der AfD anders behauptet wird, um Vertrauen in Medien zu untergraben.

Verwendete Quellen
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