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Eltern kontra Schulpflicht | "Finn entschied sich, nicht mehr in die Schule zu gehen"


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Eltern kontra Schulpflicht
"Finn entschied sich, nicht mehr in die Schule zu gehen"

Von chrismon-Autorin Elisabeth Hussendörfer

21.05.2020Lesedauer: 11 Min.
Finn kuschelt mit seinem Vater im Wohnzimmer: "Die Kinder sollen in die Schule gehen, aber nur, wenn es ihnen dort gut geht. Das wäre derzeit nicht der Fall."Vergrößern des Bildes
Finn kuschelt mit seinem Vater im Wohnzimmer: "Die Kinder sollen in die Schule gehen, aber nur, wenn es ihnen dort gut geht. Das wäre derzeit nicht der Fall." (Quelle: Andreas Reeg)

Finn, Runa und Leif werden zu Hause unterrichtet. Nicht erst seit Corona. Die Eltern verstoßen lieber gegen Gesetze, als die Kinder zur Schule zu schicken.

Diese Geschichte erschien zuerst auf chrismon.de.

Den Mittwoch mögen Finn, Runa und Leif am liebsten, mittwochs ist "Projekttag". Die Geschwister dürfen sich dann ein Thema aussuchen, mit dem sie sich am Vormittag zu Hause beschäftigen. Denn Finn, 11, Runa, 9, und Leif, 7, werden von ihren Eltern unterrichtet. Für die W.s ist das aber nicht wie in vielen anderen Familien eine Folge von Schulschließungen und Corona, sondern seit dreieinhalb Jahren Alltag. Die Eltern sagen: Die Kinder wollen es so. Und die Eltern verstoßen lieber gegen die gesetzliche Schulpflicht, als ihren Kindern etwas aufzuzwingen.

Leif sitzt mit Runa am großen Holztisch im Esszimmer und beschäftigt sich mit schwarzen Löchern. "Was sind Lichtjahre?", "Ist der Weltraum unendlich?", hat er sich auf ein Blatt notiert. Finn möchte mehr über Tornados wissen, "ich geh dann mal rüber in die PC-Ecke und google". Runa hat Modelliermasse vor sich liegen, um daraus Möbel, Kleidung und Accessoires für ihre Playmobil-Figuren zu formen. "Auch etwas zu modellieren ist lernen", sagt Mutter Kerstin W. In der Schule heiße das "Werken und Gestalten".

Erst blieb nur Finn zu Hause, dann auch Leif und Runa

Familie W. wohnt in einem geräumigen rostroten Holzhaus am Rand eines 500-Einwohner-Dorfes in Unterfranken. Die Wohnung ist mit viel Holz ausgestattet, hell und gemütlich, hier und da stapeln sich Gesellschaftsspiele und Bastelsachen. Als die Reporterin die Familie zum ersten Mal vor einem guten Jahr besuchte, lernte nur der ältere Sohn Finn zu Hause. Er wäre jetzt in der vierten Klasse, sagt der Elfjährige. Und dann, fast ein wenig stolz: "Aber ich bin Freilerner." Vergangenen Sommer folgte Leif seinem Beispiel, nach den Winterferien Runa.

Die drei können sich fürs Lernen im offenen Wohn- und Esszimmer aufhalten oder sich in ihre Zimmer zurückziehen. "Wenn sie eine Frage haben oder etwas abgeschlossen haben, das sie mir zeigen wollen, kommen sie zu mir", sagt Kerstin W. Montag und Dienstag arbeiten sie mit Online-Lernprogrammen auf ihren Tablets, Donnerstag und Freitag mit Heften und Büchern. "Von neun bis zwölf", sagt Kerstin W., "das genügt".

In der Corona-Krise helfen sie den Nachbarn mit Lehrmitteln aus

In den Wohnzimmerregalen stapeln sich Bücher und Lernhefte für verschiedene Altersgruppen, Hörbücher, Bildbände, Lernspiele, DVDs, CDs. Die W.s helfen damit jetzt auch den Nachbarn aus, deren Kinder wegen Corona nicht mehr in die Schule gehen.

"Mit den schwarzen Löchern mache ich lieber morgen weiter", sagt Leif und greift sich die "Rechenmeister bis 100, ab 2. Klasse". Zum Heft gehört ein Spiel mit Legeplättchen. Der Siebenjährige streift sich das lange Haar aus dem Gesicht und beginnt, die Aufgaben zu lösen. Anhand von Mustern kontrolliert er, ob die Antworten richtig sind. Er lächelt. Heute läuft es gut. "Ein Kind zu Mathe zu zwingen, wäre mir fremd", sagt Kerstin W. Sie mache nie Vorgaben, gebe nur Anregungen. "Die Kinder sollen selbst entscheiden. Solange sie motiviert sind, klappt das gut."

Runas Modelliermasse klebt nicht, sie will lieber mit Salzteig arbeiten. Sie geht in die Küche und legt sich die Zutaten bereit. Und Stift und Papier. Mehl und Salz und Wasser im Verhältnis von zwei zu eins zu eins? Runa rechnet, schreibt auf.

Homeschooling – "nicht zulässig" in Deutschland

Die Kinder, die in Deutschland dauerhaft nicht zur Schule gehen, tauchen in keiner Statistik auf. Das für die W.s zuständige Schulamt in Aschaffenburg will sich dazu nicht äußern. "'Freilerner' spielen in Bayern keine große Rolle", schreibt die Sprecherin des bayerischen Kultusministeriums auf Anfrage und verweist auf die rechtliche Lage: "Die Pflege und Erziehung der Kinder sowohl nach Artikel 6 des Grundgesetzes als auch nach Artikel 126 der Bayerischen Verfassung ist das natürliche Recht der Eltern.“ Es gelte jedoch nicht uneingeschränkt. "Auch der Staat hat einen Bildungsauftrag. Ihm obliegt die Pflicht, den Kindern Wissen und Können zu vermitteln. ... Zur Wahrnehmung dieses Bildungsauftrags existiert in Deutschland die allgemeine Schulpflicht." Das sogenannte Homeschooling sei "nicht zulässig".

Anruf bei Ilka Hoffmann vom Hauptvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW): "Wir glauben, dass Homeschooler in Deutschland Ausnahmefälle sind. Bei einem Teil handelt es sich um fundamentalistische religiöse Familien, die die Evolutionstheorie und den Sexualkundeunterricht ablehnen." Andere Eltern hätten ein tiefes Misstrauen gegen das öffentliche Schulwesen. "Freilerner" kämen eher in akademischen Familien vor, die es sich aufgrund ihres Bildungsniveaus zutrauten, die Kinder selbst zu erziehen und die finanziellen Mittel dafür hätten.

Die Kinder an Erfahrungen reifen lassen

Die W.s sind nicht religiös und hatten auch nicht vor, ihre Kinder zu Hause zu unterrichten. "Wir waren nicht kontra Schule eingestellt", erinnert sich Vater Matthias W. Sie hätten Finn vor der Einschulung aber eben nicht gesagt: "Schule ist super, du wirst es lieben." Finn fand es zunächst "cool". Doch in der zweiten Woche hatte er keine Lust auf die Hausaufgaben. "Du musst", sagte Kerstin W. "Wieso?" "Weil." Sie erschrak. Sie wollte die Kinder doch an Erfahrungen reifen lassen und nicht Argumente wegbügeln! Vielleicht hatte Finn ja recht, wenn er klagte, "Schule ist langweilig". Oder wenn er morgens fand, das sei alles viel zu früh. Finn habe abends oft kreative Hochs. Als er eingeschult wurde, war Geld gerade ein großes Thema für ihn. Er saß oft noch spät da, zeichnete Tabellen, schnitt selbstgemalte Münzen aus, rechnete.

"Es kam zu so absurden Situationen, dass ich ihm das untersagte, damit er am nächsten Tag ausgeschlafen war, um in der Schule etwas zu lernen, was ihn vielleicht überhaupt nicht interessierte", sagt Kerstin W. Einmal hat ihr Mann fünf Euro in Aussicht gestellt, wenn Finn zur Schule gehen würde. Es nutzte nichts. Sechs Wochen nach der Einschulung saß er morgens im Bett und sagte: "Ich will nicht mehr in diese Scheißschule." Kerstin W. packte ihn am Arm. "Du musst aber", versuchte es Matthias W. verzweifelt. Plötzlich fragten sie sich: Was machen wir hier eigentlich? Körperliche oder physische Gewalt, genau das wollten sie nie. Bis zu Finns Einschulung sei sie prima ohne das gängige Belohnen und Strafen klargekommen. "Ich sag meinem Mann ja auch nicht: Dein Schreibtisch sieht aus wie ein Schweinestall – Fernsehen gestrichen."

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Wie es in Finns Zimmer aussieht? Seine Sache

"All great changes are preceded by chaos – allen großen Veränderungen geht Chaos voraus" steht auf einem Plakat an Finns Zimmertür. Wie es dahinter aussieht? Seine Sache. Die W.s nehmen es auch gelassen hin, dass die Geschwister nicht zum Friseur gehen: "Es sind ihre Haare!"

Aber ist die Schule nur eine lästige Beschränkung der persönlichen Freiheit? Ilka Hoffmann von der GEW gibt zu bedenken, dass die Schulpflicht im Zuge der Demokratisierung entstanden ist. "Nicht mehr nur die Reichen konnten zur Schule gehen, auch Feldarbeiterkinder. Eine Relativierung der Schulpflicht könnte die öffentlich finanzierte Schule infrage stellen." Schon jetzt existiert die Idee, statt ein staatliches Schulsystem vorzuhalten, Bildungsgutscheine auszugeben, mit denen man sich die Schulbildung bei privaten Anbietern "einkaufen" kann. Ob diese Gutscheine dann in jedem Fall für die Bildung der Kinder genutzt werden, ist fraglich, sagt Hoffmann.

Für die Kinder und gegen den Beruf entschieden

Matthias W., 52, ist Programmierer bei einer Maschinenbaufirma, Kerstin W., 46, hat Biologie studiert, sich dann aber "bewusst für die Betreuung der Kinder entschieden und bis auf weiteres gegen die Ausübung eines Berufs". Sie lässt sich gern immer wieder beim Kartoffelschälen unterbrechen und setzt sich zu einem Kind, wenn es eine Frage hat. Oder keinen Bock, wie Finn manchmal in Deutsch. Um ihn zu motivieren, schreibt sie ihm dann manchmal Whatsapp-Nachrichten vom Wohnzimmer ins Kinderzimmer. Meistens steige Finn darauf ein. Wichtig sei, dass sie sich in ganzen Sätzen schreiben. Finns Rechtschreibung könnte besser sein, das Schriftbild auch. "Aber so ist das ja bei vielen Jungs", sagt die Mutter.

Wie machst du das? Fragen andere Mütter, die sich mit dem Heimunterricht schwertun, jetzt, da die Schulen wegen Corona geschlossen sind. Wie hältst du das aus, die Familie immer um dich herum zu haben? Und ihr?, fragt Kerstin W. dann zurück. Wie macht ihr das sonst mit all dem schulischen Druck und Zwang? In kaum einer Familie, die sie kenne, gingen die Kinder gern zur Schule. Und wie oft seien Runa und Leif mit angestauten Aggressionen aus der Schule gekommen! "All das ist jetzt weg und beschert uns eine vorher so nicht da gewesene Harmonie."

Wieso sollte es also ein Problem für sie sein, die Kinder um sich zu haben? Wieso sollte sie sich stressen lassen, wenn eins lieber mal chillen statt lernen will? Oft stecke ein Infekt dahinter. Oder Wachstumsschmerzen. "Es ist wichtig, dem Kind Auszeiten einzuräumen. Es kommt von allein wieder. Druck bewirkt das Gegenteil", sagt Kerstin W. Sie habe die Lehrpläne aber im Hinterkopf, die könne man sich im Internet runterladen. Man müsse einen Überblick haben und zugleich flexibel sein. Tränen? Gebrüll? "Natürlich streiten unsere Kinder auch", sagt Kerstin W. Aber es gebe eben keine Streitereien und Tränen wegen Schulfrust oder Hausaufgabenstress mehr.

Die Rektorin informierte das Jugend- und das Ordnungsamt

Die Fenster sind mit Papierblumen geschmückt. Wenn die W.s nach draußen schauen, sehen sie viel Himmel. Auf der Rückseite des Hauses, zum Garten hin, stört kein Nachbarhaus den Blick zu den Feldern.

"Finn hat sich entschieden, nicht mehr in die Schule zu gehen", begann die E-Mail, die die W.s vor dreieinhalb Jahren der Rektorin schrieben und in der sie um ein Gespräch baten. Die Rektorin verwies auf das Schulgesetz und informierte das Jugend- und das Ordnungsamt. Die W.s ließen sich anwaltlich beraten. Kurz darauf kam ein Mitarbeiter vom Jugendamt vorbei, um sich einen Eindruck zu verschaffen. "Ich sehe, Ihren Kindern geht es gut", habe er gesagt – aber dennoch über "mögliche Folgen" gesprochen, erzählt Kerstin W. Über Kindeswohlgefährdung zum Beispiel, ein sogenannter unbestimmter Rechtsbegriff, der bei Schulverweigerung rasch ins Spiel kommt, der aber unterschiedlich gehandhabt wird, je nach Jugendamt.

Wie so vieles: In Hessen ist es eine Straftat, wenn ein Kind nicht zur Schule geht, in Bayern eine Ordnungswidrigkeit. In manchen Orten werden die Eltern völlig in Ruhe gelassen, die W.s wissen aber auch von Familien, die viele Tausend Euro Strafe zahlen mussten, und solchen, denen die Kinder vorübergehend entzogen wurden oder die in Haft kamen. Sie kennen auch welche, die sich ins Ausland abgesetzt haben. Zum Beispiel nach Österreich, wo Heimunterricht erlaubt ist, wenn man ihn anmeldet und einmal jährlich einen Leistungstest ablegt.

Bis zu 3.000 Kinder besuchen nicht die Schule

"In Deutschland wird Schulverweigerung, europaweit gesehen, besonders hart geahndet", sagt Thomas Spiegler, Professor für Soziologie und empirische Sozialforschung an der Theologischen Hochschule Friedensau. "Der Schulbesuch kann hier mit Zwangsmaßnahmen durchgesetzt werden." Spiegler hat für sein Buch "Home Education in Deutschland" von 2008 zahlreiche Freilernerfamilien interviewt. Damals schätzte er, dass 500 bis 1.000 Kinder zu Hause unterrichtet werden. Stefanie Weisgerber betreibt die Seite "Freilerner-Kompass.de" und geht davon aus, dass aktuell 2.000 bis 3.000 Kinder ohne Schulbesuch lernen.

Finn habe genauso schnell Lesen und Schreiben gelernt wie die anderen Kinder, sagen die W.s, das zeige sein Umgang mit Lernmaterialien. "Wieso also das starre Festhalten des Staats am Schulbesuch?" Tests lassen sie ihre Kinder allerdings nicht schreiben.

Sie haben aber vieles dokumentiert – auch, um im Zweifel "vor Gericht etwas in der Hand zu haben". Auf Fotos sieht man Finn, wie er mit sechs Jahren Tetra Paks bemalt und beklebt und daraus eine Stadt baut. Weil er sich für Städte interessierte. "So was muss man aufgreifen", finden die W.s. Sie schauten gemeinsam Filme über Stadtplanung, und als dem Fluss die Fische fehlten, googelten sie: Welche sind bei uns heimisch? Es ging um Heimat- und Sachunterricht, Biologie, Gemeinschaftskunde und Kunst – für die W.s ein Paradebeispiel für interdisziplinäres Lernen.

Vors Familiengericht bestellt und begutachtet

Zwei Monate nach dem Besuch des Jugendamts kam ein Bußgeldbescheid. Die W.s legten Widerspruch ein. Sie mussten nur 50 statt 100 Euro zahlen. Mehr haben sie vom Ordnungsamt nicht gehört. Ein 90-seitiges Gutachten, vom Familiengericht in Auftrag gegeben, attestierte ihnen, dass sie "erziehungsfähig" sind, dass sich Finn normal entwickle und das Wohl der Kinder nicht gefährdet sei. Nachdem auch Leif und Runa den Schulbesuch verweigert hatten, wurden sie vors Familiengericht bestellt und ein weiteres Mal begutachtet. Wieder wurde ihnen bestätigt, dass das Kindeswohl nicht gefährdet sei.

In der Schule lernen Kinder, mit den Eigenheiten anderer umzugehen, mit unterschiedlichen Weltanschauungen und Milieus klarzukommen, argumentiert Ilka Hoffmann von der GEW. "Das ist etwas, mit dem man sich später im Berufsleben Tag für Tag auseinandersetzen muss. Durch die Schulabstinenz werden somit wesentliche soziale Erfahrungen erschwert."

Finn, Runa und Leif sind bei der Jugendfeuerwehr aktiv, die Jungs bei den Naturschützern, Finn geht in den Jugendtreff im Ort, Runa zum Reiten. "Abschottung ist wohl so ziemlich das Letzte, was man uns vorwerfen kann", sagen die W.s. Wenn sie die Tür aufmachten, seien sie mit anderen Kindern im Kontakt, auf dem Spielplatz, im Dorfladen. Finn hat sich daran gewöhnt, dass die Nachbarsjungen ihn gelegentlich mit Kopfrechenaufgaben oder Wissensfragen testen. Dann antwortet er halt. "Das dürftest du doch eigentlich noch gar nicht können", sagen die dann manchmal. So erzählen es die W.s.

Die Forschung ist sich bei Freilernern uneinig

Unabhängige Wissenschaftler, Gerichte, Institute, die der Homeschooling-Bewegung nahestehen, und Aktivisten schätzten den Lernerfolg der Freilerner sehr unterschiedlich ein, sagt der Soziologe Thomas Spiegler. "Der Forschungsstand lässt weder den Schluss zu, dass Homeschooler per se im Nachteil sind, noch unterstützt er die These, dass sie generell besser abschneiden als Schulkinder."

Klar hatten sie manchmal Zweifel, ob sich die Kinder optimal entwickeln, sagt Matthias W. Ihm wäre es am liebsten, sie würden alle zur Schule gehen. "Aber nur, wenn es ihnen dort gut geht. Und nach allem, was wir mitbekommen haben, wäre das derzeit nicht der Fall."

Runa hat am längsten hin und her überlegt, ob sie zu Hause bleiben soll. Sie sei anpassungswillig, kompromissbereit und möchte gefallen – sagen die W.s über ihre Tochter. Die Freundinnen seien für sie wohl der Hauptgrund gewesen, weiter zur Schule zu gehen. Denn die Bedingungen in der Grundschule seien nicht besonders toll gewesen. "Vier Lehrerinnen in zwei Jahren", Kerstin W. rollt mit den Augen und erzählt, wie Stifte und Hefte von einer Lehrerin vom Tisch gewischt worden seien. Sie hätten auch oft die "Brezel" machen müssen: die Hände vor dem Körper verschränken, still sitzen. Auch hätten sie während des Unterrichts nicht auf die Toilette gedurft. Runa kam mit nassen Hosen nach Hause.


Die Grundschule möchte sich generell nicht zu Vorwürfen der Familie W. äußern. Es gebe ein laufendes Verfahren. "Es geht mir viel besser so", sagt Runa jetzt. Ihre Freundinnen hat sie schon ein paar Mal besucht. Die Mutter fährt sie hin. Wollten die jüngeren Geschwister vielleicht auch deshalb zu Hause bleiben, weil sie auf den großen Bruder neidisch waren? Weil der mehr Zeit mit der Mutter verbringen durfte? Kerstin W. glaubt das nicht, erinnert sich aber, wie Leif gequengelt hat, als sie mit Finn nach Berlin gefahren ist, um ins Museum zu gehen und den Zweiten Weltkrieg besser zu verstehen. Leif ging damals noch zur Schule. Sie sei dann nur mit ihm nach Tübingen gefahren. Und mit Runa nach Thüringen.

Manchmal fragen die W.s ihre Kinder: Habt ihr nicht doch Lust auf Schule? Die inhaltlichen Anforderungen wachsen, und Kerstin W. fragt sich, ob sie das irgendwann nicht mehr leisten kann. Vielleicht melden sie Finn dann bei einer Fernschule an. Vielleicht schließen sie sich mit anderen Freilernern zu Lerngruppen zusammen. Oder versuchen eben doch den üblichen Weg. Vor einer Weile fragte Finn, wo er Mädchen kennenlernen könnte. "Dafür ist die Schule per se kein schlechter Ort", sagte die Mutter.

Diese Geschichte erscheint in Kooperation mit dem Magazin "chrismon". Die Zeitschrift der evangelischen Kirche liegt jeden Monat mit 1,6 Millionen Exemplaren in großen Tages- und Wochenzeitungen bei – unter anderem "Süddeutsche Zeitung", "Die Zeit", "Die Welt", "Welt kompakt", "Welt am Sonntag" (Norddeutschland), "FAZ" (Frankfurt, Rhein-Main), "Leipziger Volkszeitung" und "Dresdner Neueste Nachrichten". Die erweiterte Ausgabe "chrismon plus" ist im Abonnement sowie im Bahnhofs- und Flughafenbuchhandel erhältlich. Mehr auf: www.chrismon.de

Weiterlesen auf chrismon.de:

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