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SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz: Deutschland drohe "Zeit der Enthemmung"


SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz
"Dann werden wir in einem anderen Land aufwachen"


11.01.2025 - 17:22 UhrLesedauer: 5 Min.
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Als er noch Kanzler war, sah er auch in Krisenzeiten stets das Positive. Nun warnt Olaf Scholz vor einer "Zeit der Enthemmung". (Quelle: Michael Kappeler/dpa)
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Olaf Scholz hat sich im Wahlkampf vom Mutmacher zur Kassandra gewandelt. Auf dem SPD-Bundesparteitag warnte der Kanzler vor dramatischen Zeiten in Deutschland, sollte er nicht wiedergewählt werden.

Olaf Scholz läuft ein wie ein Star. Unter tosendem Beifall der Delegierten bahnt sich der SPD-Kanzler seinen Weg durch die Menge, grinst sein Olaf-Scholz-Grinsen, schüttelt Hände, die sich ihm entgegenstrecken. Ein paar Minuten Ruhm, die muss man sich auch gönnen dürfen, gerade in diesen schwierigen Zeiten.

Scholz kann sie gut gebrauchen. Denn außerhalb der Messehalle des Berliner CityCube, wo an diesem Samstag der SPD-Sonderparteitag Scholz offiziell zum Kanzlerkandidaten für die Neuwahl gekürt hat, ist die Stimmung eine komplett andere.

Scholz' persönliche Beliebtheitswerte sind weiterhin im Keller. Auch die Kanzlerpartei verharrt in einem historisch niedrigen Spektrum zwischen 14 und 17 Prozent. Nur noch 43 Tage sind es bis zur vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar. Ob sie die Wende bis dahin schaffen kann, wird zunehmend fraglich. Im ZDF-Politbarometer vom Freitag liegt die SPD sogar nur noch auf Platz vier in der Wählergunst – hinter der AfD (21 Prozent) und jetzt sogar hinter den Grünen, die einen Prozentpunkt auf 15 Prozent zulegten.

Alarmsignal für die Sozialdemokratie

Gerade Letzteres müsste ein Alarmsignal für die Sozialdemokratie sein: Denn verliert die SPD die Führung im progressiven Lager an die Ökopartei, könnten sozialdemokratische Wechselwähler reihenweise zu den Grünen überlaufen. Der SPD droht dann, eine Haltelinie nach unten zu durchbrechen. Dann könnte es noch weiter abwärtsgehen, womöglich sogar in Richtung zehn Prozent.

Die trübe Ausgangslage sieht man Scholz nicht an, als er um kurz vor 12 Uhr in der Berliner Messehalle zum Podium schreitet. Ein Parteitag ist immer auch eine riesige Echokammer, die vor allem im Wahlkampf Zweifel und Skepsis sicher neutralisiert. Zudem weiß Scholz, dass selbst seine parteiinternen Kritiker, die vor Wochen noch Verteidigungsminister Boris Pistorius zum Kanzlerkandidaten machen wollten, nun voll auf seine Linie eingeschworen sind. Die Zwänge des Wahlkampfes.

"Verdammt ernste Zeit"

Der Kanzler schlägt gleich zu Beginn eine düstere Tonlage an: "Dramatische Dinge passieren in diesen Wochen", es sei eine "verdammt ernste Zeit". Scholz meint die gescheiterten Koalitionsverhandlungen dreier demokratischen Parteien in Österreich und den erklärten Willen der christdemokratischen ÖVP, FPÖ-Chef Herbert Kickl zum nächsten Bundeskanzler zu wählen.

"Ein extremer Rechter als Bundeskanzler", ruft Scholz empört ins Mikrofon. Obwohl alle demokratischen Parteien vorher monatelang "Stein und Bein" geschworen hätten, keine Koalition mit der rechten FPÖ einzugehen.

Scholz stellt das politische Chaos im Nachbarland ganz bewusst an den Anfang seiner Rede: Nicht nur versucht er indirekt zu insinuieren, wie brüchig konservative Brandmauern zur extremen Rechten sein können. Das Österreich-Szenario dient ihm vielmehr als Folie für seine Warnung, wie instabil die derzeitige Weltlage ist, wie zerbrechlich die demokratischen Institutionen sind. Und wie wichtig es daher ist, einen Kanzler zu haben, der das Land sicher durch stürmische Zeiten führt. Also ihn.

"Dann werden wir in einem anderen Land aufwachen"

Es ist die Meta-Erzählung der Genossen in diesem Bundestagswahlkampf. Scholz, der Besonnene, der in einer chaotischen Weltlage einen kühlen Kopf behält. Ganz anders – angeblich – der Unions-Herausforderer Friedrich Merz, den die SPD als impulsiv, politisch unerfahren, sprunghaft, unkalkulierbar markiert. Oder wie es Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig in ihrer Begrüßung ausdrückt: der "Brückenbauer" Olaf Scholz gegen den "Spalter" Friedrich Merz.

Dass Scholz als gescheiterter Brückenbauer einer zerstrittenen und am Ende kollabierten Ampelregierung in die Wahl zieht und Friedrich Merz in der letzten Zeit seine Rhetorik fast bis zur Unkenntlichkeit abdämpfte, fällt in Schwesigs Anmoderation allerdings herunter.

Auch ein anderer Punkt erstaunt: Als Kanzler hat sich Scholz stets auf die Fahnen geschrieben, Zuversicht zu spenden, nannte als Gegenstück dazu die AfD einst eine "Schlechte-Laune-Partei". Nun jedoch, als Kanzlerkandidat, ist Scholz zum dunklen Propheten mutiert, der Deutschland "am Scheideweg" sieht: "Wenn wir in Deutschland am 23. Februar falsch abbiegen, dann werden wir am Morgen danach in einem anderen Land aufwachen. Das darf nicht passieren", mahnte Scholz. Und erneut warnte er indirekt vor einer Eskalation des Ukraine-Krieges zu einem Dritten Weltkrieg, sollte Friedrich Merz ins Kanzleramt einziehen und den Marschflugkörper Taurus an die Ukraine liefern.

Scholz markiert den strammen Sozialdemokraten

Inhaltlich enthält Scholz’ Rede wenig Überraschendes. Der SPD-Kanzlerkandidat spielt routiniert auf der sozialdemokratischen Klaviatur, fordert stabile Renten, bezahlbaren Wohnraum durch eine verlängerte Mietpreisbremse, einen Mindestlohn von 15 Euro, eine von sieben auf fünf Prozent reduzierte Mehrwertsteuer auf Lebensmittel. Die SPD wolle 95 Prozent der Menschen entlasten, dafür müsste im Gegenzug das "eine Prozent mit den allerhöchsten Einkommen" etwas mehr in die Pflicht genommen werden.

Die CDU hingegen, so Scholz, plane "Steuergeschenke für Millionäre", etwa mit der Komplettabschaffung des Solis, die vor allem Topverdienern zugutekäme. "Da gibt es überhaupt kein Nachdenken darüber, wie die ganz normalen Leute klarkommen können", so der Kanzler entrüstet. Es ist der bei Sozialdemokraten beliebte Gegenschnitt: die SPD als Partei der hart arbeitenden Mehrheit im Land versus die CDU als Partei der Superreichen. Hier auf dem Parteitag verfängt das, immer wieder unterbricht der Applaus der Delegierten den Kanzler.

Anwalt der "normalen Leute"

Doch Scholz belässt es nicht bei sozialdemokratischen Wohlfühlthemen und Parteifolklore: Der Kanzler versucht sich, als der einzig vernünftige Kandidat der demokratischen Mitte zu präsentieren. Er spricht von den "ganz normalen Leuten mit Herz und gesundem Menschenverstand", die eine politische Kraft brauchen, die sie vertrete. "Diese politische Kraft sind wir. Diese Kraft ist die SPD."

Das erstaunt insofern, als die Scholz-SPD noch nicht mal den unangefochtenen Führungsanspruch im Mitte-Links-Lager in Deutschland hat. In der Kanzlerfrage hat der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck Scholz sogar weit abgehängt. Der Schritt hin zum Alleinvertretungsanspruch aller "normalen Leute" in Deutschland ist mindestens gewagt, wenn nicht ein wenig überheblich.

Scholz begründet das damit, was er vor einer Weile mal das "Nullsummendenken" nannte, das in Deutschland um sich greife. "Entweder innere und äußere Sicherheit – oder Modernisierung und sozialer Zusammenhalt. Entweder funktionierende Infrastruktur – oder starke Bundeswehr", so Scholz auf dem Parteitag. Die SPD stelle sich diesem Denken entgegen. "Eins ist klar: Wir werden niemals Sicherheit, Wirtschaft und Zusammenhalt gegeneinander ausspielen."

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Scholz will es allen recht machen

Der SPD-Kanzlerkandidat will es (fast) allen recht machen: Die Industrie soll von günstigeren Netzentgelten, Strompreisen und Investitionsboni profitieren, Arbeitnehmer von guten Löhnen, Rentner von einem stabilen Rentenniveau, die deutsche Infrastruktur soll mit Milliarden modernisiert werden, das Zwei-Prozent-Ziel der Nato werde eingehalten.

Zentrales Instrument für das sozialdemokratische Rundum-sorglospaket in der Krise ist die Reform der Schuldenbremse, die Scholz in seiner Rede zwar nicht beim Namen nannte, aber an mehreren Stellen in Aussicht stellte, stets begleitet vom Klatschen der Delegierten.

Der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück nannte das im aktuellen t-online-Podcast "Beschreibungsangst": Anstatt den Wählern in Zeiten von Krieg und Wirtschaftskrise Verzicht zuzumuten, werde ihnen suggeriert, es würde sich nichts ändern, und vor allem: Sie müssten sich nicht ändern.

Scholz verzichtet auf billige Trump-Kritik

Der außenpolitische Teil der Scholz-Rede fällt hingegen eher klein aus. Der Kanzler wiederholte seine Kritik am nächsten US-Präsidenten Donald Trump, der kürzlich Gedankenspiele offenlegte, wonach er Grönland und Kanada ins US-Staatsgebiet einverleiben wolle.

"Das Prinzip der Unverletzlichkeit von Grenzen gilt für jedes Land. Egal, ob es im Osten von uns liegt – oder im Westen", so Scholz, ohne die USA ("Westen") oder Russland ("Osten") namentlich zu nennen. Doch der SPD-Politiker verzichtete darauf, wie seinerzeit Schröder durch plumpen Antiamerikanismus Stimmung zu machen. Scholz' Kritik an Trump war grundsätzlicher Natur.

Auch zur Ukraine-Politik gab Scholz bekannte Positionen wider, sagte seine weitere Unterstützung zu und versprach, dass es keine Verhandlungen über die Köpfe der Ukrainer hinweggeben werde. Der ebenfalls anwesende ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev dürfte sich aber vor allem dafür interessiert haben, was aus dem drei Milliarden Euro schweren Waffenpaket geworden ist, das der Ukraine 2025 zustehen sollte und das jüngsten Berichten zufolge vom Kanzleramt blockiert werde (hier lesen Sie mehr dazu). Doch dazu war von Scholz nichts zu hören.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen auf dem SPD-Parteitag
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