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Heil schießt gegen CDU: "Herr Merz hat die Gesellschaft gespalten"


Hubertus Heil
"Dramatische Auswirkungen für künftige Rentner"


14.02.2025 - 09:38 UhrLesedauer: 8 Min.
20250210_DTONLINE_PHT_DSC05338.jpgVergrößern des Bildes
Hubertus Heil im t-online-Interview: "Ich habe noch einiges vor." (Quelle: Dominik Butzmann/t-online)
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Noch eine Woche bis zur Bundestagswahl, die SPD liegt weiter auf Platz drei in den Umfragen. Im Interview mit t-online zeigt sich Arbeitsminister Hubertus Heil trotzdem kämpferisch – und meldet schon mal Ansprüche für nach der Wahl an.

52 Jahre, Niedersachse, Politikwissenschaftler, Bundesminister für Arbeit und Soziales: Hubertus Heil versprüht die Aura eines gutmütigen Onkels und manchmal nennt er sich im Scherz auch so. Auf SPD-Parteitagen mögen ihn alle, beim letzten, Ende 2023, holte er als Parteivize 96,6 Prozent der Stimmen.

Doch seine sanfte Natur mag darüber täuschen, dass Heil politischer Vollprofi ist. Wohlmeinende Parteifreunde sagen über ihn, "der Hubi" habe ein besonders feines taktisches Gespür. Er gehe nur in die Kämpfe, von denen er wisse, dass er sie gewinne. Im oft brutalen Berliner Politikbetrieb ist das eine durchaus nützliche Fähigkeit. Kein Zufall also, dass Heil seit Jahren zur Riege der Spitzengenossen zählt. Je nach Koalition wird mit ihm vermutlich auch nach der Wahl zu rechnen sein.

Im Interview, das t-online Anfang der Woche und damit vor dem jüngsten Anschlag in München geführt hat, spricht Heil über den Wahlkampf auf den letzten Metern, die Rentenversprechen der SPD, die Kritik am Bürgergeld – und warum ihm der Kampf gegen die AfD auch ein persönliches Anliegen ist.

t-online: Herr Heil, ist dies das letzte Interview, das wir mit Ihnen als Minister führen?

Hubertus Heil: Wer weiß das schon? Ich bewerbe mich bei der Bundestagswahl um ein Direktmandat in meinem Wahlkreis Gifhorn-Peine. Wer nach der Wahl regiert, hängt vom Wahlergebnis und den Koalitionsverhandlungen ab.

Aber Ambitionen, in der Arbeitsmarktpolitik weiter was zu bewegen, haben Sie schon?

Durchaus. Ich habe noch einiges vor: Die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der künftigen Regierung ist entscheidend für dieses Land. Unser deutsches Geschäftsmodell als starke Exportnation wird gerade durch andere Länder herausgefordert: durch Zölle, Subventionen und Steuerwettbewerb. Wenn wir nicht aufpassen, drohen uns Erschütterungen, von denen wir uns nicht so einfach erholen werden. Ich will auch in Zukunft mit aktiver Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik für Wachstum, gute Arbeitsplätze und soziale Sicherheit in Deutschland sorgen.

Nach dem Asylmanöver von Friedrich Merz im Bundestag scheint das Verhältnis zwischen Union und SPD zerrüttet. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warf Merz vor, "das Tor zur Hölle" geöffnet zu haben. Wie soll man auf dieser Grundlage nach der Wahl über eine Koalition verhandeln?

Herr Merz hat die Gesellschaft durch sein Verhalten tief gespalten. Er hat noch vor Weihnachten versprochen, dass er keine Mehrheiten mit Rechtsextremen bilden oder in Kauf nehmen werde. Er hat sein Wort gebrochen. Friedrich Merz unterschätzt, was er an Vertrauen zerdeppert und welche Sorgen er in der Mitte der Gesellschaft ausgelöst hat. Es ist wichtig, dass wir in Deutschland Antworten in der demokratischen Mitte finden. "Kompromiss" darf unter Demokraten kein Schimpfwort sein.

Aus der SPD lassen sich Forderungen vernehmen, dass es eine mögliche Koalition mit der Union nur unter einer Bedingung geben würde: ohne Friedrich Merz an der Spitze. Mal im Ernst, Herr Heil: Wer soll das glauben?

Wir sind der Überzeugung, dass Olaf Scholz der bessere Kanzler ist und wir politische Lösungen in Deutschland in der demokratischen Mitte finden müssen. Ich bin sehr viel im Land unterwegs, in meinem niedersächsischen Wahlkreis in Gifhorn-Peine, aber auch in anderen Bundesländern. Und dort interessieren sich die Bürgerinnen und Bürger für andere Fragen: Wie geht es mit meinem Job weiter, wie ist die Zukunft unserer Wirtschaft, wie garantieren wir die soziale Sicherheit im Land? Darauf hat die SPD die besseren Antworten, etwa mit stabilen Renten, dem "Made in Germany"-Bonus für Investitionen in Deutschland und Entlastungen von unteren und mittleren Einkommen. Darum geht es jetzt, nicht um theoretische Planspiele nach der Wahl.

Diese Planspiele haben aber Sozialdemokraten angestellt, zum Beispiel der SPD-Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Alexander Schweitzer, und Juso-Chef Philipp Türmer. Keine unwichtigen Stimmen in der SPD, oder?

Wir kämpfen gemeinsam für die SPD und für Olaf Scholz. Ich hoffe, dass das Wahlergebnis der CDU deutlich macht, dass der Merz-Kurs – im Zweifelsfall auch Mehrheiten mit der AfD zu bilden – falsch war. Die CDU sollte als konservative demokratische Partei das Tor zur extremen Rechten dichtmachen.

Das heißt, das Tor zu Rechtsextremen ist Ihrer Meinung nach offen? Hat Merz es geöffnet?

Ja, Merz hat das Tor einen Spalt weit aufgemacht und wir müssen in Deutschland aufpassen, dass das nicht früher oder später dazu führt, dass die CDU Regierungsmehrheiten mit Rechtspopulisten bildet. Das hätte Folgen für Deutschland weit über diesen Wahlkampf hinaus.

Welche Folgen meinen Sie?

Ich will das mal sehr persönlich sagen. Meine Mutter war Jahrgang 1937. Als Kind hat sie erlebt, was brutaler Nationalismus auch in unserer Familie angerichtet hat. Mein Onkel ist als 16-Jähriger noch kurz vor Kriegsende verheizt worden. Ich bin ein Glückskind, Jahrgang ‘72, im Frieden aufgewachsen. Ich habe die deutsche Einheit und die europäische Einigung erlebt. Aber meine Kinder sind zehn und zwölf Jahre alt, und die sollen auch in 20, 30 Jahren noch in einer stabilen Demokratie leben. Das ist nicht selbstverständlich. Jede Generation muss die Demokratie neu erkämpfen. Deswegen sage ich: Mit der AfD darf es keine Koalitionen und auch keine Zusammenarbeit geben.

Sprechen wir über den Wahlkampf. Nach einer Recherche von t-online und "Tagesspiegel" hat SPD-Chef Lars Klingbeil Olaf Scholz bei mehreren Treffen nahegelegt, auf eine erneute Kanzlerkandidatur zu verzichten. Stünde die SPD mit einem Kandidaten Boris Pistorius jetzt besser da als mit den 15 Prozent laut Umfragen?

Die SPD hat sich bewusst für Olaf Scholz entschieden. Gerade in Krisenzeiten brauchen wir einen Kanzler mit starken Nerven und mit Regierungserfahrung. Olaf Scholz hat bewiesen, dass er auch in stürmischen Zeiten Kurs halten kann.

Hätten Sie sich eine herausgehobenere Rolle für Pistorius gewünscht im Wahlkampf?

Ich kenne Boris Pistorius seit 1991. Wir beide sind pragmatische niedersächsische Sozialdemokraten und freundschaftlich miteinander verbunden. Ich bin unglaublich froh, dass er unser Bundesverteidigungsminister ist. Und wir stehen gemeinsam als Team hinter Olaf Scholz.

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Lassen Sie uns ein wenig auf Ihre zweite Amtszeit als Minister zurückblicken, zunächst auf Ihre Rentenpolitik: Wie fühlt es sich an, beim zentralen Versprechen der SPD – ein dauerhaftes Rentenniveau von 48 Prozent – gescheitert zu sein?

Wir haben in der Rentenpolitik einiges erreicht. Mit dem Rentenpaket I haben wir der Altersarmut etwas entgegengesetzt, indem wir die Erwerbsminderungsrente verbessert haben. Das war mir wichtig, denn Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten können, sind dadurch deutlich besser gestellt worden.

Das Rentenniveau langfristig absichern sollte aber das Rentenpaket II, das wegen des Ampelbruchs jetzt nicht mehr kommt.

Richtig. Und das ärgert mich auch. Das Rentenpaket II war komplett ausverhandelt. Christian Lindner stand dazu, zumindest anfänglich. Doch dann bekam er offenbar Angst vor der eigenen Fraktion und hat das Projekt ausgebremst. Für die Rentnerinnen und Rentner ist das verheerend. Wenn wir nichts tun, droht das Rentenniveau ab 2026 zu sinken. Wir müssen deshalb noch in diesem Jahr handeln, sonst hat das dramatische Auswirkungen für alle künftigen Rentnerinnen und Rentner.

Wie meinen Sie das?

Ich habe mal durchgerechnet, was es für den Einzelnen praktisch bedeutet, wenn das Rentenniveau in den nächsten Jahren sinkt. Nehmen Sie eine Krankenpflegerin, die heute 49 Jahre alt ist, also mitten im Leben steht, und die wahrscheinlich im Jahr 2039 oder 2040 in Rente gehen wird. Wenn das Rentenniveau wie erwartet bis Mitte der 2040er-Jahre auf dann etwa 44 Prozent absinkt, ist die Kaufkraft dieser Krankenpflegerin im Rentenalter pro Jahr 1.100 Euro niedriger als bei einem Rentenniveau von 48 Prozent. 1.100 Euro weniger – das kann schnell ein ganzer Stapel von Rechnungen sein, den sie am Monatsende schwerer stemmen kann. Für jemanden, der sein Leben lang hart gearbeitet hat, ist das ein realer Einschnitt. Damit werde ich mich nicht abfinden.

Wenn es darum geht, die Kaufkraft zu erhalten: Wäre es nicht eigentlich schlauer, die Rentensteigerungen an die Inflation zu koppeln anstatt an die Lohnentwicklung?

Nein, das ist keine gute Option. Denn die Löhne steigen in aller Regel stärker als die Preise. Nur ein stabiles Rentenniveau sorgt dafür, dass die Menschen im Alter nicht ärmer im Verhältnis zur arbeitenden Bevölkerung werden. Das Rentenniveau von 48 Prozent ist darum für uns als SPD ein zentrales Anliegen, vor und auch nach der Bundestagswahl. Die Rente ist kein Gnadenbrot des Staates. Die Rentnerinnen und Rentner von heute und von morgen haben sie sich erarbeitet – und sie verdienen Verlässlichkeit und Stabilität.


Quotation Mark

Für Millionen Menschen war das die größte Lohnerhöhung ihres Lebens.


Arbeitsminister Hubertus Heil


Sie betonen gern, dass es am Arbeitsmarkt gut läuft, weil die Zahl der Erwerbstätigen zuletzt auf ein Rekordniveau gestiegen ist. Was Sie nicht so gern sagen: Die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden ist seit 1990 kaum gestiegen, weil mehr Menschen Teilzeitjobs haben und wir alle im Schnitt weniger arbeiten. Muss sich das angesichts der Konjunkturflaute ändern – müssen wir jetzt wieder mehr arbeiten?

Deutschland ist kein faules Land. Die Menschen in Deutschland leisten viel. Von den 46 Millionen Erwerbstätigen haben rund 35 Millionen einen sozialversicherungspflichtigen Job – trotz schwächelnder Wirtschaft. Das ist gut so und dafür habe auch ich während meiner beiden Amtszeiten viel getan.

Richtig ist aber auch, dass insbesondere die Erwerbsbeteiligung von Frauen noch weiter steigen muss. Viele Frauen sind ungewollt in Teilzeit, vor allem, weil es an Betreuungsangeboten für Kinder fehlt. Mir ist aber wichtig, hier nicht nur Probleme zu beschreiben, sondern auch konstruktiv Lösungen anzubieten.

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(Quelle: Dominik Butzmann/t-online)

Hubertus Heil

Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist seit 2018 im Amt. Im Bundestag sitzt er seit 1998, dabei gewann er stets – insgesamt siebenmal – das Direktmandat in seinem niedersächsischen Wahlkreis Gifhorn-Peine. In der SPD ist Heil seit 2011 Mitglied im Bundesvorstand, seit 2019 auch stellvertretender Parteivorsitzender. 2011 schrieb er gemeinsam mit Armin Steinbach das Buch "Damit Deutschland vorankommt" (Vorwärts Verlag), in dem er Ansätze einer progressiven Wirtschaftspolitik formuliert.

Woran denken Sie dabei?

Ich denke da an das Modell der "Alltagshelfer", ein Vorhaben, das wir mit der Ampel leider nicht mehr haben umsetzen können. Die Idee ist einfach: Alltagshelfer statt Familienstress – wir zahlen 40 Prozent und holen Frauen aus der Teilzeitfalle. Familien mit einem normalen Einkommen, die sich um kleine Kinder und/oder pflegebedürftige Angehörige kümmern, bekommen vom Staat ein jährliches Budget von bis zu 2.000 Euro, das sie – über eine App – für Hilfen im Alltag ausgeben können. Etwa für Putzhilfen oder für jemanden, der mal die Kinder betreut. Ich sehe da drei große Vorteile.

Nämlich?

Erstens würde uns so ein Schlag gegen die Schwarzarbeit gelingen, denn gerade in den eben genannten Jobs arbeiten viele an der Steuer vorbei. Zweitens würden für Menschen mit einfachen Qualifikationen gute, sozial abgesicherte Jobs entstehen. Und drittens könnten wir das Leben der arbeitenden Familien im Alltag ein Stück einfacher machen – und dafür sorgen, dass die Vollzeitquote bei Frauen steigt. Wenn nur zehn Prozent mehr in Vollzeit arbeiten, sind das 400.000 zusätzliche Fachkräfte. Das wäre ein Riesenschritt für Frauen und für faire Jobs.

Wie viel würde das kosten?

Nach unseren Annahmen könnten mittelfristig rund eine Million Haushalte auf das Familienbudget zugreifen. Die Kosten für das Familienbudget tragen sich unterm Strich selbst, schließlich stärken wir damit Frauen im Beruf, bekämpfen Schwarzarbeit, schaffen neue sozialversicherungspflichtige Jobs und sorgen für Steuereinnahmen.

Zum Schluss wollen wir noch kurz über das Bürgergeld sprechen, das viele schon deshalb kritisieren, weil es nach bedingungslosem Grundeinkommen klingt. Wären Sie offen, dieses Problem mit einem neuen Namen zu lösen?

Das Bürgergeld, das SPD, Grüne, FDP und CDU/CSU übrigens gemeinsam beschlossen haben, war und ist nichts anderes als eine Grundsicherung für Menschen in Not. Wichtig ist der Kern des Bürgergelds. Es geht darum, Menschen besser in Arbeit zu bringen, vor allem Langzeitarbeitslose. Aber: Wer glaubt, man könne allein durch eine Umbenennung Milliarden einsparen, ist naiv und täuscht die Menschen. Das ist eine klare Irreführung, das geht nicht.

Ich will, dass sich Arbeit mehr lohnt. Deshalb haben wir den Mindestlohn auf 12 Euro angehoben. Für Millionen Menschen war das die größte Lohnerhöhung ihres Lebens. Der Niedriglohnsektor schrumpft, doch wir gehen weiter: Steuersenkungen für untere und normale Einkommen und die Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro, damit noch mehr Menschen von ihrer Arbeit leben können.

Herr Heil, vielen Dank für dieses Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Hubertus Heil am 10. Februar 2025
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