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Hass auf Grüne im Osten: "Das war absolut schockierend"


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Hass auf Grüne im Osten
"So etwas habe ich noch nie erlebt"

InterviewVon Miriam Hollstein

22.07.2023Lesedauer: 5 Min.
imago images 0199678446Vergrößern des Bildes
Vor einem Supermarkt in Rostock ist die Parole "Grüne an die Ostfront" auf die Straße geschmiert. (Quelle: Frank Hormann/imago-images-bilder)

Ernst Paul Dörfler war einer der Gründer der Grünen im Osten. Und hat die Pöbelattacke gegen die Vizepräsidentin des Bundestags in Dessau miterlebt. Er glaubt, dass die Ursache für den Hass noch aus DDR-Zeiten stammt.

t-online: Herr Dörfler, Sie waren dabei, als die Vizepräsidentin des Bundestags, Katrin Göring-Eckardt, bei ihrer Ost-Tour in Dessau von Demonstranten niedergeschrien wurde. Wie haben Sie diesen Moment erlebt?

Ernst Paul Dörfler: So etwas habe ich noch nie erlebt. Das war absolut schockierend. Wir hatten als Dessauer Grüne zu einem öffentlichen Spaziergang an der Elbe eingeladen. Kurz bevor ich zum Treffpunkt kam, hörte ich schon den Lärm. Da standen mehrere Dutzend Krawallmacher, überwiegend Männer, die meisten im höheren Alter. Die haben nicht nur gebrüllt, sondern auch mit Trillerpfeifen und Sirenen einen Höllenlärm gemacht. Ich hatte den Impuls, sofort umzudrehen. Aber Katrin Göring-Eckardt meinte: Nein, da gehen wir jetzt hin.

Wie ging es weiter?

Wir standen dann mit einer Gruppe von circa zwanzig Leuten etwa doppelt so vielen Krachmachern gegenüber, darunter bullige Typen. Einer aus unserer Gruppe bekam etwas auf den Kopf geschlagen, da gab es dann sofort eine Anzeige. Es waren auch zwei Polizisten da. Die merkten, dass das brenzlig wird und haben dann über den Autofunk Verstärkung gerufen.

Kam es zu irgendeiner Form von Gespräch?

Einer von den Demonstranten brüllte Göring-Eckardt an: "Erklären Sie mal Ihre Politik." Das hat sie ein paar Mal versucht, wurde aber ständig niedergebrüllt. Der Mob rief "Grüne an die Ostfront" und "grüner Abfall", völlig enthemmt. Wir sind dann ein paar Schritte gegangen, es sollte ja ein Spaziergang sein. Aber die Demonstranten folgten uns brüllend und pfeifend. Ich fand bewundernswert, wie ruhig Katrin Göring-Eckardt in dieser Situation blieb. Auf dem Rückweg mussten wir mitten durch die Meute. Die Polizei hat für uns eine Art "Rettungsgasse" gebildet. Das ist ein Erlebnis, was hängen bleibt.

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Wie erklären Sie sich diesen Hass gegen die Grünen? Es ist ja die einzige Partei, die in Ostdeutschland zur Wende als echte Bündnispartei gestartet ist.

Die Grünen als Feindbild – das hat eine lange Tradition im Osten. In den Achtzigerjahren durfte man auf keinen Fall sagen, dass man Grüner ist. Das war schon Provokation. Grüne durfte es in der DDR nicht geben. Umweltschützer waren Staatsfeinde und wurden unter Beobachtung gestellt. Dann kam die Wende, und plötzlich wurde die Umweltbewegung gefeiert, zusammen mit der Demokratie- und der Friedensbewegung. Das System kollabierte und wir waren die Helden. Aber damit war es nach einem halben Jahr vorbei. Bei den ersten freien Volkskammerwahlen schafften wir zusammen als Bündnis 90/Die Grünen gerade einmal fünf Prozent. Vor der Wende waren wir die Staatsfeinde, nach der Wende waren wir die Wirtschaftsfeinde, weil wir die Maßnahmen des Aufschwungs Ost hinterfragten.

Also sind die Grünen in Ostdeutschland nie richtig in der Mitte der Gesellschaft angekommen?

Das stimmt, bis auf dieses eine halbe Jahr. Es gibt natürlich einen Unterschied zwischen den Metropolen in Ostdeutschland und dem ländlichen Raum. Aber der größte Teil der Wählerinnen und Wähler wohnt im ländlichen Raum, in Kleinstädten, und da ist die Bereitschaft, grün zu wählen, niemals angekommen.

Warum?

Weil die Menschen auf dem Land die Klimaprobleme lange überhaupt nicht wahrgenommen haben. Umweltbildung war in der DDR nicht erwünscht, ich wurde als einer der ersten ostdeutschen Klimaschützer permanent verfolgt und überwacht. Und dann führte die Wende ja zu einem Bruch in allen Biografien. Im ländlichen Raum verloren beinahe 90 Prozent der Menschen ihre Arbeit. Da musste man sich erst einmal neu orientieren und sich um die Dinge kümmern, um die man sich früher nie hatte kümmern müssen.

Aber sind die Grünen nicht auch mitverantwortlich, dass sie im Osten so ein negatives Image haben?

Natürlich. Die Grünen haben einen Fehler gemacht.

Welchen?

Sie waren nie populistisch. Wenn man dem Volk nach dem Maul redet, ist man beliebter. Die Grünen haben den Fehler gemacht, den Menschen etwas zuzumuten. Und da setzen sich natürlich viele zur Wehr.

Was nützt die beste Idee, wenn man das Volk nicht dabei mitnimmt? Dann ist man auch kein guter Politiker.

Das Dilemma der Grünen ist derzeit, dass die Probleme so drängend sind, dass kaum genug Zeit ist, die Bevölkerung mitzunehmen. Jetzt müssen wir das, was über Jahrzehnte versäumt wurde, nachholen; nämlich den Menschen erst mal bewusst zu machen, was auf sie zukommt.

Inzwischen sind die Folgen des Klimawandels nicht mehr zu übersehen, auch auf dem Land nicht. Ändert sich das Bewusstsein auf dem Land?

Nein, die ökologische Wende wird nicht von den ländlichen Räumen ausgehen. Sondern von den Metropolen, von den informierten, engagierten, leistungsorientierten, jüngeren Menschen. Auf dem Land lebt die alte Generation, mit sehr viel Beharrungsvermögen. Deshalb braucht das Land dringend Zuwanderung. Denn die Nahrung und das gesunde Klima entstehen ja im ländlichen Raum. Die Stadt produziert den Abfall und die Abwärme und das Abwasser und die Abluft. Das Land ist dafür da, das Gesunde zu schaffen und zu liefern. Dort brauchen wir qualifiziertes Personal, was sich um Wassermanagement und Naturschutz kümmern muss.

Wenn ich Sie richtig verstehe, hat der ländliche Raum gegenüber der Stadt beim Umweltschutz einen Standortvorteil?

Und nicht nur das. Die Alten auf dem Land halten vielleicht nichts von der ökologischen Wende. Aber sie leben viel umweltfreundlicher als die Grünen-Wähler in den Großstädten. Sie reisen wenig, reparieren Dinge, statt sie neu zu kaufen, pflanzen Lebensmittel im eigenen Garten an und gehen mit diesen sparsam um. Das ist viel nachhaltiger als das Leben der Städter.

Der Umweltaktivist Ernst Paul Dörfler
Der Umweltaktivist Ernst Paul Dörfler (Quelle: Steffen Schellhorn/imago-images-bilder)

Von der Stasi überwacht

Ernst Paul Dörfler war einer der ersten ostdeutschen Umweltschützer. Geboren 1950 in der Kleinstadt Kemberg in Sachsen-Anhalt, studierte er zunächst Chemie und arbeitete als Chemiker am Institut für Wasserwirtschaft in Berlin und Magdeburg. 1983 gab er die Stelle auf, um als Schriftsteller auf Umweltthemen aufmerksam zu machen. 1986 verfasste er den Umweltklassiker "Zurück zur Natur?". Seine Studien zur Verschmutzung der Gewässer durften in der DDR nicht veröffentlicht werden, er selbst wurde von der Stasi überwacht. 1989 gründete er gemeinsam mit seiner damaligen Frau Marianne Dörfler die Ost-Grünen mit, für die er zunächst in der Volkskammer und bis Dezember 1990 auch im Bundestag saß. Spätere Kandidaturen blieben erfolglos. In seinem jüngsten Buch "Aufs Land. Wege aus Klimakrise, Monokultur und Konsumzwang" (2021) ruft er Stadtbewohner auf, für den Umweltschutz aufs Land zu ziehen. Dörfler lebt im Biosphärenreservat Mittelelbe, gibt Führungen, hält Vorträge und arbeitet an einem neuen Buch.

An manchen Orten in Ostdeutschland scheint die Stimmung gerade zu kippen. Der Thüringer Autor Dirk Oschmann gibt dafür den Westdeutschen die Schuld: Sie hätten den Osten zur negativen Projektionsfläche gemacht, um sich selbst aufzuwerten. Hat der Westen den Osten quasi kolonialisiert?

Solche Reizwörter werden Sie von mir nicht hören. Natürlich hat man einiges Schlechtes erlebt. Nach der Wende wurden viele Unternehmen, darunter auch mein Verlag, von Westdeutschen übernommen und massenhaft Menschen entlassen. Aber ich kenne auch viele positive Gegenbeispiele. Viele Freunde, die ich neu gewonnen habe, sind aus den alten Bundesländern zu uns gekommen und spielen hier eine tolle Rolle. Oft sind sie die Impulsgeber für neue, gute Entwicklungen.

Was müssten die Grünen tun, um mehr Menschen im Osten vom Klimaschutz zu überzeugen?

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Der einzige Weg, um diese Wende zu schaffen, geht über den Preis. Alles, was unsere Lebensgrundlagen ruiniert, muss viel stärker besteuert werden. Laut Umweltbundesamt haben wir jedes Jahr 60 Milliarden Euro, die wir ausgeben für umwelt- und klimaschädliche Subventionen. Unser Bundeshaushalt subventioniert das Falsche. Klimaschädliches Verhalten muss im Geldbeutel wehtun, klimafreundliches Verhalten muss sich lohnen. Wenn die Menschen das spüren, verhalten sie sich auch grün.

Sie sind wegen Ihres frühen Engagements für Umweltschutz in der DDR jahrelang diskriminiert und von der Stasi überwacht worden, haben einen hohen Preis für Ihre Überzeugungen gezahlt. Was hat Sie motiviert, weiterzumachen?

Also, bei dem hohen Preis muss ich Ihnen widersprechen. Ich habe so viel gewonnen, etwa dadurch, dass ich meinen Job als Chemiker aufgegeben habe, um als Schriftsteller auf die Gefahren der Umweltzerstörung aufmerksam zu machen. Und auch sonst habe ich viel gewonnen: eine selbst bestimmte und gesunde Lebensweise, Freunde, Ideen. Ich bin sehr zufrieden. Hinzu kommt: Als mir klar wurde, wie ernst die Lage ist, gab es für mich keinen anderen Weg, als für die Rettung der Umwelt zu kämpfen.

Verwendete Quellen
  • Videointerview mit Ernst Paul Dörfler
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