Kokain und Geldwäsche "Die Mafia integriert sich gut in Deutschland"
Kokain, Geldwäsche, Mord und Totschlag – und Investitionen in die Wirtschaft: Die italienische Mafia operiert global. In Deutschland dabei oft unentdeckt. Doch immer wieder gelingen Ermittlern spektakuläre Festnahmen. Experten fordern eine noch engere internationale Zusammenarbeit der Behörden. Auch Italiens Innenminister möchte eine europäische Lösung.
Als die Küstenwache ein Segelschiff, das vor der spanischen Küste kreuzt, inspizieren möchte, geht die Jacht in Flammen auf. Zwei Mitglieder der Besatzung springen ins Meer. An Bord findet die Polizei eine halbe Tonne Kokain. Die Drogen stammen aus Brasilien und ihre Spur wird die Ermittler auch nach Deutschland, genauer nach Karlsruhe führen.
Dort wohnt ein 39-jähriger Italiener, der den Schmuggel mitorganisiert haben soll – und er wiederum unterhält enge Kontakte zu einem 44-jährigen Mafia-Boss der neapolitanischen Camorra. Gemeinsam haben sie eine Autoleasing-Firma in Karlsruhe betrieben. Das Firmengeflecht aus insgesamt zwölf Unternehmen setzte auf Strohleute und umfasste Niederlassungen in sechs europäischen Ländern.
Italienische Mafia in Deutschland bestens vernetzt
Der Fall von Ende 2015 wurde erst vor wenigen Tagen öffentlich, als die Polizei den 39-jährigen und einen 22-jährigen mutmaßlichen Komplizen verhaftete. Er zeigt einmal mehr: Die italienische Mafia ist in Deutschland bestens vernetzt. Sie operiert und investiert bundesweit, überschreitet dazu europäische und internationale Grenzen. Es wird insgesamt gegen 29 Tatverdächtige ermittelt. Auch der Boss der Camorra wurde in Barcelona verhaftet.
Nur einige Wochen zuvor hatten gemeinsame Ermittlungen mit italienischen Behörden in Süddeutschland bereits zu 15 Verhaftungen geführt. Die Personen sollen enge Bezüge zur sizilianischen Cosa Nostra haben. Ermittelt wird wegen organisierter Drogenkriminalität, versuchtem Mord, Raub und Erpressung.
Aktivitäten der Mafia in Deutschland sind spätestens seit 2007 einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Damals erschossen Angreifer der kalabrischen 'Ndrangheta-Familie Strangio-Nirta Mitglieder der verfeindeten Familie Pelle-Romeo in einer Duisburger Pizzeria. Sechs Menschen kamen bei diesen "Mafiamorden von Duisburg" ums Leben. Ein "dramatisches Massaker" nennt das Marco Minniti, der italienische Innenminister, am Mittwoch auf einer Anti-Mafia-Konferenz in Berlin. "Hier ist die Welt Zeuge geworden: Die Mafia vermochte es, ihre kriminellen Aktivitäten weit über ihr Ursprungsgebiet auszuweiten."
"Mafia unterschätzt"
Die kalabrische 'Ndrangheta gehört neben der sizilianischen Cosa Nostra und der kampanischen Camorra zu den drei größten Mafiaorganisationen. Jede dieser Mafien umfasst laut kriminologischer Forschung rund 100 bis 150 Familien mit insgesamt jeweils 5000 bis 6000 Mitgliedern. Als wirtschaftlich stärkste Organisation gilt Kriminalisten heute die 'Ndrangheta: Ihr Umsatz wird jährlich auf über 50 Mrd. Euro geschätzt. Das Geld verdient sie überwiegend durch Kokainhandel und Geldwäsche.
Seit dem Massaker in Duisburg versucht der Verein "Mafia? Nein, danke!" in der deutschen Politik und Öffentlichkeit Bewusstsein für das Problem zu schaffen. Zur Anti-Mafia-Konferenz hat der Verein gemeinsam mit der Europäischen Bewegung Deutschland in die italienische Botschaft in Berlin eingeladen. Auch der deutsche Innenminister Thomas de Maizière (CDU) ist zu Gast.
Er spricht über organisierte Kriminalität, Drogenhändler, Menschenhändler, Schutzgelderpresser und welche besondere Priorität er und das Innenministerium auf die Bekämpfung derselben legen. Er spricht über die gute Zusammenarbeit der deutschen und italienischen Ermittlungsbehörden, die nach den Morden in Duisburg in Gang gekommen sei. Und er spricht über die enormen Auswirkungen der internationalen Geldströme aus dem Drogenhandel, die geeignet sind, ganze Staaten zu destabilisieren. Das Wort "Mafia" erwähnt er in der italienischen Botschaft kein einziges Mal.
Die Rede bestätigt die Einschätzung Sandro Mattiolis, des Vereinsvorsitzenden von "Mafia? Nein, danke!", der schon vor der Konferenz gegenüber t-online.de sagt: "Wir halten die italienische Mafia in Deutschland für systematisch unterschätzt". Die Mafia integriere sich in Deutschland sehr gut, habe widerstandsfähige Strukturen entwickelt und sei Kooperationen mit Unternehmen eingegangen.
Kooperationen mit der legalen Wirtschaft
Norditalien sei ein mahnendes Beispiel für Deutschland. "Dort wurde das Problem jahrzehntelang kleingeredet – heute sind dort ganze Branchen unterwandert und die Mafia kann nicht mal unter größtem Aufwand von öffentlichen Ausschreibungen ferngehalten werden".
In Norditalien geht die Mafia Kooperationen mit der legalen Wirtschaft ein, um ihr kriminell erwirtschaftetes Kapital reinvestieren zu können, sagt der Nationale Antimafia-Staatsanwalt Italiens Franco Roberti. Gleiches gelte für Deutschland. Die Kooperation sei jedoch keine Einbahnstraße: "Es gäbe keine Geldwäsche, kein Mafiakapital in der legalen Wirtschaft, gäbe es keine Nachfrage aus der Zivilgesellschaft dafür".
Der Bundestag hat in diesem Jahr einige Gesetzesänderungen verabschiedet, um die Symbiose aus kriminellem Kapital und bestimmten Wirtschaftszweigen zu unterbinden. Das betrifft insbesondere die Baubranche und die Gastronomie. Unter anderem soll kriminelles Vermögen in Zukunft einfacher abgeschöpft werden können. Ziel sei es, so de Maizière, den Rückfluss schmutzigen Geldes in den legalen Finanzkreislauf so schwer wie möglich zu machen.
Italien im Kampf gegen die Mafia nicht alleine lassen
Laura Garavini, italienische Parlamentsabgeordnete und Ehrenvorsitzende des Berliner Anti-Mafia-Vereins, sagt dazu in der ARD: "Es haben sich viele positive Dinge getan – es muss aber in internationale Fortbildungen für deutsche Ermittler investiert werden. Die Mafia agiert immer globaler und auch die Anti-Mafia-Bewegung muss internationaler zusammenarbeiten."
Auch Mattioli betont im Gespräch mit t-online.de, die Zusammenarbeit müsse weiter gestärkt werden. Es brauche mehr spezialisierte Ermittler in Deutschland. Innenminister Minniti fordert eine europäische Staatsanwaltschaft sowie eine europäische Zentralstelle zur Bekämpfung der Geldwäsche. De Maizière räumt dem allerdings wenig Chancen ein. Über die Staatsanwaltschaft werde bereits seit über zehn Jahren verhandelt – ohne Ergebnis .
Minniti richtete einen eindringlichen Appell an die Europäische Union, sowohl die Migrationsströme nach Italien als auch die Organisierte Kriminalität betreffend: "In dieser Lage wäre es ein dramatischer Fehler, Italien allein zu lassen".