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Corona-Krise: 82-Jähriger fordert in Petition Aufhebung aller Beschränkungen


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Petition eckt an
82-Jähriger fordert Aufhebung aller Corona-Regeln


Aktualisiert am 30.03.2020Lesedauer: 4 Min.
Ansgar Klein spricht regelmäßig bei Kundgebungen. Mit seiner Frau Helene (beide 82) ist er Initiator der Petition, die die Aufhebung aller Beschränkungen wegen des Coronavirus fordert.Vergrößern des Bildes
Ansgar Klein spricht regelmäßig bei Kundgebungen. Mit seiner Frau Helene (beide 82) ist er Initiator der Petition, die die Aufhebung aller Beschränkungen wegen des Coronavirus fordert. (Quelle: Screenshot/YouTube)

Die vielleicht provozierendste Petition des Jahres fordert die sofortige Aufhebung der Ausgangsbeschränkungen wegen Corona, weil damit nur die Demokratie eingeschränkt werden solle. Selbst in

Alle Einschränkungen wegen des Coronavirus wieder aufheben, die den Zusammenbruch des Gesundheitssystems verhindern sollen? Während sich die deutsche Öffentlichkeit gefühlt vor allem über Menschen aufregt, die sich nicht um Kontaktsperren und Ausgangsbeschränkungen scheren, fordern ein 82-Jähriger und seine gleichaltrige Frau, dass alle Regeln gekippt werden. Die eigentliche Welle an Erkrankungen wird dabei aber noch kommen.

"Wir gehören zur Risikogruppe", sagt Ansgar Klein. Diese Information hat er in seiner Petition "Sofortige Aufhebung aller in der 'Corona-Krise' verfügten Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten" noch ergänzt. "Manche Leute meinten, wir wären irgendwelche jungen Leute, die nicht an die Älteren denken". Er nehme auch das Virus ernst.

Seine Forderung bedeutet in den Augen fast aller Experten, Leben vor allem älterer Menschen in Gefahr zu bringen. Sie hatte am Montagmittag 20.000 Unterstützer gefunden, ehe sie von OpenPetition ausgesetzt wurde: "Petitionen mit falschen Tatsachenbehauptungen ohne geeignete Quellenangaben oder mit irreführender Unterschlagung von relevanten Tatsachen werden beendet." Als Reaktion auf seine Forderungen wird auf Twitter und Facebook inzwischen von anderen Nutzern häufig ein Formular gepostet: Eine "Verzichterklärung" auf intensivmedizinische Versorgung bei Covid-19.

Update: Die Petition ist mit geändertem Text wieder freigeschaltet worden. Sie hat inzwischen (14. April) mehr als 50.000 Unterzeichner.

Auch Juristen mahnen wegen Grundrechtseingriffen

t-online.de telefonierte mit Angar Klein, bevor die Petition ausgesetzt wurde. Ihn treibe die Sorge um, dass "bei der Corona-Panik so einiges den Bach heruntergeht, was unseren Staat ausmacht", sagte er zu t-online.de. Tatsächlich kritisieren auch renommierte Juristen, dass den Grundrechtseingriffen vielfach die entsprechende Grundlage fehlt. Sie fordern aber Nachbesserungen, nicht die Aufhebung aller Maßnahmen.

Klein ist freundlich am Telefon, aber skeptisch, als er hört, dass sein Gesprächspartner von "t-online.de" ist: "Mainstreammedien". Seit 21 Jahren schaut der pensionierte Oberstudiendirektor, einst zunächst bei der SPD und dann bei den Grünen aktiv, kein Fernsehen mehr. Dafür kennt er so ziemlich jedes YouTube-Video, das seine These stützt: Die Maßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus sind übertrieben, das Virus ist gar nicht so gefährlich. Einige Videos sind gelöscht, für ihn Beleg einer Verschwörung.

Klein ist jemand, der 9/11, die Anschläge aufs World Trade Center für inszeniert hält, um Krieg führen zu können, er hat Merkel angezeigt wegen "Vorbereitung eines Angriffskriegs" in Syrien. 2014 hat der langjährige Friedensaktivist die traditionelle Friedensbewegung zusammenführen wollen mit der "Friedensbewegung 2.0", den "Mahnwachen für den Frieden".

Nach Anfängen mit breiter Beteiligung zogen diese Mahnwachen vor allem ein Publikum an, das außerhalb der Szene manchmal spöttisch "Wahnwichtel" genannt wurde und in dem viele Wissenschaftler eine Querfront sehen. Antisemitismus, Antiamerikanismus und Reichsbürgertum waren dort verbreitet.

Mahnwachen-Gründer lobt Bundesregierung

Diese Szene setzt sich auch jetzt intensiv mit dem Coronavirus und den Maßnahmen dagegen auseinander – mit ganz unterschiedlichen Positionen. Eines der damaligen Gesichter der "Mahnwachen", Ken Jebsen, hat für ein Video ein Gitter vor die Kamera gestellt und raunt in Richtung der "Käfige" seiner YouTube-Zuschauer: Der Shutdown sei ein "shut up für den Bürger".

Weiter erklärt er: "Die Demokratie wurde weggesperrt und das Volk gehorcht." Wer verhindern wolle, dass die Gelbwesten – die in Deutschland bedeutungslos sind – sich ausbreiten, müsse nur von einem Virus sprechen, "dann sperren die Leute sich selbst ein". Dass der Großteil der Ärzte die Maßnahmen für nötig hält? "Ärzte sind innerhalb ihrer Kaste autoritätsgläubig", so der frühere Radiomoderator. Das Video hat mehr als 500.000 Aufrufe.

Ganz anders hört sich das bei Lars Mährholz an, dem Initiator der "Mahnwachen". Mährholz, einst Geschäftsführer in diversen Pflegeheimen und Geschäftsführer eines Rettungsdienstes, spricht in einem nur von einigen Hundert Menschen gesehenen Video davon, dass "die Bundesregierung ihre Maßnahmen sehr umsichtig trifft". Er habe versucht, mit den Mahnwachen das System zu verändern, sagt Mährholz in seinem Video. "Aber momentan möchte ich in keinem anderen Land auf der Welt leben". Deshalb sei es auch "sehr fragwürdig, von einem Krieg gegen die deutsche Bevölkerung zu sprechen".

Mährholz geht auch auf viel geteilte Videos mit abweichenden Meinungen von Medizinern zur Gefahr ein: "Ein oder zwei Videos sind kein Beweis, dass irgendwas gelogen ist oder nicht stimmt." Man müsse davon ausgehen, dass das Gesundheitssystem in Italien absolut überfordert ist. "Die Bundesregierung tut das erste Mal seit Jahrzehnten das Richtige. Wir werden nie erfahren, wie schlimm es gewesen wäre, hätten wir nichts gemacht."

Auf Telegram kein Widerspruch
Im Messengerdienst Telegram bleiben zweifelhafte oder widerlegte Thesen zum Coronavirus oft ohne Widerspruch. Aus den Facebook-Gruppen sind wegen "Zensur" auf Facebook viele Nutzer zu Telegram abgewandert. Politikwissenschaftler Josef Holnburger, der zur Verbreitung von Verschwörungstheorien forscht, ist auf einen rapiden Anstieg der Abonnenten in einzelnen Kanälen gestoßen. "Rechte Verschwörungstheoretiker haben sich auf Telegram eine Plattform geschaffen. Die Coronakrise wird genutzt, um zu radikalisieren."

Widersprechende Positionen finden sich auch auf der 200.000 Fans zählenden Seite "Frieden rockt". Sie ist aus den "Mahnwachen für den Frieden" hervorgegangen, postete von jüdischer Finanzverschwörung und warb für die rechtsesoterische Anastasia-Sekte*, wirkt aber mit Taube und Herzchen im Profil sehr freundlich.

Aktuell hat sie sowohl "die schlechte Vorbereitung" und "die todbringende Lüge des Gesundheitsministers Jens Spahn" wie auch die Petition von Klein gepostet. Das wurde mehr als 200-mal geteilt. Auf keiner anderen Seite oder öffentlichen Gruppe gab es mehr Resonanz. Der Administrator hat privat auch gepostet: "Das ist keine Krise, das ist Betrug."

Viel Widerspruch in Verschwörungsgruppen

Am meisten Likes hat auf der Seite aber eine Antwort bekomme. Dort schreibt ein Nutzer: "Ich bin raus, Frieden rockt (definitiv), aber das hier ist der Vorstufe zur Eskalation also definitiv keinen Frieden ..."

Unverständnis über den Vorschlag gibt es auch in anderen Gruppen, die "Mainstream" ablehnen und sich aufgeklärt geben. Dort sind vielfach auch Menschen aus dem Gesundheitswesen, die energisch protestieren. Dennoch verdankt die Petition ihre Verbreitung auch Gruppen wie Weltweiter Widerstand (37-mal geteilt), ARD und ZDF und ihre neoliberalen Lügenmärchen (16-mal geteilt), Gegen Massenblendung (17-mal geteilt) oder Reale Verschwörungen, aber auch Gruppen zu Chemtrails oder sogar zu Veganismus.

*In einer früheren Fassung hatten wir "Anastasie"-Sekte geschrieben.

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