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Koalitionsvertrag und Sondierungspapier: Wie bindend sind Vereinbarungen?


"Das erscheint paradox"
Es zeigen sich erste Risse


14.03.2025 - 09:22 UhrLesedauer: 4 Min.
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Spitzen von Union und SPD: Nicht alle getroffenen Vereinbarungen sind eindeutig. (Quelle: Carsten Koall/dpa)
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Union und SPD begeben sich in Koalitionsverhandlungen. Doch wie bindend sind die Ergebnisse überhaupt für die gemeinsamen Regierungsjahre?

Die Sondierungsvereinbarung zwischen Union und SPD war noch keine zwei Tage alt, da gab es bereits Unstimmigkeiten zwischen den Parteien über den gerade erst ausgehandelten Kompromiss. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung standen dabei ausgerechnet Politiker, die an den Verhandlungen beteiligt waren und für die aufgeschriebenen Ziele wesentlich mitverantwortlich sind.

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Der ehemalige CDU-Minister Jens Spahn erklärte, das Vorhaben, Asylsuchende an den Landgrenzen nur "in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn" zurückzuweisen, könne auch anders interpretiert werden. "Wir machen uns nicht abhängig von der Zustimmung der anderen Länder", sagte er dem Portal "Table.Briefings". "Da steht nicht 'zustimmen', sondern 'in Abstimmung'", betonte er. Aus der SPD kam schnell Widerspruch. SPD-Chefin Saskia Esken verdeutlichte im Deutschlandfunk: "Wir haben etwas anderes vereinbart und dabei bleiben wir auch."

Zahlreiche Widersprüche zwischen Union und SPD

Wenig später meldete sich auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann zu Wort und erklärte, der 15-Euro-Mindestlohn und die Festschreibung des Rentenniveaus auf 48 Prozent seien keinesfalls festgelegt, obwohl die SPD-Wahlversprechen im Sondierungspapier stehen. "Die Mindestlohn-Kommission wird die Löhne festlegen", sagte er der "Bild".

"Darauf wurde (im Sondierungspapier) Bezug genommen. Und dann steht der Satz da: Unter diesen Bedingungen kann ein Mindestlohn von 15 Euro dann 2026 erreicht werden", führte er aus. Wenn der Mindestlohn nur auf 14 Euro steige, könne man nichts machen. In der SPD sieht man das anders. Dort geht man fest von einem Anstieg auf 15 Euro im Jahr 2026 aus.

Unmittelbar vor Beginn der Koalitionsverhandlungen wackelten die ersten Vereinbarungen also bereits wieder. Wie bindend ist das Sondierungspapier unter diesen Voraussetzungen? Und wie sehr werden sich die Parteien letztlich an den Koalitionsvertrag gebunden fühlen, der in den kommenden Wochen ausgehandelt werden soll und die Vorhaben für die gemeinsamen vier Regierungsjahre bestimmt?

Koalitionsvertrag "kein zivilrechtlicher Vertrag"

Der Politikwissenschaftler Jürgen W. Falter von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz stellt im Gespräch mit t-online klar: "Sowohl das Sondierungspapier als auch der Koalitionsvertrag haben keine rechtliche Verbindlichkeit im Sinne eines zivilrechtlichen Vertrags, sondern sind eine politische Absichtserklärung beider Seiten." Das bedeutet, rein rechtlich ist ohnehin niemand an die Vereinbarungen gebunden. Jeder sei nur so weit daran gebunden, wie er sich selbst daran gebunden fühle.

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(Quelle: imago)

Zur Person

Prof. Dr. Jürgen W. Falter ist Politikwissenschaftler und forscht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Zeitweise war er Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für politische Wissenschaft, 2005 erhielt er das Bundesverdienstkreuz am Bande. Falter hat sich insbesondere mit Parteienforschung und politischer Kultur beschäftigt, wobei er auch die Verbindlichkeit von Koalitionsverträgen analysiert hat.

Falter glaubt allerdings, dass "die Scharmützel über die Interpretation der Formulierungen, die im Augenblick ausgebrochen sind", die Koalitionsverhandlungen nicht ernsthaft belasten. Man werde wohl auch im Koalitionsvertrag versuchen, Dinge möglichst vage zu formulieren. "Es scheint paradox. Aber: Je genauer ein Koalitionsvertrag formuliert ist, desto größer ist die Chance, dass er nicht realisiert wird."

So scheitere ein solcher Vertrag "selbst bei bestem Wissen in der Sekunde, in der sich politische Rahmenbedingungen gravierend ändern". Bestes Beispiel ist die Ampelregierung. Dort hieß es auf den 144 Seiten der Koalitionsvereinbarung unter anderem: "Wir wollen mit Russland stärker zu Zukunftsthemen zusammenarbeiten."

Nur wenige Wochen nach Abschluss des Koalitionsvertrags überfiel Russland die Ukraine. Die Folge waren gänzlich andere Voraussetzungen in vielen Politikbereichen, insbesondere der Verteidigung, der Energie und der Wirtschaft.

Warum ein kurzer Koalitionsvertrag eine Herauforderung ist

Falter plädiert daher für einen kürzeren Koalitionsvertrag mit wenigen entscheidenden Vorhaben. Die tatsächliche Ausführung solle dann während der Regierungszeit besprochen werden. So könne es vermieden werden, den Vertrag auch unter anderen Voraussetzungen zu brechen.

Genau das hatte die Union ursprünglich auch angedacht. CSU-Chef Markus Söder hatte etwa gefordert, im Koalitionsvertrag dürften nicht alle "endlosen Einzeldetails" genannt werden. Doch dann geriet bereits das elf Seiten umfassende Sondierungspapier länger als gedacht. Es habe ungefähr den Umfang, den sie mal für den Koalitionsvertrag angedacht hatten, scherzte Dobrindt kurz vor der Vorstellung.

Allerdings ist dies wohl eher eine Wunschvorstellung. Die Koalitionsverträge der vergangenen Regierungen waren stets mindestens 130 Seiten lang, und auch nun verhandeln wieder 256 Politiker in 16 Untergruppen über die Leitlinien der künftigen Zusammenarbeit. Dabei dürfte kaum ein 20-seitiges Papier herauskommen.

Und die Verhandlungen werden auf jeden Fall dauern. Merz hat allerdings einen straffen Zeitplan angekündigt. Bis zum 24. März sollen die Arbeitsgruppen fertig sein, dann geht es in die finalen Verhandlungen. Danach müssen noch die Parteien zustimmen. Am 23. April will sich Merz zum Kanzler wählen lassen. Lesen Sie hier mehr zum Fahrplan der Union.

Man verliere sich dann häufig in Details, gibt Falter zu Bedenken und ergänzt: "In diesen Koalitionsvereinbarungen steckt auch immer unglaublich viel heiße Luft."

Koalitionsvertrag: Es kommt auf die Formulierung an

Laut Falter gibt es bei Koalitionsverträgen drei Arten von Formulierungen, die jeweils unterschiedlich viel Gewicht haben. "Wir werden ... machen" bedeute eine feste Vereinbarung, an die sich die Koalitionspartner in der Regel halten. "Wir wollen ..." sei bereits eine weichere Formulierung, die verdeutliche, dass das Vorhaben nur unter bestimmten Voraussetzungen umgesetzt werden.

"Wir prüfen ..." sei die schwächste Formulierung, die darauf hindeute, dass die Regierung sich nicht einig geworden sei. Würde man sich auf den ersten Ausdruck konzentrieren, könnte der Vertrag deutlich kürzer ausfallen.

Zudem habe sich in der Vergangenheit gezeigt, dass selbst detaillierte Formulierungen nicht ausreichen, "wenn einer der Partner sich über den Tisch gezogen oder bedroht fühlt".

Die vielfach kritisierte Ampelkoalition schaffte es in der verkürzten Amtszeit, 39 Prozent ihrer Vorhaben ganz oder teilweise umzusetzen, weitere 36 Prozent wurden begonnen. Dagegen blieb ein Viertel der Themen komplett unbearbeitet oder wurde aufgehoben. Bei der Großen Koalition zuvor blieb ein Fünftel der Vorhaben liegen.

Komplett erfüllt wird ein Koalitionsvertrag also ohnehin quasi nie. Auch das weist darauf hin, dass er mitunter offenbar zu ausführlich ausfällt, als dass eine Regierung sich allen Themen in den vier Jahren Regierungszeit vollumfänglich widmen kann – oder will.

Verwendete Quellen

Quellen anzeigenSymbolbild nach unten

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