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Die Grünen: Jetzt kommt Robert Habeck


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Die Grünen
Jetzt kommt Habeck


Aktualisiert am 30.07.2021Lesedauer: 6 Min.
Robert Habeck auf seiner Küstentour: Welche Rolle nimmt er im Wahlkampf ein?Vergrößern des Bildes
Robert Habeck auf seiner Küstentour: Welche Rolle nimmt er im Wahlkampf ein? (Quelle: Beautiful Sports/imago-images-bilder)

Während Annalena Baerbock über ihre Fehler stolpert, läuft sich Robert Habeck an der Küste für den Wahlkampf warm. Was bedeutet das für die Grünen? Und für seine eigene Rolle?

Es ist eigentlich schon alles vorbei – doch dann hat Robert Habeck noch mal einen großen Moment.

Der Grünen-Chef hat in Timmendorfer Strand auf seiner Küstentour gerade eine Wahlkampfrede im Platzregen hinter sich. Erst versagt das Funkmikrofon, dann ist das Kabel des Ersatzgeräts zu kurz und Habeck muss die Bühne näher an die Technik wuchten. Schon bevor er zu sprechen beginnt, ist er platschnass. Im Grunde ein einziges Desaster.

Nachdem sich Habeck aber ohne Regenschirm durchgekämpft hat und kaum ein Zuhörer gegangen ist, geht er noch zum ZDF vor die Kamera. Als er sich das triefende Hemd zurechtzupft, scherzt ein Kameramann: Ach naja, es habe ja nicht die ganze Zeit geregnet. An einer Stelle, da sei Habeck so im Bild gewesen, dass die Sonne direkt über seinem Kopf gestanden habe.

"Die Lichtgestalt!", ruft der Mann. Alle lachen. Habeck auch.

Humor kann helfen, wenn es gerade so gar nicht läuft. Zumindest ein bisschen. Doch Robert Habeck weiß natürlich, dass sich die Erlösung durch eine Lichtgestalt für die Grünen bislang nicht eingestellt hat. Ihr Wahlkampf steckt noch in der Phase fest, in der sie sich das triefende Hemd nach einem Platzregen richten müssen.

Ob Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock die Rolle der Lichtgestalt nach ihrer Sonderzahlungs-Lebenslaufs-Plagiats-Fehlerkette noch einmal allein ausfüllen kann, wird bei allem Zuspruch selbst von manch Grünem indirekt bezweifelt. Nur: Was heißt das für die nächsten Wahlkampfwochen, wie soll es weitergehen? Und: Welche Rolle spielt Habeck dabei? Lichtgestalt? Doch noch Kanzlerkandidat?

Alles schon gefühlt

Jetzt, wo der Wahlkampf knapp zwei Monate vor der Bundestagswahl eigentlich erst so richtig beginnt, haben die Grünen schon alle Gefühle durchgefühlt: Anfangs himmelhoch jauchzend, in den vergangenen Wochen mitunter zu Tode betrübt. Die Umfragen sehen sie wieder klar hinter der Union, und mal mehr, mal weniger klar vor der SPD. In mancher Umfrage wird es sogar knapp für Schwarz-Grün.

Sie wollen jetzt wieder raus aus dem Tal, Schritt für Schritt, es hilft ja nichts. Wer sie dabei beobachtet und mit Beteiligten redet, der bekommt einen Eindruck davon, wie das funktionieren soll. Mit einem Dreiklang nämlich.

Die Grünen wollen, erstens, endlich wieder ihre eigenen Themen setzen. Sie wollen sich, zweitens, im Wahlkampf breiter aufstellen als es in der faktischen Zuspitzung auf Baerbock in den vergangenen Wochen der Fall war. Und sie wollen, drittens, ihre Botschaften direkt zu den Menschen bringen, auf die Wiesen und Marktplätze der Republik.

Aufhören Fehler zu machen, das wollen die Grünen ebenfalls sehr dringend. Sonst wird das alles nichts. Auch das ist ihnen klar.

Der Teufel im Detail

So einfach das im Allgemeinen klingt, so kompliziert ist es im Detail. Und zwar nicht nur das mit den Fehlern. Am Montag konnte man das erst wieder beobachten.

Wenn Politiker Themen setzen wollen, laden sie zu einer Pressekonferenz ein, das ist der klassische Weg. Die Grünen luden ein, um nach ihrer selbstgewählten Flutkatastrophen-Schonzeit den ersten Teil ihrer politischen Schlüsse zu präsentieren: die Reform des Katastrophenschutzes. Annalena Baerbock selbst kam in die Bundespressekonferenz.

Die Berichterstattung aber dominierten nicht ihre Vorschläge, allen voran eine bessere bundesweite Koordinierung der Hilfskräfte. Sondern wieder mal ein Fehler der Kanzlerkandidatin. Sie hatte in einem Interview das N-Wort ausgesprochen und sogleich um Entschuldigung dafür gebeten. Die anschließende Debatte spulte sich trotzdem ab wie auf Autopilot. Von der Katastrophenschutzreform blieb wenig hängen.

Auch deshalb ist es für die Grünen so wichtig, dass sie nun keine Fehler mehr machen. Sie lenken ab.

Viele Köche und der Brei

Die Partei im Wahlkampf breiter aufzustellen, ist auch gar nicht so einfach, wie es klingt. Denn das öffentliche Interesse sucht sich seinen Weg nicht immer so, wie die Grünen das wollen. Mit der Nominierung Baerbocks stand lange sie und nur sie im Fokus, obwohl die Grünen von Beginn an tapfer betonten, die Doppelspitze Baerbock/Habeck solle bestehen bleiben.

Es gibt in der Partei deshalb durchaus führende Politiker, die mit der Entscheidung hadern, überhaupt jemanden fürs Kanzleramt aufgestellt zu haben. Andere argumentieren, dass man den Wahlkampf sonst gleich hätte sein lassen können, in einer Situation, wo die Union tatsächlich in Reichweite schien. Denn wer wählt schon Ambitionslose?

Die Last jetzt möglichst wieder auf mehrere Schultern zu verteilen, bietet die Chance, dass andere Grüne Vertrauen zurückgewinnen, das die Kanzlerkandidatin zuletzt verloren hat. Nach dem Motto: Die Baerbock, naja, aber der Habeck, der war doch 'ne Wucht da im Platzregen, den kann man wählen.

Doch eine breitere Aufstellung birgt durchaus auch Tücken. Das hat sich etwa gezeigt, als der eigentlich immer erfrischend humorvolle Fraktionsvize Oliver Krischer bei Markus Lanz ins Stammeln geriet, als er das "superklasse Buch" von Baerbock zu verteidigen versuchte. Es war Robert Habeck, der das einige Tage später wieder geraderücken musste.

Und es gibt eine weitere Gefahr: Eine Kanzlerkandidatin, die ständig von anderen überstrahlt wird, wirkt dann irgendwann eben doch wie eine Fehlbesetzung. Auch sie muss wieder Tritt fassen und lockerer werden, damit das alles funktionieren kann.

Entlastung beim Bratwurst- und Badehosenkauf

Und funktionieren muss es schon ziemlich bald. Es sind noch knapp zwei Monate bis zur Wahl, von der zweiten Augustwoche an soll es richtig losgehen bei den Grünen. Dann wollen sie ihre Botschaft in die ganze Republik bringen, direkt zu den Menschen.

Dass auch dabei Robert Habeck eine Schlüsselrolle zukommen wird, lässt sich auf seiner zweiwöchigen Küstentour beobachten. Habeck schafft es nicht nur, dass die Menschen in durchnässter Kleidung sitzen bleiben, wenn er über Politik spricht. Er schafft es auch, komplizierte Ideen in einfache Bilder zu fassen. Er ist ein Geschichtenerzähler, einer der besten in der Politik.

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Der Vorwurf, die Grünen seien die Spaßverhinderungs- und Umerziehungspartei, ist noch immer derjenige, der sie am häufigsten trifft. Und der am gefährlichsten für sie ist. Habeck stellt sich dem bei einem Auftritt am Hafen von Travemünde nicht nur entgegen, indem er die neue Lieblingsformel der Grünen bemüht: "Politik soll nicht bessere Menschen machen, sondern bessere Politik."

Er erzählt eine Geschichte, die quasi im Vorbeigehen dem konservativen Versprechen in der Klimakrise ein konservativ-grünes Versprechen entgegensetzt. Während die Union die Menschen von Mühsal entlasten will, indem sie sagt, dass im Grunde alle so weitermachen können wie bisher, gibt Habeck sein eigenes Entlastungsversprechen. Passend zur urlaubenden Zuhörerschaft ist es ein Entlastungsversprechen beim Bratwurst- und Badehosenkauf.

Wer später seine Wurst fürs Grillen kaufe und eine neue Badehose, sagt Habeck, der achte wahrscheinlich auf die Preise und darauf, ob die Hose schick sei. Nicht auf die Nachhaltigkeit. Und das sei schon auch okay so. Sagt Habeck wohlgemerkt, ausgerechnet der Grüne.

Wir seien eben im Alltag in Widersprüchen verhaftet, argumentiert er, oft verführt von der Werbung und sowieso als Menschen unperfekt. Aber das heiße ja nicht, dass man eine Politik wählen müsse, die genauso widersprüchlich sei. "Wollen wir nicht lieber eine Politik wählen, die für die Regeln und Ordnungsräume sorgt, die uns im Alltag entlasten?"

Genau diese Politik, das ist die Pointe, die verspricht Habeck. Eine Politik, die langfristig dafür sorgt, dass in Travemünde keine Badehosen mehr angeboten werden, die unter miserablen Bedingungen genäht wurden. Und keine Würste mehr aus Massentierhaltung. Klar, ein bisschen teurer natürlich, aber ohne Veränderung geht's bei den Grünen eben nicht.

Es ist ein einfaches Versprechen in einer einleuchtenden Geschichte: Wir machen das für euch, weil der Einzelne es nicht schafft.

Also doch lieber Habeck?

Wäre er also der Bessere gewesen? Habeck statt Baerbock als Kanzlerkandidat? Die Frage ist so verführerisch wie die billige Badehose, aber sie zu stellen, ist eben auch sehr müßig. Denn es wird sich natürlich nichts mehr ändern. Jetzt den Kanzlerkandidaten zu tauschen, würde nicht nur die Partei sprengen, die hinter der dort beliebteren Baerbock steht. Es würde auch öffentlich ein fatales Signal des Wankelmuts senden.

Wer sich mit Habeck unterhält in sogenannten Hintergrundgesprächen, aus denen Journalisten nicht zitieren dürfen, weil sie sonst gar keine Hintergründe mehr erfahren, der bekommt den Eindruck eines Mannes, der Annalena Baerbock verteidigt und stützt. Aber eben auch eines Mannes, der daran glaubt, dass er es zumindest nicht unbedingt schlechter gemacht hätte als sie, selbst wenn er das nicht direkt ausspricht. Schon seine nach außen getragene Enttäuschung direkt nach der Entscheidung für Baerbock zeugte davon.

Ob er recht hat, ob er genauso gut oder sogar besser gewesen wäre, ist unmöglich zu sagen, weil sich eine Kanzlerkandidatur nicht simulieren lässt. Trotzdem lohnt sich der Blick ein paar Monate zurück. Denn damals war er es, bei dem in der Partei die Angst umging, dass er unter Druck Fehler machen könnte, zu viele Fehler, auch weil sie akribischer ist, wenn es um Details geht.

Und Habeck hat selbst ohne den Druck der Kandidatur Fehler gemacht, einen ziemlich großen sogar. Als er nämlich bei seinem Besuch in der Ukraine mit einem Halbsatz und einem daher gesagten "Defensivwaffen" nicht nur die Position seiner Partei, sondern auch die deutsche Außenpolitik infrage stellte. Selbst eine nicht unwichtige Grüne sagt, das habe sie sehr geärgert. Hätte Habeck diesen Fehler als Kanzlerkandidat gemacht, wäre die Sache öffentlich wohl komplett außer Kontrolle geraten.

Nein, eine Lichtgestalt ist Robert Habeck nicht. Natürlich nicht. Kanzlerkandidat wird er vor dieser Wahl auch nicht mehr. Aber die Grünen brauchen ihn jetzt. Mehr als gedacht.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche und Beobachtung
  • Begleitung der Küstentour in Travemünde und Timmendorfer Strand am 27. Juli 2021
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