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Bundesregierung will Wiederaufnahme von Mordprozessen ermöglichen


Regierung prüft Gesetzesverschärfung
Nach Freispruch kann ein Mörder nicht mehr belangt werden

24.10.2018Lesedauer: 4 Min.
Ein Forensiker bei der Spurensicherung am Tatort: Neue technische Beweisverfahren sollen die Wiederaufnahme von Mordermittlungen möglich machen – auch wenn der Täter bereits freigesprochen wurde. Doch die Gesetzesänderung hat noch hohe Hürden vor sich.Vergrößern des Bildes
Ein Forensiker bei der Spurensicherung am Tatort: Neue technische Beweisverfahren sollen die Wiederaufnahme von Mordermittlungen möglich machen – auch wenn der Täter bereits freigesprochen wurde. Doch die Gesetzesänderung hat noch hohe Hürden vor sich. (Quelle: imago-images-bilder)
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Geht es nach dem Willen der Bundesregierung, dürfen Mordfälle künftig neu aufgerollt werden, wenn es neue Beweise gibt. Selbst dann, wenn die Verdächtigen freigesprochen wurden. Einige Täter bleiben trotzdem frei.

Dürfen einmal freigesprochene Täter erneut angeklagt werden, wenn gegen sie neue belastende Beweise auftauchen? Die Bundesregierung prüft derzeit eine Verschärfung der Strafprozessordnung. Weil es im Grundgesetz aber ein "Rückwirkungsverbot" gibt, können bei sehr lange zurückliegenden Straftaten Mörder ungeschoren davonkommen, selbst wenn sie durch eindeutige DNA-Spuren überführt sind. Eine schlechte Nachricht für den Vater eines Mordopfers.

Der Fall Frederike

Denn Hans von Möhlmann hat immer wieder Gerechtigkeit für seine tote Tochter verlangt. Der Tod der 17-jährigen Schülerin Frederike aus Hambüren bei Celle hatte im November 1981 großes Aufsehen erregt – mit einem für die Hinterbliebenen nervenaufreibenden juristischen Tauziehen. Sie war nach einer Chorprobe nicht nach Hause gekommen. Vier Tage später wurde ihre Leiche in einem nahen Wäldchen gefunden. Der Täter hatte sie vergewaltigt und mit zahllosen Messerstichen umgebracht.

Über Reifenspuren am Tatort führte die Spur schließlich zu Ismet H. aus Celle. 1982 verurteilte das Landgericht Lüneburg den jungen Türken wegen Mordes zu lebenslanger Haft. Lange musste er die Strafe nicht verbüßen: Ein Jahr später sprach ihn das Oberlandesgericht frei. Ein Gutachter hatte festgestellt, dass sichergestellte Reifenspuren nicht vom Fahrzeug des Beschuldigten stammen könnten. Der Mann verließt die Haft – wohl zu unrecht.

Wende durch DNA-Spuren

Denn 2012 folgte die erneute Wende: Eine zur Tatzeit noch nicht mögliche DNA-Untersuchung von Haaren in der Binde des Mädchens bestätigte die eindeutige Täterschaft des Mannes. Hans von Möhlmann verklagte Ismet H. in der Folge auf Zahlung von Schmerzensgeld. Das Celler Oberlandesgericht wies seine Klage ab, weil der Schmerzensgeld-Anspruch zivilrechtlich verjährt war. Es machte aber in der Urteilsbegründung eindeutig klar: "Der Beklagte vergewaltigte und tötete die Tochter des Klägers in dem Tatzeitraum vom 4. November 1981, 18 Uhr, und 5. November 1981, 6 Uhr."

"Der Mord muss gesühnt werden", forderte der Vater wenig später in einer ihm initiierten Online-Petition. "Welcher Rechtsfriede kann herrschen, wenn ein überführter Täter unbehelligt bleibt?" Frederike habe ihr Leben nicht weiterführen dürfen, "wohl aber der Täter". Über hunderttausend Menschen unterschrieben seinen Appell.

Der Mord bleibt ungesühnt

Der brutale Mord an Frederike im niedersächsischen Celle bleibt aber ungesühnt. Der damals freigesprochene Täter wird zwar inzwischen durch einen DNA-Abgleich stark belastet. An der Unterwäsche des Mädchens konnten seine genetischen Spuren gesichert werden. Die Justiz weiß, in welcher Stadt Ismet H. als freier Mann lebt. Einen neuen Prozess wird es aber trotzdem nicht geben.

Denn zwar prüft die Bundesregierung derzeit eine Verschärfung der Strafprozessordnung. Danach sollen Wiederaufnahmeverfahren zuungunsten von bereits Freigesprochenen möglichen werden, wenn es um so schwere Delikte wie Mord und Völkermord geht.

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Wiederaufnahmen sollen aber auf keinen Fall rückwirkend auf rechtskräftig abgeschlossene Verfahren angewendet werden, wie eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums gegenüber t-online.de sagte: "Eine rückwirkende Geltung für solche Strafverfahren, die bereits vor Inkrafttreten der Neuregelung rechtskräftig abgeschlossen waren, wäre aufgrund des verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbots grundsätzlich nicht möglich."

Auch andere Fälle betroffen

Das Rückwirkungsverbot wird möglicherweise auch in anderen, ähnlich gelagerten Fällen eine Wiederaufnahme durchkreuzen. So ist derzeit unklar, ob neue Zeugenaussagen im spektakulären Mordfall der neunjährigen Peggy Knobloch aus dem ostbayerischen Lichtenberg im Jahr 2001 erneut den lange verdächtigten Ulvi K. belasten. Er war 2013 nach zehn Jahren Haft freigesprochen worden. Bei Zeugenaussagen handelt es sich aber nicht um "neue technische Möglichkeiten". Und die sind zentral für die geplante Gesetzesverschärfung.

Schon 2008 war von den Bundesländern NRW und Hamburg ein Umdenken des Gesetzgebers gefordert worden, weil heute – anders als noch vor über zwei Jahrzehnten – durch Beweismethoden wie dem DNA-Abgleich genetischer Spuren wie Blut, Haare und Sperma auch lange zurückliegende Straftaten aufgeklärt werden können: "Eine Wiederaufnahme soll dann zulässig sein, wenn neue, zum Zeitpunkt des Freispruchs nicht vorhandene technische Ermittlungsmethoden nachträglich zur Erkenntnis führen, dass das freisprechende Urteil falsch ist", forderte der Gesetzesantrag der Länder, den sie vorlegten.

Die größte Hürde der Gesetzesverschärfung

Viele Jahre passierte wieder nichts. Erst vor sechs Monaten hat sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, dass die Möglichkeiten für ein Wiederaufnahmeverfahren erweitert werden. Das soll gelten, wenn es um Taten wie Mord und Völkermord geht, die nicht verjähren. Dann soll, liegen die entsprechenden Beweise vor, künftig auch ein neues Urteil zuungunsten eines schon einmal in derselben Sache freigesprochenen Beschuldigten möglich sein. Bisher geht das nur unter engen Voraussetzungen zugunsten eines Verurteilten oder zu seinen Ungunsten, wenn er im Nachhinein ein Geständnis ablegt.


Doch das Justizministerium erwartet in seiner Stellungnahme gegenüber t-online.de noch hohe Hürden für die geplante Gesetzesverschärfung zur Wiederaufnahme der Verfahren. Es seien noch "schwierige verfassungsrechtliche Fragen" zu lösen – und es stelle sich die Frage nach einer Grundgesetzänderung, für die im Parlament eine Zweidrittel-Mehrheit nötig ist. Das Grundgesetz verbietet im Artikel 103 Absatz 3 mehrfache Strafverfolgungen in derselben Angelegenheit.

Verwendete Quellen
  • eigene Recherchen
  • Bundestags-Drucksache 16/7957
  • Die Welt, Süddeutsche Zeitung, Cellesche Zeitung
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