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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Scholz' Krisendiplomatie in Ägypten Es droht eine Eskalation
Der Bundeskanzler hat am Mittwoch den ägyptischen Staatschef al-Sisi in Kairo getroffen. Es waren heikle Gespräche, die von der jüngsten Eskalation im Gazastreifen überschattet wurden.
Als Olaf Scholz und Abdel Fattah al-Sisi vor die Kameras treten, ist ihre Anspannung kaum zu übersehen. Sie wirken müde, der Bundeskanzler und der Präsident von Ägypten. Beide dürften eine kurze Nacht gehabt haben, bevor sie sich am frühen Mittwochmorgen in Kairo zu Gesprächen trafen.
Scholz war erst spät aus Israel abgereist. Dort hatte er als einer der ersten Staatschefs überhaupt Premierminister Benjamin Netanjahu persönlich seine Solidarität bekundet, nachdem die Hamas am vorvergangenen Wochenende mehr als 1.300 israelische Zivilisten ermordet hatte. Wegen eines Raketenangriffs auf den israelischen Flughafen Ben Gurion hatte sich sein Abflug dann verzögert. Als er spät nachts dann in Kairo aus dem Flugzeug stieg, war die Nahostkrise bereits weiter eskaliert: Ein Raketenangriff auf ein Krankenhaus in Gaza dürfte einige Telefonate zur Folge gehabt haben.
"Die Lage in Gaza wird immer schlechter", sagt nun also al-Sisi am Mittwochmorgen.
Und er hat recht. Seit Tagen sind keine Hilfsgüter mehr in den Küstenstreifen gekommen. Die Versorgung der knapp zwei Millionen Menschen dort wird immer schwieriger. Wasser, Nahrung und Treibstoff gehen zur Neige. Die Grenze nach Gaza ist seit der Attacke der Hamas-Terroristen geschlossen. Nichts und niemand kommt mehr in den Küstenstreifen hinein oder aus ihm heraus.
Erschwerte Krisendiplomatie
Als wäre die Lage nicht schon angespannt genug, hat die Rakete, die am späten Dienstagnachmittag in einem Krankenhaus im Gazastreifen einschlug, die Krisendiplomatie weiter erschwert. Hunderte Menschen sollen ums Leben gekommen sein. Noch ist unklar, wer die Verantwortung für den Angriff trägt. Israel und die Hamas schieben sich gegenseitig die Schuld zu. Scholz' Treffen mit dem ägyptischen Präsidenten wurde dadurch nicht nur um einiges wichtiger, sondern auch heikler.
Eigentlich sollte am Mittwoch nämlich US-Präsident Joe Biden nach seinem Besuch in Israel weiter in die jordanische Hauptstadt Amman reisen, um dort König Abdullah II., den ägyptischen Präsidenten al-Sisi und den Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas zu treffen, der die mit der Hamas verfeindete Fatah-Partei im Westjordanland anführt. Doch wegen des Angriffs auf die Klinik wurde das Treffen kurzfristig abgesagt. Offizielle Begründung: die von Abbas ausgerufene dreitägige Staatstrauer.
Scholz' Gespräch mit al-Sisi war also Teil einer eng abgestimmten Krisendiplomatie. Doch das Vorgehen musste kurzerhand angepasst werden. Der Kanzler war umso mehr gefordert, die Wogen zu glätten und auszuloten, zu welchen Zugeständnissen Ägypten in dieser angespannten Lage bereit ist und wie eine Eskalation der Gewalt in der Region verhindert werden kann.
Kein Wort über die Verbrechen der Hamas
Scholz' Ziel dabei: Ein humanitärer Zugang zum Gazastreifen. Die Zivilbevölkerung in dem Küstenstreifen müsse geschützt und etwas gegen ihr Leid getan werden, sagt er am Mittwoch in Kairo: "Die Menschen dort brauchen Wasser, Nahrung und Medikamente." Bislang ist der Grenzübergang zwischen Gaza und Ägypten in Rafah geschlossen. Es kommen keine Hilfsgüter mehr ins Land.
Auch für al-Sisi ist das Leid der Palästinenser immens wichtig. Anders als Scholz verliert er bei der Pressekonferenz aber kein Wort über die Verbrechen der Hamas an den israelischen Zivilisten, die Auslöser für die nun dramatische Lage im Gaza waren.
Al-Sisi redet ausschließlich über die Not der Palästinenser und macht dabei unmissverständlich klar, was der jordanische König Abdullah II. schon am Dienstagmorgen beim Treffen mit Scholz betont hatte: Kein arabisches Land sei derzeit bereit, palästinensische Flüchtlinge aufzunehmen. Zu groß sei die Sorge vor einem Flächenbrand, dass der Konflikt sich auf das eigene Land ausweitet.
So sagt al-Sisi: Flüchtlinge aus Gaza etwa auf der Sinai-Halbinsel unterzubringen, werde es mit ihm nicht geben. Das würde früher oder später den Frieden zwischen Ägypten und Israel gefährden.
Druck auf Netanjahu wächst
Dennoch hat Scholz heute, gemeinsam mit US-Präsident Biden, etwas Wichtiges für die Menschen im Gazastreifen erreicht. Al-Sisi hatte heute in Kairo zum ersten Mal in aller Deutlichkeit betont: Die israelischen Raketenangriffe verhinderten, dass der Grenzübergang betrieben werden könne. Sollten alle Kampfhandlungen eingestellt werden, könnten darüber auch wieder Hilfsgüter in den Gazastreifen gebracht werden.
Es war die indirekte Aufforderung an den israelischen Präsidenten Benjamin Netanjahu, eine Feuerpause zu bewilligen. Bislang hatte Netanjahu sich hier stur gestellt.
Nach dem Gespräch mit Biden verkündet der israelische Premier heute, er werde ermöglichen, dass eine begrenzte Menge an humanitären Hilfsgütern über die Grenze aus Ägypten in den Gazastreifen gebracht werden könne. Die Bilder vom Krankenhaus in Gaza dürften den Druck weiter verstärkt haben - auch auf Netanjahu.
- Eigene Recherche