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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kanzler legt offenbar Veto ein Scholz stellt sich gegen Pistorius
Verteidigungsminister Boris Pistorius wollte zusätzliche Hilfen für die Ukraine anfordern. Doch der Plan scheitert offenbar am Veto aus dem Kanzleramt.
Am Donnerstag kamen die Unterstützer der Ukraine auf dem US-Stützpunkt im rheinland-pfälzischen Ramstein zusammen, um über weitere Hilfen für das von Russland angegriffene Land zu beraten. Über dem Treffen lag Abschiedsstimmung, denn es war das letzte Mal, dass sich die Gruppe unter Führung der alten US-Administration traf.
Wenn in wenigen Tagen Donald Trump die Macht im Weißen Haus übernehmen wird, könnten sich die Vorzeichen für die Nato-Mitglieder, vor allem aber für Kiew, entscheidend ändern. Immer wieder hatte in den vergangenen Monaten Trump angekündigt, die Ukrainehilfen drastisch zu reduzieren oder sogar ganz einzustellen.
Wenige Stunden zuvor waren Bilder von einem grausamen Bombenangriff auf die ukrainische Stadt Saporischschja um die Welt gegangen. Es waren Aufnahmen, die von Tod und Zerstörung kündeten. Mehrere russische Gleitbomben hatten einen Straßenzug in der Metropole in Schutt und Asche gelegt, Tote und Schwerverletzte säumten den Asphalt.
Diskussion um milliardenschweres Hilfspaket
Umso wichtiger, dass die europäischen Nato-Partner dem schwer gebeutelten Land zur Seite stehen und Präsident Wolodymyr Selenskyj, der eigens nach Ramstein gereist war, ihre Solidarität versicherten. "Die Ukraine kann (...) sich auf Deutschland verlassen, unabhängig davon, wie der Wahlausgang am 23. Februar sein wird", sagte etwa der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius beim Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe in Ramstein in Rheinland-Pfalz. Ebenso wie sein US-Pendant Lloyd Austin, der eine Tranche von 500 Millionen Dollar in Form von Waffen und Ausrüstung für die Ukraine ankündigte, sagte auch Pistorius (SPD) die Lieferung weiterer Lenkflugkörper für die Ukraine zu, etwa für die Abwehrsysteme Iris-T.
Allerdings wurde am Rande des Treffens noch etwas anderes publik: Demnach bremst das Bundeskanzleramt einen Vorstoß aus, der Ukraine außerplanmäßig ein milliardenschweres Hilfspaket zur Verfügung zu stellen, wie der "Spiegel" berichtet. Dem Bericht zufolge wollen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Verteidigungsminister Pistorius noch vor der Bundestagswahl am 23. Februar zusätzliche Gelder in Höhe von etwa drei Milliarden Euro mobilisieren. Kanzler Olaf Scholz verweigert diesem Vorhaben jedoch seine Zustimmung, wie es nach Informationen des Magazins heißt.
Offenbar sollen Pistorius und Baerbock schon vor einigen Wochen mit der Initiative an den Kanzler herangetreten sein, konkret: nach dem Bruch der Ampelkoalition im November. Seit dem Jahreswechsel sei der Plan der beiden Ministerien allerdings ins Stocken geraten. Das Kanzleramt soll den beiden Häusern nämlich signalisiert haben, dass es die Idee für das zusätzliche Milliarden-Budget nicht mittragen werde.
Russland greift Ukraine mit schweren Gleitbomben an
Nach dem Ampel-Aus sollen Baerbocks und Pistorius' Ministerien begonnen haben, ein umfangreiches Waffenpaket für die Ukraine zu schnüren. Darin enthalten sein sollten drei Iris-T-Flugabwehrsysteme plus Munition, weitere Patriot-Lenkflugkörper, zehn Radhaubitzen und weitere Artilleriemunition. Begründet wurde der Plan mit der prekären militärischen Lage der Ukraine an fast allen Abschnitten der Front und dem schnellen Voranschreiten der russischen Truppen. Auch der bevorstehende Machtwechsel im Weißen Haus und die damit verbundene Unsicherheit im Hinblick auf Militärhilfe durch den bislang größten Ukraine-Unterstützer USA sollen ein Faktor gewesen sein.
Tatsächlich benötigt die Ukraine vor allem eine weitere Stärkung ihrer Flugabwehr dringender denn je. Russlands Diktator Wladimir Putin lässt das Land unvermindert mit einem tödlichen Bombenhagel überziehen. Erst am Mittwoch waren bei einem verheerenden Angriff auf die ukrainische Stadt Saporischschja mindestens 13 Menschen getötet und 113 verletzt worden. 59 der Verletzten kämpfen noch um ihr Leben, berichtete die "Bild".
Zwei russische 500-Kilogramm-Gleitbomben waren nach ukrainischen Behördenangaben in einem Industrieobjekt niedergegangen. Fotos und Videos zeigten Zerstörungen am Flugzeugmotorenwerk Motor Sitch, in dem auch Drohnen für die ukrainische Armee hergestellt werden.
Auch mehrstöckige Wohnhäuser und weitere zivile Infrastruktur seien bei dem Angriff beschädigt worden, erklärte die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft auf Telegram. Trümmer hätten eine Straßenbahn und einen Bus mit Fahrgästen getroffen. Die Leichen und Verletzten lagen auf einer Straße und den angrenzenden Gehwegen neben den beschädigten Nahverkehrsfahrzeugen. Es gebe nichts Grausameres, als Bomben auf eine Stadt abzuwerfen, in dem Wissen, dass normale Zivilisten leiden werden, erklärte Präsident Selenskyj auf der Online-Plattform X. Er fordert die westlichen Verbündeten erneut auf, den Druck auf Russland zu erhöhen.
Kanzleramt sieht offenbar "keinen eiligen Handlungsbedarf"
Die Vorzeichen vor dem Amtsantritt Donald Trumps stehen für die Ukraine jedoch eher schlecht. Nicht ausgeschlossen werden kann, dass die USA sich in Kürze ganz aus der Koalition der Ukraine-Unterstützer verabschieden werden. Das war auch den Teilnehmern in Ramstein am Donnerstag klar. Ohne sich solchen Spekulationen hingeben zu wollen, versicherten Teilnehmer des Treffens jedenfalls, dass es eine Ukraine-Kontaktgruppe auch ohne die USA geben werde. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas sagte, die Europäische Union sei bereit, die Führung zu übernehmen, "falls die Vereinigten Staaten nicht dazu bereit sind".
Ein Land, das die dann vakante Führungsrolle übernehmen könnte, ist Deutschland. Bislang ist Berlin der zweitgrößte Unterstützer Kiews (zumindest was die absoluten Zahlen der militärischen Zuwendungen an die Ukraine betrifft). Mit ihrem Vorhaben für eine überplanmäßige Ausgabe aus dem bislang noch vorläufigen Bundeshaushalt wollten Pistorius und Baerbock die starke Position Deutschlands an der Seite der Ukraine wohl festigen und damit auch ein Signal an die Bündnispartner senden.
Dem macht Kanzler Scholz nun wohl einen Strich durch die Rechnung. Wie der "Spiegel" berichtet, begründete das Kanzleramt seine Weigerung damit, dass aus dem vorläufigen Haushalt für 2025 noch genügend Ukrainehilfen zur Verfügung stünden und man zudem die zukünftige Bundesregierung nicht vor vollendete Tatsachen stellen wolle. Auch hieß es laut dem Magazin, dass man im Kanzleramt "keinen eiligen Handlungsbedarf" sieht.
- spiegel.de: Scholz blockiert neues Milliardenpaket für die Ukraine
- bundesregierung.de: Diese Waffen und militärische Ausrüstung liefert Deutschland an die Ukraine
- bild.de: Bomben-Terror in Saporischschja: Horror-Foto zeigt Brutalität von Russlands Krieg
- bundeshaushalt.de: Bundeshaushaltsplan 2024. Einzelplan 60. Allgemeine Finanzverwaltung
- atlanticcouncil.org: How might Germany’s coming election shape future support for Ukraine?
- politicio.eu: Germany’s Scholz vows to ‘stand by’ Kyiv as Ukraine debate rages at home
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters