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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wut-Ausbruch macht Furore Ein Hartz-IV-Kind begehrt auf: So ungerecht fühlt es sich an
Eine 17-Jährige ist frustriert und wütend darüber, welche Regeln für die Kinder von Hartz-IV-Empfängern gelten. Nach Riesen-Resonanz auf ihre Tweets dazu hat sie mit t-online.de gesprochen.
Sarah Heinrich ist 17 und lebt mit ihrer Mutter in einem Hartz-IV-Haushalt. Mit ein paar Sätzen auf Twitter, was das für einen Teenager bedeutet, hat sie offenbar einen Nerv getroffen. Im Interview mit t-online.de spricht sie darüber, wie es aus ihrer Sicht Kindern schwer gemacht wird, der Situation zu entkommen.
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t-online.de: Deine Schilderung auf Twitter schlägt große Wellen. Was denkst Du, warum das so ist?
Sarah Heinrich: Es hat mich selbst total gewundert, ich wollte eigentlich nur meine Wut rauslassen. Aber irgendwo kann ich es schon verstehen, es hat offenbar einen Nerv getroffen. Ich erkläre es mir so: Viele Leute haben ein Gefühl für Ungerechtigkeit, und diese Regelung finden sie alles andere als gerecht.
100 Euro im Monat – elf Monate lang
Kinder von Empfängern von Arbeitslosengeld II (ALG II), die unter 25 Jahren sind und noch zur Schule gehen oder eine Ausbildung machen, dürfen im Monat 100 Euro verdienen. Allerdings jährlich nur über elf Monate. Überschreitet ein Kind die 100 Euro, werden den Eltern 80 Prozent von der überschrittenen Summe abgezogen. In der Praxis bedeutet das: Verdient ein Kind im Monat 200 statt 100 Euro, werden den Eltern davon 80 Prozent von dem Arbeitslosengeld abgezogen. Aus 200 werden 120 Euro, aus 400 werden 160 Euro. Darüber hinaus dürfen sie zusätzlich durch einen Ferienjob jährlich 1.200 Euro dazuverdienen. Die Ferienjobs dürfen aber eine Länge von insgesamt vier Wochen nicht überschreiten. Mit 100-Euro- und Ferien-Regel darf ein Kind in der Summe 2.300 Euro im Jahr dazuverdienen. Im Monat ergibt das einen Durchschnitt von ca. 191 Euro. (so)
Was genau meinst du mit „diese Regelung“?
Meine Mutter und ich bilden eine Bedarfsgemeinschaft, weil ich bei ihr wohne, wie das für ein minderjähriges Kind normal ist. Wenn ich Geld verdiene, wird das sehr schnell dazu eingesetzt, die Bedarfsgemeinschaft zu versorgen. Also wird es vom ALG II-Satz abgezogen. Und ich kann ja nicht zu meiner Mutter gehen und sagen „Mama, kauf Dir kein Essen mehr, ich will Geld verdienen“. Mit dieser Regelung lässt sich dann ja auch nichts wirklich zur Seite legen, da kann man kaum auf etwas sparen.
Du siehst darin ein gesellschaftliches Problem?
Es heißt ja oft, dass es Kindern aus Hartz IV-Familien an positiven Vorbildern fehlt, um später eine gute Beziehung zum Arbeiten zu bekommen. Aber mit einer solchen Regelung können sie auch nicht erleben, wie sehr es einen freut, sich von hart erarbeitetem Geld etwas zu gönnen. Dass man sich kaum etwas verdienen kann, sorgt also auch dafür, dass Jugendliche nicht eigenständig entsprechend positive Erfahrungen machen dürfen. Wenn Du für 400 Euro arbeitest, aber nur 160 Euro bekommst, denkst Du dir, da arbeitest du lieber weniger, es lohnt sich eh nicht.
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Wie gehen denn Betroffene damit um?
Ich denke, es ist eine logische Konsequenz, dass dann viele ihre Arbeit beim Amt nicht anmelden. Von solchen Fällen habe ich viele in den Antworten auf meinen Tweet gelesen. Man liest dann auch heraus, dass viele Menschen dafür viel Verständnis haben – und umgekehrt kein Verständnis, wenn es nicht möglich sein soll, sich mit Arbeit Geld für den Führerschein zurückzulegen.
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Man kann aber auch einmalig mit einem Ferienjob deutlich mehr verdienen, ohne dass es abgezogen wird.
Das ist richtig. Aber auch ein Kind aus einem Hartz-IV-Haushalt will in den Ferien vielleicht mal Ferien machen und etwas unternehmen mit Freunden. Nichts wünscht man sich mehr als eine normale Jugend.
Findet man denn überhaupt Jobs, bei denen man im Monat 100 Euro verdienen kann?
Das ist ein Problem. Wer stellt einen denn ein? Mit 7,50 Euro Stundenlohn sind das kaum mehr als 13 Stunden im Monat. Jemand, der so wenig verfügbar ist, ist unattraktiv für jeden Arbeitgeber. Nachhilfe geben geht noch, aber da hört es dann schon fast auf.
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Es haben sich einige in den Kommentaren gemeldet, die sich in Deiner Situation wiedererkennen, die Dir richtig dankbar sind. Glaubst Du, Dein Tweet hilft auch anderen?
Natürlich sind Tweets erst einmal nur ein paar Sätze in einem sozialen Netzwerk. Aber auch mir tut es gut, jetzt zu wissen, dass ich mit diesem Problem nicht alleine bin. Viele haben mir geschrieben, dass sie gar nicht wussten, dass so eine Regel existiert. Und um diese Situation irgendwann mal zu verbessern, ist es wichtig, dass es mehr Leuten bekannt wird.
Kanntest Du denn andere betroffene Kinder von Hartz-IV-Empfängern vorher?
Ich bin selbst noch niemandem begegnet, der in dieser Situation ist. Ich gehe auf ein Gymnasium, und dort sind in unserer Gesellschaft tendenziell eher die Kinder aus wohlhabenderen Familien – oder die, die nicht darüber sprechen, wenn es anders ist. Die Reaktionen im Netz zeigen aber, dass es etliche Menschen gibt, die in ganz ähnlichen Umständen waren wie ich heute und die es geschafft haben. Es tut gut zu sehen, dass aus den unterschiedlichen Gruppen Menschen harte Kämpfe zu führen haben, die man gar nicht mitbekommt.
Wie ist das mit Unternehmungen der Schule – bist du davon ausgeschlossen?
Von Schulveranstaltungen nicht, Klassenfahrten bekommt man vom Amt bezahlt, was ich wichtig finde. Sobald deine Freunde vorhaben, in den Ferien mal gemeinsam zu verreisen, sieht das ganz anders aus. Da kenne ich Leute mit etwas wohlhabenderen Eltern, die ihnen das bezahlen und ich kenne Leute, deren Eltern das nicht können. Die gehen dann aber arbeiten und sparen sich das selbst zusammen. Diese Möglichkeit bleibt mir verwehrt.
Gibt es denn Argumente für die Regelung, die Du nachvollziehen kannst?
Ich kann verstehen, dass man irgendwie verhindern will, dass Eltern ihre Kinder dazu benutzen, an zusätzliches Geld zu kommen. Gleichzeitig finde ich es realitätsfern zu denken, dass 16-Jährige ihr Geld wirklich freiwillig ihren Eltern überlassen würden. Dazu kommt, dass dieses Argument auch ein sehr negatives Bild von ALG-II-Empfängern impliziert. Meist wünschen sie sich eher, dass ihre Kinder nicht dasselbe erleben müssen. Mich unterstützt meine Mutter so gut, wie sie nur irgendwie kann.
Vor kurzem hat Jens Spahn die Initiatorin einer Petition getroffen, in der gefordert wurde, dass er mal auf Hartz-IV-Niveau lebt. Würdest Du Dich gerne mit Sozialminister Hubertus Heil oder Familienministerin Franziska Giffey treffen?
Klar, da hätte ich Lust drauf. Denn ich denke, dass Spitzenpolitiker oft nichts über die Lebenswirklichkeit der von ihren Gesetzen betroffenen Menschen wissen. Ich könnte dann vielleicht dazu beitragen, das an dieser Stelle zu ändern. Die Grüne Bundestagsfraktion hat mich jetzt auch als Reaktion auf den Tweet zu einer Tagung zum Thema Kinderarmut eingeladen.
Sozialpolitik war aber nicht Antrieb dafür, dass Du Dich in der Grünen Jugend engagierst?
Doch, neben ständigen Rassismuserfahrungen war Armut tatsächlich ein Grund. Ich bin im Herzen schon immer links. Da denkt man vielleicht zuerst an die Linken, aber die Grünen in meiner Stadt und vor allem die Grüne Jugend haben gezeigt, dass die Partei das Thema sehr wohl besetzt und versteht.
Welche Zukunftspläne hast Du?
Ich bin jetzt gerade in meinem letzten Abiturjahr, ich möchte dann ausziehen und ein Freiwilliges Soziales Jahr machen und dann studieren. Da ich jetzt auf einem Dorf lebe, zieht es mich in die Stadt, auch wenn das ohne weitere finanzielle Unterstützung schwierig werden kann.
Weil man ja nicht mal einfach so auszieht.
Wenn ich mir nichts zur Seite legen kann, fehlt mir das Geld für Kaution und die erste Einrichtung. Das kann man zwar beim Amt beantragen, es kann aber auch abgelehnt werden, wenn dort jemand zum Schluss kommt, dass kein triftiger Grund vorliegt, um den Auszug zu finanzieren. Bei mir ist der Wunsch groß, unabhängig zu werden. Ich hoffe und denke, dass sich das alles ergeben wird. Nach dem FSJ möchte ich studieren, dann kann ich Bafög beantragen und habe damit dann zwar erst mal Schulden, aber ich kann unter ganz anderen Bedingungen Jobben gehen, damit wird alles einfacher. Aber erst einmal muss ich von Zuhause wegkommen. Und das wird einem nicht leicht gemacht.