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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Experte über Widerstand gegen Trump "Die Leute merken es schon jetzt"

Warum kann Trump einfach durchregieren, während die Demokraten wie gelähmt wirken? Der USA-Experte Stefan Liebich erklärt, warum jetzt ein linker Populismus der Schlüssel zur politischen Wende werden könnte.
Bastian Brauns berichtet aus Denver
Die Demokraten befinden sich in einer Krise – überrumpelt von der Wahlniederlage gegen Donald Trump und gelähmt von internen Richtungskämpfen. Während die neue Regierung im Weißen Haus die Opposition mit einer Lawine von Maßnahmen überrollt, formiert sich nun erstmals nennenswerter Widerstand.
Der 83-jährige Senator Bernie Sanders mobilisiert mit seiner "Fighting Oligarchy"-Tour Zehntausende Menschen, und linke Demokraten wie Alexandria Ocasio-Cortez finden zunehmend Gehör mit ihrer Botschaft, zur Arbeiterklasse zurückzukehren.
Für Stefan Liebich, den Leiter des USA-Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in New York, ist dieser Weg der richtige, um Trumps rechtspopulistischer Politik erfolgreich entgegenzutreten. Im Interview mit t-online erklärt er, warum den Demokraten nichts anderes übrig bleibt.
t-online: Herr Liebich, wie beurteilen Sie die politische Lage in den USA – zwei Monate nach der Amtseinführung von Donald Trump?
Stefan Liebich: Die Strategie der Trump-Administration ist erfolgreich: Wir werden hier mit Entscheidungen in einer Geschwindigkeit bombardiert, dass man dem gar nicht mehr folgen kann. Den Medien, der Opposition hier im Land, sowie allen, die davon betroffen sind, fällt es schwer, zu reagieren oder sich zu fokussieren, wogegen man sich auflehnt. Das ist ermüdend und frustrierend. Auch für uns als politische Stiftung.
Das Prinzip "Flooding the zone", also alles zu fluten und alle zu überfordern, ist nicht neu. Hätte man sich darauf nicht besser vorbereiten müssen?
Ja. Sie machen genau das, was sie angekündigt haben. Viele Menschen in den USA, aber auch im Ausland, wollten nicht glauben, dass das passieren wird. Die Umsetzung des "Project 2025" (Lesen Sie hier mehr zum "Project 2025") ist in vollem Gange. Das Ziel ist es, den Staat, wie wir ihn kennen, zu zerstören und denjenigen, die ohnehin genug haben – nämlich den Milliardären – noch mehr Geld zuzuschanzen. Während diejenigen, die den Staat benötigen, ausgeplündert werden sollen. Offenkundig war die politische Opposition in den USA darauf nicht vorbereitet. Sie steht vor der Herausforderung, einen Umgang damit zu finden.
Das dröhnende Schweigen der Demokraten ist seit Wochen ein Thema – in den USA, aber auch im Ausland. Das kann doch nicht nur thematische Überforderung sein?
Erstens glaube ich, dass viele Demokraten zu selbstsicher waren. Sie gingen davon aus, dass Kamala Harris knapp gewinnen würde. Auf diesen Fall waren sie eingestellt und vorbereitet – aber das ist nicht passiert. Viele, die daran geglaubt haben, standen dann erst mal überrascht da. Zweitens sind die Demokraten keine Partei wie in Deutschland. Man spricht hier von einem großen Zelt, in dem es sehr unterschiedliche Antworten gibt. Die Demokraten sind aktuell sehr damit beschäftigt, sich darüber zu streiten, was die Ursache der Wahlniederlage war, um daraus dann eine Strategie abzuleiten.
Zur Person
Stefan Liebich, 52, leitet das Nordamerika-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in New York. Der deutsche Politikexperte war von 2009 bis 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages für Die Linke, wo er unter anderem dem Auswärtigen Ausschuss angehörte und als außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion fungierte. Zuvor war er Fraktionsvorsitzender der PDS/Die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus. In den USA analysiert er die amerikanische Innenpolitik mit besonderem Fokus auf progressive Bewegungen und die Dynamik zwischen den beiden großen Parteien.
Manche Demokraten sagen hinter vorgehaltener Hand, das amerikanische Volk müsse jetzt spüren, was es gewählt hat. Dann werde sich schon alles wieder in Richtung der Demokraten drehen. Halten Sie das für klug?
Nein. Es stimmt, es gibt einige, die sagen, dass Abwarten eine gute Strategie ist – dass die Unzufriedenheit mit der Trump-Regierung so groß sein wird, dass man die Zwischenwahlen 2026 wieder gewinnen kann. Danach findet man irgendeinen moderaten, zentrischen Gouverneur oder eine Gouverneurin und gewinnt dann die nächsten Präsidentschaftswahlen. Ich glaube, das ist falsch – und das glauben auch viele linke Demokraten. Die Partei ist im Moment nicht die Adresse für die bestehende Verärgerung vieler Amerikanerinnen und Amerikaner. Viele Demokraten haben nicht verstanden, warum zu wenige Amerikaner die Demokraten gewählt haben.
Können Sie das genauer erklären?
Es gibt immer noch Stimmen, die etwa behaupten, man habe sich zu sehr auf das Thema der Rechte von Transmenschen konzentriert. Das ist Quatsch, weil das im Wahlkampf von Kamala Harris überhaupt keine Rolle spielte. Andere sagen, die Wählerinnen und Wähler von Trump seien Rassisten, Sexisten oder einfach dumm. Wer so rangeht, wird auch die nächsten Wahlen verlieren. Aber es gibt auch Stimmen, die das anders sehen.
Bernie Sanders ist eine von ihnen. Er mobilisiert mit seiner "Fighting Oligarchy"-Tour enorme Menschenmengen – in Denver zuletzt etwa 35.000 Leute. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg des unabhängigen Senators?
Bernie Sanders ist keine Randfigur am linken Rand des politischen Spektrums, sondern ein wahnsinnig bekannter und beliebter Senator. Er ist glaubwürdig und vertritt das, was er heute sagt, schon seit Jahrzehnten. In alten Reden hat er genau das Gleiche gesagt, nur war die politische Landschaft damals anders.
Worum geht es ihm?
Er hat immer vor einer Oligarchie in den USA, also einer Herrschaft der Reichen, gewarnt. Es gab in der US-Geschichte schon vor über hundert Jahren eine Phase, in der sich die Ölbarone das Land zur Beute gemacht haben. Er sagte schon früh, das werde wieder passieren. Jetzt sehen es alle, dass er recht hatte. Denn so schamlos, wie es im Moment passiert, wird es für alle offensichtlich. Milliardäre wie Elon Musk zerstören den Staat in Eigenregie und sorgen zugleich dafür, dass sie selbst nicht zu Schaden kommen, sondern weiterhin von ihm profitieren, indem ihre Steuern gekürzt werden und sie riesige Aufträge von der Regierung bekommen.
Sanders richtet seine Kritik zugleich an das eigene Lager.
Ja, das hat viele Demokraten geschmerzt und wütend gemacht. Sanders hat unmittelbar nach den Wahlen sinngemäß gesagt: "Wir haben verloren, weil wir die Arbeiterklasse verlassen haben, und jetzt hat die Arbeiterklasse uns verlassen." Das waren zunächst nur die weißen Arbeiter, aber jetzt sind es auch die Latinos, die Afroamerikaner und auch große Teile der Jugend. Er hat brutal den Finger in die Wunde gelegt.
Der einsame Mahner im linken Lager?
Diese Kritik kam nicht nur von ihm, sondern beispielsweise auch von Alexandria Ocasio-Cortez aus New York. Fast die Hälfte der demokratischen Abgeordneten sind Progressive, die erkannt haben, dass sich die Partei neu aufstellen muss.
Aber reicht Sanders' Erfolg mit seiner Anti-Oligarchen-Tour, wird die Demokratische Partei wirklich einen anderen Kurs einschlagen?
Ob sie es tut, wird die Zukunft zeigen. Es gibt ja auch die andere Hälfte der Demokraten. Diese Fraktion vertritt weiterhin den Kurs zu sagen: Der Hauptfehler war, dass wir Kamala Harris zu spät aufgestellt haben. Ich würde dem in gewisser Weise auch zustimmen. Joe Biden – obwohl ich viele Aspekte seiner Politik, wie den Inflation Reduction Act und vieles andere, gar nicht schlecht finde – hatte ja anfangs selbst gesagt, er wolle ein Präsident für den Übergang sein. Dann hat er das vergessen, und es zögerte seinen Abgang unter Druck ewig lange hinaus.
Das klingt nach einem Aber.
Es ist falsch, sich nur auf die späte Nominierung und den erlebten Rassismus und Sexismus gegen Harris zu konzentrieren. Viele Menschen waren mit den Demokraten grundsätzlich unzufrieden. Diese Erkenntnis setzt sich inzwischen auch bei gemäßigten Demokraten wie Senator Chris Murphy durch, der einräumt: 'Vielleicht hatte Bernie Sanders recht, und wir haben zu wenig zugehört.' Innerhalb der Partei beginnt eine Diskussion darüber, ob man sich nicht viel zu sehr von Unternehmensinteressen hat vereinnahmen lassen. Viele Demokraten stecken selbst in deren Tasche.
Warum haben viele Menschen denn Donald Trump den Vorzug gegeben?
Die meisten haben Trump gewählt, weil es ihnen wirtschaftlich schlecht ging. 40 Millionen Amerikaner sind arm, 60 Prozent kommen kaum über die Runden. Ein Kampf "Demokraten gegen Republikaner" wie in der Vergangenheit wird nicht helfen. Es ist ein Kampf "unten gegen oben".
Also hat erst eine reformierte Demokratische Partei wieder eine Chance gegen die Republikaner? Glauben Sie, dass es dafür eine Art linke Tea-Party- oder Maga-Bewegung brauchen wird?
Ich versuche, es so zu erklären: Dem rechten, bösen Populismus von Donald Trump und der in dieser Weise veränderten, rechtsradikalen Personenkult-Partei, die die Republikaner leider geworden sind, kann man nicht mit Einknicken und Zentrismus entgegentreten. So wie der Anführer der Demokraten im Senat, Chuck Schumer, jetzt den Haushalt für Trump, ohne ein einziges Zugeständnis der Republikaner, durchgewinkt hat, kann es nur schiefgehen.
Was würde stattdessen helfen?
Man muss dem Trump-Populismus einen guten, progressiven Populismus entgegensetzen. Und der sagt klar: "Wir stehen an eurer Seite. Euer Feind ist nicht der Migrant oder die trans Person, sondern der Milliardär." Ob das passiert? Das ist die Schlacht, die gerade stattfindet. Progressive Demokraten werden darum kämpfen müssen, in der Partei das Sagen zu haben. Die anderen werden nicht freiwillig gehen. Aber das ist der Ausweg. Die Demokraten dürfen nicht mehr in der Mitte warten.
Milliardäre sind für viele Amerikaner kein Feindbild, sondern Vorbild, auch für die Armen. Mit zu linken Ansichten drohen die Demokraten doch viele Wechselwähler in der Mitte zu verprellen?
75 Prozent der Trump-Wähler nannten die Inflation als Hauptgrund. Man muss für Gesundheitsversicherung, vernünftige Löhne und staatliche Infrastruktur kämpfen. Die Leute merken das schon jetzt, auch die, die Trump gewählt haben. Plötzlich werden auch sie aus dem öffentlichen Dienst entlassen, Leistungen werden ihnen gestrichen.
Trotzdem scheint die Unterstützung für Trump nach wie vor groß zu sein.
Ich glaube, dass Donald Trump seinen knappen Vorsprung von 1,5 Prozent jetzt schon verloren hat. Aber die Menschen brauchen eine Adresse, an die sie sich wenden können. Das sind die Demokraten bisher nicht. Bernie Sanders, die linke Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez und andere kämpfen darum, dass sie diese Adresse wieder werden.
Aber kann so ein linker Populismus funktionieren in einem Land, in dem Leute als Kommunisten oder Sozialisten beschimpft werden, die eine minimale öffentliche Gesundheitsversorgung oder einen anständigen Mindestlohn fordern?
Ja, und ich habe dafür zwei Argumente. Das eine ist Trump selbst. Er hat diese Begriffe völlig abgenutzt. Bei ihm ist jeder, der nicht auf seiner Seite steht, ein Marxist, Sozialist oder Kommunist. Vieles hat sich längst geändert. Als ich 2009 in die Bundespolitik ging und zum ersten Mal mit Amerikanern zu tun hatte, sind die fast in Ohnmacht gefallen, wenn ich sagte, ich sei demokratischer Sozialist. Das passiert heute kaum noch – dank Donald Trump.
In Trumps Wahlkampf scheint das Schreckgespenst des Kommunismus, das mit Harris drohe, ja gut funktioniert zu haben. Was ist Ihr zweites Argument?
Ocasio-Cortez sagt: 'Ich vertrete diese Positionen nicht als Marxistin, sondern weil ich Kellnerin war.' An die Lebensrealität der Menschen anzuknüpfen, ohne ideologische Etiketten, ist die richtige Strategie. "Common Sense", also das, was die Leute als Normalität empfinden – damit erreicht man eine Mehrheit.
Aber gab es solche Versuche nicht schon viele?
Ein Problem der Linken weltweit war und ist es, dass wir auf vielen Hochzeiten tanzen und bei tausend Themen immer eine bessere Welt wollen. Dann verstehen die Menschen nicht mehr, was der Kern unserer Politik ist. Zu sagen: "Wir kämpfen in erster Linie dafür, dass die Leute sich ihre Wohnung leisten und sie ihren Kühlschrank füllen können" – das versteht jeder. Darauf muss man sich fokussieren. AOC und Bernie Sanders haben das verstanden.
Kann eine linke Bewegung langfristig wirklich eine starke politische Kraft im Kernland des Kapitalismus werden?
Aber ja. Es gab progressive Republikaner, die einst gegen die Macht der Oligarchen im Ölsektor vorgegangen sind. Der demokratische Präsident Franklin D. Roosevelt sagte einst: "Ich erhöhe die Steuern für die Reichen, ich lege die Banken an die kurze Leine, ich reguliere sie, und ich starte große staatliche Infrastrukturprogramme." Das ist Teil der US-Geschichte.
Das ist lange her.
Es gab mehrere Jahrzehnte lang den Konsens in Washington, für stärkere Sozialleistungen einzutreten. Dass es heute die Gesundheitshilfen Medicare und Medicaid gibt, wurde damals auf breiter Basis entschieden. Erst mit Beginn des Neoliberalismus und mit Ronald Reagan drehte sich der Wind. Heute scheint es, als habe dieser Neoliberalismus, also der Kampf gegen den Staat, schon immer die USA geprägt. Aber das ist nicht wahr. Das wieder umzudrehen, ist möglich. Die Strategie der linken Demokraten ist genau richtig.
Dafür benötigen die Demokraten aber eine Galionsfigur für die Präsidentschaftswahl 2028. Bernie Sanders hat gesagt, er sei müde und wolle nicht noch einmal antreten.
Bernie Sanders persönlich ist der Grund dafür, dass es wieder eine starke Linke in den USA gibt – aber er ist 83 Jahre alt und natürlich nicht der Zukunftskandidat. Es ist gut, dass er hilft und jemanden wie Ocasio-Cortez, die 35 Jahre alt ist, auf den Schild hebt. Es gab kürzlich eine Umfrage, wonach sie derzeit die beliebteste Demokratin ist. Aber wir sind noch viel zu früh im Rennen. Wenn man zurückschaut, zu welchem Zeitpunkt Obama bekannt wurde – das passiert alles viel, viel später. Aber es stimmt, es braucht Gesichter, denen die Leute vertrauen.
- Telefonisches Interview mit Stefan Liebich