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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Florian Klenk über die Wut der Bauern "Sie spüren schiere Existenzangst"
Die Bauern sind wütend, tragen immer wieder ihren Protest auf die Straße. Woher stammt der Zorn, wie lässt er sich überwinden? Ein Gespräch mit dem Journalisten Florian Klenk.
Nehmen Städter die Landwirte und ihre Arbeit erst dann wahr, wenn sie mit Traktoren die Zufahrtsstraßen blockieren? Unüberwindbar scheint die Kluft zwischen Stadt und Land, Landwirten und Konsumenten zu sein. Ein Konflikt, den die sozialen Medien befeuern und der Populisten Zulauf beschert.
Ganz so tief ist der sprichwörtliche Graben jedoch nicht, sagt Florian Klenk, Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Falter" und Autor des Buches "Bauer und Bobo. Wie aus Wut Freundschaft wurde". Seit Jahren ist Klenk mit einem Bergbauern aus der Steiermark befreundet, viel erfuhr der Journalist über Existenzangst, Gefahren und Vorteile der sozialen Medien und warum Bauern und Grüne eigentlich dasselbe wollen. Was das ist, erklärt Klenk im Gespräch.
t-online: Herr Klenk, die Wut vieler Menschen ist gerade deutlich zu spüren, sie richtet sich vor allem gegen Politiker. Warum sind ausgerechnet Landwirte so zornig?
Florian Klenk: Wut ist grundsätzlich legitim – und ein natürlicher Reflex. Wenn mich etwas ärgert, schreie ich meinen Zorn hinaus in die Welt. Immer in Richtung derjenigen, die ich für die Ursache meiner Probleme halte. Gegenwärtig sind die Bauern aus nachvollziehbaren Gründen wütend: Einerseits haben sie das Gefühl, vom Staat immer stärker reguliert zu werden, andererseits nimmt parallel der Import landwirtschaftlicher Produkte aus dem Ausland zu. Sie spüren schiere Existenzangst.
Sie waren vor Jahren selbst das Ziel eines öffentlichen Wutausbruchs, ein Bauer aus der Steiermark bezeichnete Sie in den sozialen Medien unter anderem als "intelligenzbefreit".
Das war der Bergbauer Christian Bachler, er bewirtschaftet den Bergerhof in Krakauhintermühlen. Bachler hatte mich 2019 in einer Talkshow gesehen, es ging um die Verurteilung eines anderen Bauern, dessen wildgewordene und unbeaufsichtigte Kuh eine deutsche Touristin getötet hatte. Ich verteidigte das sogenannte Kuhurteil, angesichts dessen in Österreich ein Sturm der Entrüstung eingesetzt hatte. Auf Facebook zog Bachler dann in einem Video gegen mich vom Leder, eine ganze Viertelstunde lang.
Die nahezu perfekte Mischung für einen öffentlichen Schlagabtausch: Florian Klenk als "Bobo", Angehöriger der gut situierten und als arrogant verschrienen Oberschicht aus der Metropole Wien, dann der "Wutbauer" aus der tiefsten Steiermark. Warum kam es nicht zum Showdown?
Weil der Bachler überhaupt kein dumpfer Wutbauer ist, sondern ein cleverer Typ. Am Ende seines Videos lud er mich damals nämlich zu einem Praktikum auf seinem Bergbauernhof ein – denn ich sei ja völlig ahnungslos, was das Leben als Bauer angeht. Und wissen Sie was? Er hatte völlig recht. Diese Erkenntnis hat mich geärgert und getroffen. Mir ist es immer gut gegangen, so etwas wie "Existenzangst" kannte ich gar nicht. Ganz anders als der Bachler und andere kleinere Bauern.
Zur Person
Florian Klenk, Jahrgang 1973, ist promovierter Jurist und mehrfach ausgezeichneter Journalist. Seit 2012 ist Klenk Chefredakteur der österreichischen Wochenzeitung "Falter". 2021 erschien sein Buch "Bauer und Bobo. Wie aus Wut Freundschaft wurde", das 2022 von Kurt Langbein verfilmt worden ist.
Sie haben dann tatsächlich das Praktikum angetreten. Was war das für ein Gefühl, den Mann persönlich zu treffen, der Sie in einem reichlich geklickten Video im Internet beschimpft hatte?
Schön und lehrreich war's. Ich verbrachte drei Tage mit dem Bachler auf der Alm, habe binnen kürzester Zeit so manches über Landwirtschaft, Fleischindustrie und Klimakrise erfahren. Wobei wir wieder bei der Wut angelangt sind: Wut ist nichts Schlechtes. Es kommt aber darauf an, ob sie der Beginn einer konstruktiven Auseinandersetzung ist oder ob diese Wut dazu dient, dass wir zum Wohle von algorithmisch gesteuerten Social-Media-Konzernen aufeinander eindreschen. Bei Christian Bachler und mir lief es gut, aus Wut wurde schließlich tatsächlich Freundschaft.
Klingt schon fast ein bisschen kitschig. Geht es in der Geschichte von "Bauer und Bobo", die Sie 2021 unter diesem Titel als Buch veröffentlicht haben, nicht auch darum, wie sich die negativen Seiten unserer modernen Informationsgesellschaft zumindest etwas eindämmen lassen?
Es ist durchaus ein Lehrstück über die Funktionsweise von Auseinandersetzungen in den sozialen Medien. Da gibt es nur "Null" und "Eins" beziehungsweise "Freund" oder "Feind". Dazwischen gibt es nichts. Es ist die Logik jeder algorithmischen Auseinandersetzung: Entweder bist du komplett im Lovestorm oder im Shitstorm. Alles andere erzeugt keinen "traffic", weil es keine Emotionen hervorruft. Zu 95 Prozent dürften die Menschen allerorten einen Konsens haben, wie ihre Gesellschaft beschaffen sein soll. Es sind die restlichen fünf Prozent, bei denen wir Differenzen haben.
Wenn man sich auf X, Facebook, Instagram oder TikTok umschaut, könnte man meinen, dass es genau umgekehrt ist.
Nun, das ist das Ansinnen der Social-Media-Konzerne, es so aussehen zu lassen. Für mich ist die Essenz dennoch, dass dieses reine Schwarz-Weiß-Schubladendenken nicht in dem Maße existiert.
Wie ließen sich denn die Schubladen öffnen und der Kreislauf der Wut durchbrechen?
Im Falle von Bachler und mir waren wir beide bereit, die Welt des anderen kennenzulernen. Bachler ist – anders als es bei seiner Tirade im Internet wirkte – im wahren Leben anders: humorvoll, gebildet, ein Mensch mit hoher Sozialkompetenz und überhaupt nicht aggressiv. Ich habe dann seine bäuerliche Welt gesehen, der Bachler meine journalistische. Da ist er dann daraufgekommen, dass wir Journalisten nicht nur Propagandisten irgendwelcher Konzerne sind, sondern im Gegenteil versuchen, Propaganda zu erkennen und der Wahrheit näherzukommen. Genaugenommen bewirtschaften wir Journalisten auch ein Ökosystem, das wichtig ist für die Gesellschaft und die Krisen, die sie durchlebt.
Mit dem früheren österreichischen Extremsportler Felix Baumgartner –bekannt durch seinen Stratosphärensprung 2012 – haben Sie sich allerdings kürzlich vor Gericht getroffen. Baumgartner hatte Sie wegen Ihrer Befürwortung von Corona-Impfungen als "Pharma-Hure" bezeichnet. Warum war in diesem Fall kein Gespräch möglich?
Bachler verfügt über eine gewisse Offenheit, er sprach im Gegensatz zu Baumgartner nicht von "Lügenpresse". Da war auch dieser eine Satz von ihm, wonach er eigentlich zu schätzen wisse, was wir Journalisten tun, aber im Fall meiner Verteidigung besagten "Kuhurteils" enttäuscht sei. Baumgartner kam hingegen nie zu einem Innehalten oder erweckte auch nur den Anschein, in Kontakt treten und reden zu wollen. Das ist der Unterschied. In Sachen Kuhurteil haben der Bachler und ich übrigens immer noch keinen Konsens – und das ist in Ordnung.
Bislang haben wir nur über negative Auswirkungen der sozialen Medien gesprochen. Aber Christian Bachler, wie die Landwirte überhaupt, profitieren auch davon?
Die sozialen Medien sind ambivalent, ja. Das Internet ermöglicht es den Bauern, ihre Produkte selbst zu verkaufen und mit anderen in Kontakt zu treten, ja, auch sich mit diesen zu formieren. Die Landwirte lesen heutzutage nicht nur die "Bauernzeitung", sondern machen zum Beispiel eigene Podcasts wie "BauertothePeople".
Ein großartiger Name.
Das finde ich auch. Vor 15 bis 20 Jahren hätte jemand wie Bachler mit seinen Sorgen und Nöten kein Gehör gefunden, heute sitzt er da auf 1.500 Metern Höhe und kann der Welt mitteilen, was er tut. Genau wie er mich im fernen Wien nun wahrnehmen kann. Es gibt also nicht nur die Shitstorms und die Erregungsgesellschaft innerhalb der sozialen Medien, sondern zusätzlich die Gelegenheit, gemeinsame Ziele und Interessen zu entdecken. Gerade was die Landwirtschaft angeht.
Worin bestehen diese?
Der Gegensatz Stadt und Land wird von der Fleisch- und Landwirtschaftsindustrie gerne in Stellung gebracht. Da geht es viel um die "blöden" Stadtleute, die die Bauern nicht verstehen. Und umgekehrt. Aber wir haben doch gemeinsame Interessen: Artgerechter Umgang mit den Tieren, faire Bezahlung für die Bauern und Klima- wie Naturschutz sind Bereiche, die uns alle angehen. Wir sind keine Gegner, auch wenn es vordergründig so dargestellt wird. Die Veränderungen der Landwirtschaft in den westlichen Ländern betreffen uns alle, auch wenn es natürlich Unterschiede zwischen Österreich und Deutschland gibt. Die zentrale Frage ist aber überall: Was ist zukunftsfähig?
Nehmen wir das Beispiel Österreich: Wie hat sich das Leben der Bauern dort verändert?
Bisher hat ein Bergbauer gelernt, dass er einen Stall mit mindestens 50 Kühen braucht, die mit Mais und Silage gefüttert werden. Schön und gut. Das Soja kommt allerdings aus Brasilien, damit die Milchleistung stimmt. Das hat weder mit der Gegend, in der der Bauer lebt, noch mit der Arbeit, die seine Vorfahren gemacht haben, etwas zu tun. Es findet also eine Entfremdung statt, kommt aber noch schlimmer. Denn der Bauer merkt, dass ihm selbst die in Kauf genommene Entfremdung nichts einbringt.
Bitte erklären Sie das näher.
Die Milchpreise sind volatil, die Förderungen sind volatil, die eigene Arbeitskraft ist volatil. Der Bauer kann nicht berechnen, wovon er leben muss. Das ist die pure Existenzangst, und dass daraus Wut entsteht, ist nachvollziehbar. Der Bachler sagt, dass es lohnender für ihn wäre, Schweinefleisch aus der Ukraine zu kaufen und zu vertreiben, als die Tiere selbst zu züchten.
Was er aber nicht getan hat?
Richtig. Bachler ging in gewisser Weise zurück zu den landwirtschaftlichen Formen der Vorfahren, versuchte sie zu veredeln und verkauft seine Produkte selbst. Das funktioniert nicht für alle Bauern, es wird auch nicht die Welt ernähren. Aber der einzelne Bauer muss zunächst einmal für sich selbst sorgen. Und seine Familie. Dennoch liegt vielleicht darin die Zukunft, vor allem, wenn wir auch unsere Essgewohnheiten ändern. Wahrscheinlich wird es aber eher so sein, dass die industrielle Fleischproduktion in Länder abwandert, wo man nicht mehr sieht, was da mit Tieren oder auch den Menschen passiert.
Die Bauern sind also zu Recht wütend: Warum aber richtet sich ihr Zorn vor allem gegen die Grünen, nicht etwa gegen die Fleisch- und Lebensmittelindustrie?
Das wundert mich auch. Eigentlich sollte man erwarten, dass sich der Zorn gegen die Supermärkte wendet, gegen die Schlachtindustrie und auch gegen eine konservative Agrarpolitik, die letztlich die Bauern in diese Situation gebracht hat. Ständig hat diese den Bauern gesagt, dass sie mehr und mehr, immer mehr investieren müssen.
Was insbesondere durch Agrarimporte zu einer enormen Verschuldung vieler Bauern geführt hat?
Selbstverständlich. Nun bin ich kein Linksradikaler, der das "böse" Bankensystem verflucht. Aber es ist schon problematisch, dass man den Bauern einredet, sich massiv zu verschulden und hohe Risiken einzugehen. Alles im Wissen, dass die Banken niemals verlieren werden, weil sie den Grund und Boden der verschuldeten Bauern als Sicherheit haben. Es ist ein ungesunder Wettbewerb, der da stattfindet.
Auch Christian Bachler steckte bis zum Hals in den Schulden, als Sie ihn kennenlernten. Sie konnten Ihrem neu gewonnenen Freund allerdings helfen?
Bachlers Mutter hat einmal einen eindrucksvollen Satz angesichts der familiären Situation gesagt: "Wer Schulden hat, wird leise." Es war dann auch sehr schwierig, den Bachler davon zu überzeugen, dass wir eine Spendenaktion machen. Ein Bauer bettelt nicht, das war sein Standpunkt. Als es dann losging, war der Erfolg überwältigend – auch weil der sogenannte Volks-Rock-'n'-Roller Andreas Gabalier die Aktion mit einem Video auf Facebook unterstützt hat, obwohl er mich zuvor noch öffentlich beschimpft hatte. 12.829 Menschen spendeten binnen kürzester Zeit sage und schreibe 416.811,25 Euro.
Und es hätte noch mehr werden können.
Ja, aber der Bachler hat den Spendenpool bei dieser Summe geschlossen. Denn er wollte "frei" werden, nicht reich. Seine Kredite konnte er mit dem Geld zurückzahlen, dann war für ihn Schluss. Das hat ihm die Ehre gerettet, denn er wurde bei sich daheim schon kritisch beäugt. Der Stammtisch war gespalten, manche haben auch schlecht über ihn gesprochen. Weil Bachlers Vater aber früh verstorben war, er jung Hof und Schulden übernehmen musste, herrschte Verständnis. Als er dann Demut zeigte, wurde es so akzeptiert. Denn das ist eine Sache, die viele Bauern vermissen: Respekt.
Wie äußert sich dessen Fehlen?
Für die Bauern bringt die urbane Gesellschaft viel Hohn und Spott auf. Fernsehformate wie "Bauer sucht Frau" sind ein Beispiel. Tatsächlich ist es für viele Bauern sehr schwer, eine Frau zu finden. Die Arbeit ist lang und hart, für viele kleine Betriebe ist die Situation prekär. Depression ist die größte Berufskrankheit der Bergbauern. Wenn die vorgeblich heile Idylle auf der Alm dann auch noch verkitscht wird, sorgt das für Verbitterung. Mein Buch ist der Versuch, mehr Empathie für die Bauern und ihre Situation zu wecken.
Sie nehmen sich als Journalist immer wieder die Zeit für den Austausch mit Menschen wie Christian Bachler, die Sie direkt angehen. Sie haben, wie es scheint, auch Spaß an der Kontroverse. Allerdings leben wir in Zeiten, in denen der Journalismus unter Quoten- und Kostendruck steht. Ist dafür überhaupt noch Platz?
Journalismus und Landwirtschaft sind durchaus vergleichbare Ökosysteme: Wenn wir als Journalisten überleben wollen, müssen wir auf Qualität setzen, das Gespräch suchen. Das ist etwas abhandengekommen – mit Datenjournalismus, Social Media und Künstlicher Intelligenz. Aber unser klassisches Handwerk besteht darin, hinauszugehen und mit den Menschen zu sprechen. Offen, aber mit kritischer Distanz. Meine Erfahrung ist: In dem Moment, in dem ich Leute anspreche, erschrecken sie über ihr aggressives Verhalten. Es ist ein Unterschied, ob ich über den Stadion-Lautsprecher die Leute aufpeitsche, vom Sofa aus einen Hasskommentar losschicke, oder ob wir uns in die Augen schauen und ins Gespräch kommen.
Sehen Sie eine Verschärfung aufgrund der Art und Weise, wie Politik gemacht wird?
Sie richtet sich derzeit schon stark nach einer Social-Media-Logik. Es ist kein Zufall, dass Donald Trump, Wladimir Putin und ein Herbert Kickl von der FPÖ hier in Österreich solchen Aufwind haben. Radikale Leute, die angeblich einfache Lösungen anbieten, kommen in sozialen Medien einfach stärker zum Vorschein, weil sie emotionalisieren.
Sehen Sie eine Perspektive, dass sich die derzeit nicht nur unter den Bauern so verbreitete Erregung und Gereiztheit wieder legen werden?
Die sozialen Medien werden sich ändern, wir werden uns alle verbiedermeiern. Es beginnt doch schon damit, dass die Jungen da rausgehen. Es heißt immer, der Journalismus setze auf ein altes Geschäftsmodell. Aber in 20 Jahren werden wir draufkommen, dass Mark Zuckerberg und Elon Musk auf ein altes Geschäftsmodell gesetzt haben: nämlich die Leute gegeneinander aufzubringen. Das hat so keine Zukunft.
Herr Klenk, vielen Dank für das Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Florian Klenk in Wien