Polizisten über den Kampf gegen die Mafia "Die Steuerfahnder telefonieren sich einen Wolf"

Finanz- und Wirtschaftsermittler müssen vor Mafia, Clans und Steuerbetrügern kapitulieren. Der Spur des Geldes können sie nicht effektiv folgen. Das liegt an unzureichenden Befugnissen, sagen Fahnder.
Juli 2015. Die Bundespolizei stoppt an der belgisch-deutschen Grenze bei Aachen einen hochklassigen Mercedes aus Bremen. Am Steuer: zwei Libanesen, vom angeblichen Einkauf im Nachbarland auf dem Weg ins norddeutsche Zuhause. In der Tasche: statt belgischer Pralinen knapp 500.000 Euro in bar mit Spuren von Kokain.
Geldwäsche-Paradies Deutschland
Der Fang hat dazu beigetragen, dass sich derzeit 15 Angeklagte vor einem Pariser Gericht verantworten, denen französische Fahnder lange auf der Spur waren. Sie gehören zu einer Bande, die offenbar im Auftrag südamerikanischer Drogenbarone in Deutschland Bargeld aus dem Rauschgifthandel in hochwertige Luxusgüter wie Schmuck und Autos investieren sollte – um die Vermögensherkunft zu verschleiern und die schweren Golduhren zum Wiederverkauf in den Nahen Osten zu bringen.
Trotz des Coups der Bundespolizisten gegen das möglicherweise weltweit größte Geldwäschenetzwerk ist die Festsetzung der Gang kein Lorbeer für Deutschland. Denn der Vorgang belegt, dass der deutsche Staat Geldwäschedelikten wohl ziemlich gleichgültig gegenübersteht – nicht nur, weil hier die Bezahlung mit hohen Bargeldbeträgen möglich ist.
Experten werden abgezogen
Experten von Polizei, Zoll, Steuerfahndung und Staatsanwaltschaft haben in Düsseldorf auf Einladung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Erfahrungen über die Bekämpfung der Steuer-, Wirtschafts- und Finanzkriminalität ausgetauscht. Viele ihrer Bewertungen kommen einem Verriss gleich. "Mittlerweile sind Betrug zulasten der Pflegeversicherung, Erschleichung von Sozialleistungen und sogar der Betrug zulasten älterer Menschen durch falsche Polizisten Betätigungsfelder der organisierten Kriminalität", sagte der Leiter der Dortmunder Wirtschaftsfahnder, Frank Schniedermeier. Es sei deshalb falsch, wenn Experten aus diesem Bereich zu Großeinsätzen abgezogen würden oder erst keine Aufstiegschancen erhielten.
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Mehr noch: Das Handeln der Behörden sei "geprägt von mangelhafter Personal- und Sachmittelausstattung, schlechter IT, in Teilen untauglicher Behördenorganisation, kaum vorhandenem Informations- und Datenaustausch", sagt GdP-Bundesvize Frank Buckenhofer. Seine Ansage: Finanzermittler aus Berlin oder Hamburg haben keinen direkten Zugriff auf die Computersysteme ihrer Kollegen aus NRW oder Bayern. "Die Steuerfahnder der 16 Bundesländer haben keine gemeinsame Ermittlungsdatenbank", sagte Buckenhofer auf Nachfrage von t-online.de. "Die telefonieren sich einen Wolf."
Datenschutz schreibt strenge Trennung vor
Der Chef des Landeskriminalamtes von Nordrhein-Westfalen, Frank Hoever, sieht das für die digitalen Systeme im Bereich der Polizei ähnlich: "16 verschiedene Schreibweisen machen es schwierig, die Daten zusammenzuführen." Selbst dort, wo in Hoevers LKA Polizisten und Steuerfahnder seit einiger Zeit zum besseren Austausch Tür an Tür arbeiten, schreibt der Datenschutz strenge Trennungen vor: Getrennte Computersysteme, getrennte Fortbildungen und getrennte Generalschlüssel. Polizisten sollen nicht die Büros der Finanzbeamten in deren Abwesenheit betreten können und umgekehrt, erzählt Steuerfahnder Norbert Naulin.
Dabei erzwingt zum Beispiel das verstärkte Auftreten von Clans aus dem Libanon und dem arabischen Raum ein gemeinsames Vorgehen von Polizisten, Steuerfahndern, Sozialbehörden und sogar Stadtverwaltungen. Bund und Länder sind sich eigentlich einig, gegen die Großfamilien mit der Beschlagnahme ihrer riesigen Vermögen vorzugehen. Denn die konzentrieren sich inzwischen nicht mehr nur auf die Regionen Berlin, Ruhrgebiet und Bremen/Niedersachsen, sondern dehnen sich auf ländlichere Gebiete aus. Die Sicherstellung von 17 Immobilien eines Clans in der Hauptstadt hat die neue Methode im Frühsommer bundesweit bekannt gemacht.
Ermittlungen in sozialen Medien
Seit dem letzten Jahr erlaubt ein neues Gesetz, schon beim bloßen Verdacht Vermögen abzuschöpfen, das aus illegalen Aktivitäten stammen könnte. Der Leitende Oberstaatsanwalt Jose Ascensio Pagan, der der bundesweit ersten Zentralen Organisationsstelle für Vermögensabschöpfung in Hamm vorsteht, spornt deswegen seine Kollegen von der Polizei an, auf der Spur des Geldes zu bleiben. Vermögensentzug treffe die Täter mehr als eine Haftstrafe.
Ascensio Pagan entwickelt eigene Ermittlungstricks und empfiehlt die weiter: Die Bezahlung eines Parkknöllchens aus einer Tüte mit Geldscheinpacken könne zur sofortigen Sicherstellung des Geldes führen, sagt Ascensio Pagan. Und der Blick der Fahnder in soziale Netzwerke wie Instagram lässt schnell Clanmitglieder auffliegen, die ihr Porträt mit protziger, PS-starker Kawasaki vor teurer Villa posten. Sie sollten dann bald Besuch von der Staatsmacht erhalten, die wissen will, wie das zum Hartz-IV-Einkommen passt, das der Betreffende bezieht.
Nur: Geht das so reibungslos im Alltag? Tatsächlich ist neben Personalmangel die Informationsbeschaffung über kriminell besorgte oder auch nur verdächtige Vermögen eine der großen Schwachstellen. Noch unter Ex-Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist die Sammlung verdächtiger Geldbewegungen vom Bundeskriminalamt auf die Zollbehörden übertragen worden. Aber die dort geschaffene Financial Investigation Unit FIU kann keine Gesamtzusammenhänge von Straftaten herstellen. Sie hat keinen Zugriff auf die Dateien, die das BKA bisher nutzen konnte. Einschlägige Informationen zu Mitgliedschaften in der organisierten Kriminalität, in Terrororganisationen oder auch über Täter im Zusammenhang mit Kinderpornografie bleiben ihr verschlossen. Die Folge, so LKA-Chef Hoevel: Die Zahl der Meldungen auffälliger Transaktionen ist zurückgegangen.
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GdP-Vize Buckenhofer bezweifelt die Arbeitsfähigkeit der neuen Behörde: "Die FIU ist im letzten Oktober gegen die Wand gefahren." Seine Forderung: Die heute einzelnen, gegeneinander abgeschotteten Bereiche bei Zoll und Finanzbehörden zu ersetzen und eine schlagkräftige Finanzpolizei aufzubauen. Gegen Steuerbetrüger, geldwaschende Mafiosi und Menschenhändler, die ins Land geschmuggelte oder gelockte Arbeitskräfte weit unter Mindestlohn ausbeuten.
- eigene Recherchen