t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikBundestagswahl 2025

FDP: Wahldebakel und Lindner-Rückzug – wie geht es jetzt weiter?


Mit der FDP geht auch ihr Chef
Schluss, aus, vorbei


24.02.2025 - 09:19 UhrLesedauer: 6 Min.
Player wird geladen
Die Linke jubelt. während die FDP den Einzug in den Bundestag verpasst. (Quelle: reuters)
News folgen

Die Liberalen fliegen aus dem Bundestag, schon wieder. Parteichef Lindner wirft hin. Wie geht es jetzt weiter? Und vor allem: mit wem?

Die Bombe ließ Christian Lindner schon um 20.31 Uhr in der ARD platzen. "Wenn die FDP aus dem Bundestag ausscheidet, ist das völlig klar, dass ich dann auch aus der Politik ausscheide", sagte er in der Berliner Runde der Parteichefs. Und weiter: "Wenn morgen meine politische Laufbahn endet, dann scheide ich mit nur einem Gefühl: Dankbarkeit."

Inzwischen ist es morgen, Montag, der Tag nach der Wahl. Und der von Lindner beschriebene Fall ist eingetreten. Die FDP, in den ersten Prognosen und Hochrechnungen zunächst noch hoffnungsfroh mit knapp 5 Prozent in den Wahlabend gestartet, hat es nicht gepackt. Die Liberalen fliegen aus dem Parlament, zum zweiten Mal binnen zwölf Jahren. Die Partei steht jetzt genau dort, wo Lindner sie einst als Parteichef übernommen hat: in der außerparlamentarischen Opposition (Apo).

Lindner, der am späteren Abend via X noch nachgelegt hatte, dort ohne "Wenn" vom Ende seiner Zeit in der "aktiven Politik" sprach, wird in den Führungsgremien der Partei wohl am Vormittag offiziell seinen Rücktritt erklären. Für 14 Uhr ist eine Pressekonferenz angesetzt, dann wird es auch die Öffentlichkeit final erfahren. Der Mann, der am längsten Chef der FDP war, länger noch als Hans-Dietrich Genscher, nimmt seinen Hut. Isch over.

Die Liberalen stehen damit nach dreieinhalb Jahren in der Ampel vor einem Trümmerhaufen. Wie geht es weiter? Und vor allem: mit wem?

Der Wahlabend beginnt hoffnungsfroh

Am frühen Sonntagabend will sich diese Fragen zunächst noch niemand stellen. Auf der Wahlparty im Hans-Dietrich-Genscher-Haus in der Berliner Reinhardtstraße wird um 18 Uhr sogar gejubelt. In den ARD-Zahlen reicht es mit einem Wert von 4,9 Prozent zwar knapp nicht, das ZDF aber prognostiziert 5,0 Prozent, Wiedereinzug in den Bundestag, allen Widrigkeiten und den mauen Umfragen der vergangenen Monate zum Trotz. Sogar eine Regierungsbeteiligung, eine Deutschlandkoalition von CDU/CSU, SPD und FDP scheint in diesen Minuten möglich.

Weißweingläser klirren aneinander, mancher trinkt profan auch Bier. Es ist voll. Am Büfett bilden sich Schlangen, gereicht werden Chili con und Chili sin Carne, außerdem Zwiebelkuchen und Kartoffelsalat mit Würstchen. Erst mal was essen, verspricht ja ein langer Abend zu werden. Die Stimmung schwankt zwischen gelöst und angespannt. Für den Moment aber ist sie eher gelöst.

Auffällig ist zu diesem Zeitpunkt aber bereits, dass sich von der Parteispitze lange niemand blicken lässt unten im Atrium, wo die Basis jubelt. Während in der ersten Stunde nach Schließen der Wahllokale nach und nach alle Parteichefs vor das klatschende Publikum treten, vereinzelt auch die Generalsekretäre der Konkurrenz ihre Einordnung in die filmenden Kameras sprechen, bleibt die Prominenz der FDP zunächst lange oben in den Büroräumen der Bundesgeschäftsstelle.

Die Zahlen sinken, die Stimmung kippt

Schließlich, inzwischen ist es fast 19.30 Uhr, geht dann doch das Licht im Treppenhaus an, Applaus brandet auf: Lindner und die Parteigranden steigen hinab, sie bahnen sich den Weg zur Bühne. "Wir sind in das volle politische Risiko gegangen. Wir zahlen einen hohen Preis dafür, für Deutschland war diese Entscheidung aber richtig", sagt Lindner. Hinter ihm: General Marco Buschmann, Fraktionschef Christian Dürr, Parteivize Johannes Vogel, Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Überwiegend ausdruckslose Mienen, ein Lächeln will keinem über die Lippen gehen. "Es ist eine Niederlage für die Freien Demokraten", so Lindner weiter. Aber: "Die Freien Demokraten sind nicht endgültig besiegt, sie gehören zu dieser Republik, weil der politische Liberalismus zu dieser Republik gehört."

Das klingt gar nicht mehr euphorisch, eher nüchtern. Im Publikum wird dennoch laut geklatscht, gepfiffen und gejubelt. Nach Wochen, in denen es in den Umfragen kaum aufwärts ging, wirken sie zufrieden mit Lindner und der Spitze und dem Herzschlagfinale. Und noch scheint ja auch alles möglich. Die großen Fernseher vor Ort zeigen weiterhin beide ersten Programme, inzwischen wurde der Ton jedoch umgeschaltet. Statt Jörg Schönenborn, der aus Sicht der Liberalen die schlechteren ARD-Hochrechnungen von Infratest dimap präsentiert, tönt nun die Stimme von Shakuntala Banerjee aus den Boxen: Beim ZDF liegt die FDP weiter bei 5,0 Prozent.

Wenig später aber kippt die Stimmung. Weil auf einmal auch die ZDF-Zahlen anders aussehen. Schlechter. 4,9 Prozent, kurz darauf 4,7 Prozent. Mit zunehmender Zeit sinkt die Ziffer hinter dem Komma immer weiter. Um 20.15 Uhr dann richten sich Augen im Genscher-Haus auf die Berliner Runde – wo Lindner gleich beim ersten Einsatz loswird, was er loswerden will: Wenn das nichts mehr wird, wonach es ja aussieht, dann bin ich weg.

Lindner baute die Partei im Alleingang wieder auf

Spätestens jetzt scheint vielen Anwesenden klar: Das wird heute nichts mehr. Manches Weinglas wird schneller geleert, die anfängliche Euphorie und Hoffnung weicht Resignation und Ratlosigkeit. "CL" verlässt uns, jetzt also doch. Endgültig.

Lindner, das muss man wissen, ist für die Liberalen eine Art Moses. Er war es, der die Partei 2013 übernahm, als sie schon einmal am Boden lag. Vier Jahre zog er mit ihr durch die Wüste Apo, ehe er sie zurückbrachte ins gelobte Land, den Deutschen Bundestag. Dafür genießt er Respekt und immerwährende Dankbarkeit in der Partei, auch jetzt noch. Zugleich werden in diesen Minuten Erinnerungen wach: Wer soll die FDP nun in einer ähnlich schwierigen Lage retten? Wer wird der neue Moses?

Schnell wird am Sonntagabend eine ganze Reihe von Namen gehandelt. Einige sind bekannt, galten sie doch schon immer als potenzielle Nachfolger für Lindner. Konstantin Kuhle etwa und auch Johannes Vogel. Beide allerdings haben einen Nachteil: Mit dem Aus der FDP im Bundestag haben sie keinen Politjob mehr, sondern müssen in ihre angestammten Berufe zurückkehren, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Parteichef ist ein Ehrenamt. Wer diesen Job will, muss sich diesen Job erst einmal leisten können.

Loading...
Loading...

Mehrere Namen werden gehandelt

Und so fallen darum auch Namen von Leuten, die weiter ein Mandat und damit ein Einkommen aus der Politik sowie Wirksamkeit in der Öffentlichkeit haben. Marie-Agnes Strack-Zimmermann etwa, Spitzenfrau im Europawahlkampf, die vergangenes Jahr immerhin 5,2 Prozent für die FDP holte. Andere Namen lauten: Moritz Körner, Generalsekretär der einflussreichen FDP Nordrhein-Westfalen und wie Strack-Zimmermann Mitglied des Europaparlaments; Henning Höne, Chef der FDP-Fraktion im Landtag NRW; Hans-Ulrich Rülke, Vorsitzender der Landtagsfraktion in Baden-Württemberg.

Nicht besonders oft genannt werden derweil jene, die eng mit der Person, manche sagen: mit dem System Christian Lindner verbunden sind. Etwa Christian Dürr, Chef der nun aufzulösenden Bundestagsfraktion, oder auch Marco Buschmann, Ex-Justizminister und als Generalsekretär mit zuständig für den verkorksten Wahlkampf.

Im Hintergrund, so ist auf der Wahlparty zu hören, laufen am Abend bereits erste Gespräche. Inoffiziell. Bestätigen will das keiner. Erst einmal abwarten, muss ja alles auch gar nicht so schnell gehen, lautet die Losung.

Novum Doppelspitze?

Tatsächlich ist zunächst noch offen, ob Lindner, wenn er am Montag offiziell hinschmeißt, sofort den Hut nimmt, oder ob er noch bis zum nächsten ordentlichen Parteitag im Mai im Amt bleibt. Letztere Option erscheint im Sinne eines geordneten Übergangs wahrscheinlich. Dann hätte die Partei Zeit für das, was an diesem Abend viele "erst mal sortieren" nennen.

Sogar die Möglichkeit einer Doppelspitze steht im Raum, was für die FDP, die sich anders als Parteien wie etwa die Grünen mit Quotenregelungen für Frauen oder Ähnlichem schwertut, ein absolutes Novum wäre. Problem an solch einem Vorgehen: Dafür müsste die Satzung der Partei auf dem Parteitag geändert werden – unter Wahrung einer dreimonatigen Frist für einen entsprechenden Antrag. Und die ist mit Blick auf Mai schon abgelaufen. Aber, so berichten es mehrere Parteiinsider, mit einem Trick ginge es womöglich doch, etwa wenn man einen bestehenden Passus der Satzung lediglich änderte, statt einen neu zu verfassen.

Vorteilhaft daran wäre es aus Sicht mancher in der Partei: Auch in der FDP gibt es mindestens zwei verschiedene Strömungen, die in der Lindner-FDP lange nur nicht zutage traten. Die knallhart Wirtschaftsliberalen mit konservativem Anstrich auf der einen Seite, die Progressiven, die auch gesellschaftliche Themen und Bürgerrechte nach vorn stellen wollen, auf der anderen Seite.

"Die Fahne wird wieder aufgerichtet"

Nachteil des Ganzen: In der Apo-Wüste ist es schon schwierig, mit nur einer Person an der Spitze medial durchzudringen. Zwei Spitzenleute müssten sich die Aufmerksamkeit teilen, hätten es noch schwerer. Auch 2013 lautete deshalb die Devise: Lindner only. Ein Moses reicht.

Fest steht allerdings, gänzlich jenseits der Personen: Die FDP wird sich in den kommenden Wochen, Monaten, vielleicht Jahren viel mit sich selbst beschäftigen, beschäftigen müssen. Die Liberalen müssen Lehren aus der zweiten Regierungszeit ziehen, die zum Ausscheiden aus dem Parlament geführt hat. Sie müssen sich fragen, ob sie trotz oder wegen eines Wahlkampfs verloren haben, in dem sie sich fast schon verzweifelt der Union an den Hals geworfen haben und Schwarz-Grün verhindern wollten, statt auf ihre Eigenständigkeit zu setzen.

Auch ein neues Grundsatzprogramm, so sagen es viele in der FDP, täte not. Die Hoffnung vieler: Mit neuen Inhalten bei den nächsten Landtagswahlen wieder bessere Ergebnisse erzielen und so im Gespräch bleiben, nicht in Vergessenheit geraten. Je nachdem, welche Regierungskoalition sich jetzt findet, werde der Bedarf nach liberaler Politik schon wieder wachsen: "Ab morgen wird die Fahne der Freien Demokraten wieder aufgerichtet", wie Lindner sagte. Es klingt wie eine Parole, wie ein Appell. Der aber kann sich auch schnell als reines Wunschdenken herausstellen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Beobachtungen vor Ort
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



Telekom