Thüringen-Drama So sehr kann man’s doch gar nicht verbocken
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Die CDU in Thüringen will keine CDU-Ministerpräsidentin – jedenfalls nicht nur für einen kurzen Übergang. Und als wäre das nicht irre genug, stellt sich heraus: Lieberknecht will gar nicht länger bleiben.
Vielleicht hat Mike Mohring das mit dem Vorwärts-Scheitern einfach falsch verstanden. Das Business-Buzzword "Failing Forward" besagt, man solle sich nach einem Scheitern nicht grämen, sondern es einkalkulieren und aus der Erfahrung lernen, also klüger werden. Das mit dem Scheitern hat Mohring in den letzten Wochen perfektioniert. Nur das mit dem Klügerwerden scheint er vergessen zu haben.
Immer wenn man glaubt, die CDU könnte sich nicht noch tiefer reinreiten, denkt sich Mike Mohring offenbar: Hold my beer, wartet nur ab. Der letzte Streich des Noch-CDU-Landeschefs: Er hat es hinbekommen, dass die frühere CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht ihn und die Thüringer CDU bloßstellt. Und dann hat er daraus auch noch die völlig falschen Schlüsse gezogen.
Völlig verfahren
Es stimmt natürlich, die Lage in Thüringen ist völlig verfahren, auch und gerade für Mike Mohring. Die Landtagswahl hat die CDU absehbar in die Lage gebracht, sich zwischen AfD und Linker entscheiden zu müssen, obwohl sie sich weder für die AfD noch für die Linke entscheiden darf. Ein Parteitagsbeschluss schließt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit mit beiden aus.
Mohring hat vor der Wahl so getan, als würde er sich daran halten, nur um sich schon am Wahlabend der Linken anzudienen und dann erst auffällig spät einzuschreiten, als seine CDU der AfD Offerten machte. Dann wollte er erklärtermaßen ein bisschen mit Rot-Rot-Grün regieren, ohne es so nennen zu dürfen. Es kam anders, seine CDU-Fraktion stimmte mit FDP und AfD für den FDP-Politiker Thomas Kemmerich. Er sagt, weil er es nicht verhindern konnte. Allein das wäre bezeichnend genug.
Und jetzt, wenn es darum geht, den Misthaufen wegzuschaffen, der die Wahl Kemmerichs für die gesamte deutsche Politik bedeutet, bekommt er nicht mal das hin, ohne sich völlig zu blamieren. Und ganz nebenbei die politische Lage in Thüringen noch mehr zu verbauen.
Eine kleine Gemeinheit
Natürlich war das Angebot der Linken eine kleine Gemeinheit. Sie schlug vor, die frühere Ministerpräsidentin Lieberknecht für einen kurzen Übergang zur Regierungschefin zu machen, nur um so möglichst schnell zu Neuwahlen zu kommen. Die Linke wusste natürlich, dass die CDU gerade überhaupt keine Lust auf Neuwahlen hat, weil sie massiv verlieren würde und anschließend viele Abgeordnete keine Abgeordneten mehr wären. Und sie wusste, dass Mohring und Lieberknecht so etwas wie beste Feinde sind. Sie konkurrierten einst um die Nachfolge von Dieter Althaus, erst setzte sich Lieberknecht durch, später Mohring.
Mit einer CDU-Ministerpräsidentin für den Übergang nahm die Linke der CDU trotzdem fast alle Argumente, um dagegen sein zu können. Die CDU fand aber noch eins: Der Übergang müsse länger sein, um wenigstens noch den Haushalt 2021 verabschieden zu können.
Selbst wenn man dem Argument etwas abgewinnen könnte und sogar noch Mitgefühl für die um ihr Amt fürchtenden Abgeordneten aufbrächte: Die CDU hätte damit rechnen müssen, dass zumindest die Linke da nicht mitspielt. In dieser verfahrenen Lage hätte es ihr als geradezu fahrlässig erscheinen müssen, mit Gegenforderungen einen möglichen Konsens zu gefährden. Im Idealfall, weil man wirklich an einer Lösung interessiert ist. Mindestens aber, um anschließend nicht als düpierte, machtbesoffene Chaostruppe dazustehen.
Außergewöhnlich verbockt
Fast schon konsequent erscheint es da, dass Mohring auch nach diesem erneuten Desaster noch ein erstaunliches Maß an Realitätsverweigerung beweist. Denn er beklagte sich sogleich über den Parteitagsbeschluss zu Linker und AfD. "Kann so ein Parteitagsbeschluss mehr wirken als das Wohle des Landes?" Und man möchte ihm fast zurufen: Nein!
Nur hat der Beschluss in diesem Fall ausnahmsweise mal überhaupt nichts damit zu tun, dass eine Lösung für Thüringen gescheitert ist. Noch-CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte ihn nach der Kemmerich-Wahl mit Blick auf Thüringen nämlich weiter aufgeweicht. Der CDU ist es weiterhin nicht erlaubt, mit der AfD einen Ministerpräsidenten zu wählen. Zusammen mit der Linken zu wählen, schließt die CDU aber nicht mehr explizit aus, solang der Kandidat nicht der Linken angehört.
Der Lieberknecht-Plan war damit einer der wenigen, der überhaupt für die CDU hätte funktionieren können. Nun ist er wegen der CDU gescheitert. Die Wähler werden sich auch das merken.
Es so zu verbocken, das ist wirklich außergewöhnlich.
Korrektur: In einer früheren Fassung dieses Textes hatten wir nahegelegt, dass die CDU Thüringen ihren Gegenvorschlag vorher nicht mit Christine Lieberknecht besprochen habe. Die Partei weist jedoch darauf hin, dass dies am Dienstag passiert sei. Lieberknecht habe da noch gesagt, dass sie für beide Modelle zur Verfügung stünde. Wir haben die entsprechende Passage angepasst und bitten, den Fehler zu entschuldigen.