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ARD-Thriller "Unterm Radar": Wie realistisch war der Film?


ARD-Thriller im Faktencheck
Wie nahe ist "Unterm Radar" an der Realität?

Von t-online
Aktualisiert am 15.10.2015Lesedauer: 4 Min.
"Unterm Radar" geht der Frage nach, ob es Freiheit und Sicherheit nebeneinander geben kann.Vergrößern des Bildes
"Unterm Radar" geht der Frage nach, ob es Freiheit und Sicherheit nebeneinander geben kann. (Quelle: ARD/WDR)

Foltergefängnisse, Totalüberwachung, Polizeistaat: “Unterm Radar” zeichnet ein düsteres Bild der Bundesrepublik, die von einem Terroranschlag getroffen wurde und zwischen Freiheit und Sicherheit abwägen muss. Wir machen den Faktencheck: Wie nahe ist der Film an dem, was tatsächlich möglich ist?

Terroristen sprengen sich in Berlin in einem Bus in die Luft, es kommt zu Toten. Die Tochter der Richterin Elke Seeberg (Christiane Paul) wird verdächtigt, mit den Attentätern in Kontakt gestanden zu haben und in einen polnischen Folterknast verschleppt. Ihre Mutter steht fortan unter Totalüberwachung, bis sie sich zu einem radikalen Schritt entschließt. Wir sprachen mit Henriette Buëgger, der Autorin des Drehbuchs darüber, wie faktentreu sich der Thriller gestaltet.

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Wie realitätsnah ist das Szenario?

Was nicht der Realität entspricht, ist die Darstellung einer so genannten “Extraordinary Rendition”, also der Entführung eines Terrorverdächtigen, der anschließend im Ausland verhört wird. Das gab es laut Buëgger bislang in Deutschland nicht - zumindest ist nichts darüber bekannt. Ganz anders sieht es beim US-Geheimdienst CIA aus: Es wird geschätzt, dass die Agenten bislang über 100 Personen verschleppt haben. Das verstößt in vielerlei Hinsicht gegen UN-Konventionen.

Darf man eine Richterin ohne weiteres überwachen lassen?

Ja. “Wenn ein Tatverdacht vorliegt und ein Richter beschließt, dass eine Person überwacht werden muss, dann darf sie überwacht werden”, so Buëgger. Der Beruf der Person ist dabei nicht von Belang. Das deckt sich mit dem deutschen Recht. Vor allem die längere Überwachung einer Person steht jedoch unter dem Richtervorbehalt und ist an strenge Regularien geknüpft.

Gibt es die im Film dargestellten Überwachungsmethoden?

Ja. Im Film wird das Telefon der Richterin abgehört und ihre Wohnung verwanzt. Über die Ortung von Mobiltelefonen erstellen Sicherheitsbehörden zudem Bewegungsprofile von Verdächtigen. Da moderne Smartphones über einen GPS-Empfänger verfügen, ist eine Ortung bis auf wenige Meter genau. Auch über Käufe, die per Kreditkarte bezahlt werden, lassen sich Verdächtige schnell lokalisieren.

Wie weit ist Deutschland in Sachen Überwachung noch von Großbritannien und den USA entfernt?

Weiter weg als gedacht: Alleine in London hängen Schätzungen zufolge rund eine Million Überwachungskameras. Derartige Zahlen liefert Deutschland nicht. Auch die Kontrolle von Reisenden ist hierzulande längst nicht so scharf wie beispielsweise in den USA. Strittig ist auch die Speicherung von Verbindungsdaten, zu denen der Gesetzgeber verschiedene Kommunikations-Dienstleister verpflichten will: Das erste Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung wurde bereits 2010 vom Bundesverfassungsgericht kassiert. In den kommenden Tagen starten CDU und SPD einen weiteren Vorstoß.

In den USA dagegen ist das Procedere bereits seit Jahrzehnten gängige Praxis: Nach dem 11. September 2001 wurde der Geheimdienst NSA über den so genannten “Patriot Act” ermächtigt, Verbindungsdaten selbst über Jahre hinweg zu speichern. Mittlerweile ist jedoch der “USA Freedom Act” in Kraft getreten, der die Schnüffeleien zumindest im Inland einschränkt.

Gibt es einen Austausch von BKA-Beamten mit den USA, wie im Film dargestellt?

Ja und nein. Das Bundeskriminalamt arbeitet zwar zwecks Erfahrungsaustausch mit ausländischen Polizeibehörden zusammen, ob wie im Film angedeutet jedoch Beamte in amerikanische Geheimdiensteinrichtungen übermittelt werden, ist nicht bekannt.

Dass sich das BKA mit internationalen Behörden auch über Überwachungstechnik austauscht, ist dagegen seit 2013 bekannt. Eine Kleine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko (Linke) wurde vom Innenministerium mit der Information beantwortet, dass sich das BKA international etwa über Kryptierungsmöglichkeiten ausgetauscht habe.

Gibt es Foltergefängnisse in Europa?

Es gab sie. Eine so genannte “Blacksite” hat in Polen zwischen den Jahren 2002 und 2003 existiert. Das hat sowohl die polnische Regierung wie auch der US-Senat neun Jahre später eingeräumt - nachdem die Existenz des Foltergefängnisses zunächst stets verleugnet wurde. Das Lager im nordpolnischen Stare Kiejkuty wurde von der CIA eingerichtet, die darin Inhaftierten teilweise brutalst mißhandelt.

Führt die ganze Überwachungstechnik überhaupt zu mehr Sicherheit?

Ja und nein. “Indem man Unmengen von Daten speichert, wird man der Lage nicht Herr”, meint Buëgger. Fraglich ist auch, wer gesammelte Daten auswertet: Große Mengen werden nur noch über Algorithmen durchsucht und diese sind fehleranfällig oder wenig aussagekräftig. Mit teils schrecklichen Konsequenzen: Sowohl England als auch Frankreich, die beide in Sachen Überwachungstechnik nach dem 11. September kräftig aufgerüstet hatten, wurden trotz massenhaft gesammelter Daten zu Opfern von Terrorangriffen.

Bisweilen bleibt die schärfste Waffe im Kampf gegen den Terror der menschliche Verstand. Der sagte einer Verkäuferin in einem hessischen Baumarkt etwa im April dieses Jahres, dass etwas mit den Einkäufen eines muslimisch aussehenden Ehepaares nicht stimmen könne. Die beiden kauften drei Liter Wasserstoffperoxid, dazu noch Spiritus. Die Mitarbeiterin hielt ihre Personalien fest - und rief danach die Polizei. Die stürmte wenig später mit einem Sondereinsatzkommando die Wohnung der beiden und verhinderte so möglicherweise in letzter Sekunde ein tödliches Attentat auf ein populäres Radrennen bei Frankfurt.

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