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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Malu Dreyers Abschied Der schlimmste Zeitpunkt
Mit dem Rückzug von Malu Dreyer als Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz stürzt die SPD in ihre nächste Krise. Was, wenn jetzt auch noch Brandenburg fällt?
Malu Dreyer hat an diesem Mittwochmorgen ihren Rücktritt als Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz angekündigt. Und so viel vorweg: Der SPD-Politikerin gebührt höchster Respekt. Über viele Jahre hat sie der tückischen Krankheit Multiple Sklerose getrotzt und ihre Aufgaben dennoch so wahrgenommen, dass man fast vergessen konnte, welchen Rucksack sie obendrein zu den Beschwernissen des Amtes zu tragen hatte.
In der aktuellen Politik war es vielleicht noch Wolfgang Schäuble, der eine in dieser Hinsicht vergleichbare Willenskraft aufgebracht hat.
Gleichwohl trifft die SPD Dreyers Rückzug in ihrer verletzlichsten Zeit. Die drei Jahre an der Spitze einer Ampelregierung haben den Bundeskanzler Olaf Scholz im öffentlichen Ansehen an einen Tiefpunkt gebracht. Was Dreyer über viele Jahre hinbekommen hat (auch sie steht oder stand einer strukturell schwierigen Ampelregierung vor), will Scholz bisher und auch absehbar nicht gelingen.
Die Europawahlen haben den Sozialdemokraten das schlechteste Wahlergebnis beschert, das sie bei dieser Wahl je zu verstoffwechseln hatten. Und nach dem Sommer dräuen die Wahlen im Osten wie schwere Wetter, denn am 1. September hat die SPD in Thüringen und Sachsen absehbar wohl nicht einmal einen Blumentopf zu gewinnen und am 22. September könnte die Partei mit Dietmar Woidke sogar noch den Ministerpräsidenten von Brandenburg verlieren.
Für den ohnehin schon geschwächten Kanzler wären das weitere Nackenschläge auf dem Weg zur Bundestagswahl. Sie könnten noch mehr Unruhe hervorrufen, als es derzeit in den Reihen der SPD ohnehin schon gibt.
Und damit zu einem weiteren wichtigen Punkt: Malu Dreyers Bindekraft innerhalb der Partei. In jedem Gemeinwesen gibt es Leute, die von allen lagerübergreifend gemocht werden. Eine solche Person ist in der SPD Malu Dreyer. Es kommt nicht von ungefähr, dass sie in der Niemandszeit eines Vakuums an der Parteispitze Teil eines Interim-Triumvirats war, innerhalb dessen sie unausgesprochen als Erste unter Gleichen wahrgenommen wurde.
Fällt jetzt ein Bundesland nach dem andern?
Für die SPD ist also nicht nur fraglich, ob sie ohne Dreyer weiterhin Rheinland-Pfalz als eine ihrer letzten Landesbastionen halten kann. Das Bundesland ist seit jeher eine Art deutscher Swing State, in dem sich CDU und SPD mit jeweils langen Regierungsphasen abgewechselt haben. Dreyers Rückzug hinterlässt darüber hinaus auch im innerparteilichen Mobile eine empfindliche Leerstelle, in einer Zeit, in der das Gefüge ohnehin beginnt, in Wallung zu geraten.
Richtig Aufruhr wird kommen, wenn tatsächlich auch Brandenburg noch fällt, ein Land, das die SPD im Unterschied zu Rheinland-Pfalz seit der Wiedervereinigung fest in ihren Händen hielt. Es ist die letzte Bastion im Osten.
Die Sozialdemokratie erlebt derzeit, was Murphys Law konkret bedeuten kann. Oder was ein namhafter Fußballer einmal mit dem Schuh und der Materie benannt hat, die daran klebt. Auf die Parteispitze im Willy-Brandt-Haus kommen deshalb jetzt entscheidende, beinahe existenzielle Wochen zu. Es dürfen Zweifel angemeldet werden, ob die Parteichefs Lars Klingbeil und Saskia Esken nebst Generalsekretär Kevin Kühnert dafür gewappnet sind. Schon vor Dreyers Rückzug taumelten die drei nach dem Magenschwinger der Europawahl ziemlich haltlos durch den politischen Ring.
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