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Zum journalistischen Leitbild von t-online.So schwierig sind Scholz' neue Partner Ein Land so abgeschottet wie Nordkorea
Die Beziehungen der zentralasiatischen Staaten zu Putins Russland sind traditionell stark. Doch nun rücken sie auch in den Fokus von Kanzler Olaf Scholz.
Gleich fünf zentralasiatische Staatschef sind an diesem Freitag im Kanzleramt zu Besuch. Kanzler Olaf Scholz wollte mit ihnen eine neue Ära der Zusammenarbeit einläuten, die strategischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu den teils gasreichen Ländern vertiefen. Die Ziele: Die Unabhängigkeit von russischen Energieimporten weiter voranzutreiben, mehr Einfluss in der Region zu gewinnen und somit Russland unter Druck zu setzen. Mehr zu den Ergebnissen des Gipfels lesen Sie hier.
Doch unter den Besuchern sind auch Diktatoren, die ihre Länder mit teilweise wahnwitzigen Regeln führen – das gilt insbesondere für die Präsidenten von Tadschikistan und Turkmenistan. Kaum verwunderlich also, dass Scholz und seine Gäste aus Kasachstan, Usbekistan, Kirgisistan, Tadschikistan und Turkmenistan auf eine gemeinsame Pressekonferenz verzichten – und somit auch auf unangenehme Fragen. Ein Überblick.
Russische Propaganda in Turkmenistan
Im Kanzleramt zu Besuch ist auch Serdar Berdimuhamedow, Präsident von Turkmenistan. Das gasreiche Land gilt als abgeschottete Diktatur, ähnlich wie Nordkorea. Berdimuhamedow "erbte" das Amt 2022 von seinem Vater Gurbanguly Berdimuhamedow, der das Land 15 Jahre lang führte. Wie sehr die Bürger die Berdimuhamedows fürchten, zeigt ein Beispiel aus dem Jahr 2020, als Menschen ihre Autos umlackierten, nachdem das Gerücht aufgekommen war, ihr Herrscher würde nur noch weiße Autos dulden.
"Gurbanguly Berdimuhamedow mag helle Farben", sagte Farid Tuchbatullin, Leiter der Menschenrechtsorganisation Turkmen Initiative for Human Rights (TIHR) der Deutschen Welle. Obgleich Berdimuhamedow nie ein Gesetz erlassen habe, wonach dunkle Autos verboten seien, gebe es "Farbkontrollen" durch die Polizei. Auch die traditionellen turkmenischen Teppiche seien zu Zeiten Gurbanguly Berdimuhamedows nicht mehr in Dunkelrot, sondern in hellen Farben hergestellt worden. Über die politischen Entscheidungsprozesse in Turkmenistan ist hingegen nur wenig bekannt.
Wirklich freie Wahlen hat es in dem Land seit der Eigenständigkeit im Jahr 1991 nicht gegeben. Sowohl Gurbanguly Berdimuhamedow als auch schon sein 2006 verstorbener Vorgänger Saparmurat Nijasow schufen einen Personenkult. Die Opposition wird unterdessen seit Jahren im Keim erstickt: Oppositionelle werden verfolgt, Medien zensiert und Kritiker des Diktators festgenommen und gefoltert.
Turkmenistan pflegt enge Beziehungen zu Russland. In den Medien, aber auch in Schulen und staatlichen Einrichtungen wird russische Propaganda verbreitet, vor allem über die Invasion in der Ukraine. So wird behauptet, dass die USA und Europa den Faschismus unterstützten und Lügen über Russland verbreiteten würden, wie Radio Free Europe berichtete.
Russisches Militär in Tadschikistan
Ebenfalls ganz weit unten im Demokratieindex rangiert Tadschikistan. Emomalij Rahmon gilt als "Führer der Nation", sein Gesicht findet sich in dem Land fast überall wieder. Rahmon wurde nach dem Ende des tadschikischen Bürgerkrieges im Jahr 1994 zum Machthaber Tadschikistans gewählt. Beobachter bezeichneten die Wahl als nicht fair.
Bis heute gilt die Wiederwahl Rahmons jedes Mal als sicher, denn eine schlagkräftige Opposition gibt es in dem autoritär geführten Land nicht mehr, einzig die Sozialdemokraten sind als Oppositionspartei zugelassen – wenngleich sie in dem repressiven Staatsapparat wenig Chancen haben.
Wie andere Diktatoren bereitet auch Rahmon seine Nachfolge vor: Sein Sohn Rustam Emomalij gilt als Nachfolger für das Präsidentenamt. Bereits 2017 ernannte sein Vater ihn zum Bürgermeister der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe, 2020 wurde er zudem Senator. Auch hielt Rahmon in seiner Amtszeit mehrere Referenden ab, sicherte sich somit etwa eine längere Amtszeit und setzte zudem das Mindestalter für das Präsidentenamt von 35 auf 30 Jahre herab – und ebnete so seinem Sohn, damals noch 33 Jahre alt, den Weg zur Nachfolge. Wann es so weit ist, ist unklar. Bislang regiert der 70-Jährige unermüdlich weiter.
Auch Tadschikistan führt enge Beziehungen zu Russland. Viele Tadschiken arbeiten etwa in dem Land, weil sie dort weit mehr Geld verdienen können. Auch im russischen Militär sind viele Tadschiken und kämpfen etwa in der Ukraine. Russland hat zudem Militär in Tadschikistan stationiert, erst kürzlich wurden die Handelsbeziehungen ausgebaut.
Allerdings gibt es auch Spannungen: Russland spricht von Problemen in der Zusammenarbeit, wobei es vor allem um organisierte Kriminalität und Menschenschmuggel gehe. Tadschikistan beklagt wiederum, dass die eigenen Staatsbürger in Russland diskriminiert würden. Erst im Mai gab es Berichte über Massenfestnahmen von tadschikischen Studenten in Russland, die anschließend von den Behörden brutal verhört worden sein sollen.
Besondere Bemühungen um Kasachstan
Die engsten Beziehungen strebt Scholz allerdings mit Kasachstan an. Bereits am Donnerstag hatte er sich mit dem Präsidenten Kassym-Schomart Tokajew getroffen, gemeinsam traten sie – anders als nach dem Treffen am Freitag – auch vor die Presse. Im Vergleich zu seinen vier Mitreisenden ist Tokajew offenbar der Gewichtigste, doch auch er führt sein Land mit harter Hand.
Zwar finden in Kasachstan noch Wahlen statt. Im November 2022 ließ sich Tokajew mit mehr als 80 Prozent der Stimmen wiederwählen. Seine Gegenkandidaten aber waren eher Dekoration, ohne eigene Positionen und gänzlich unbekannt.
Gründe, unzufrieden zu sein, hätten die Kasachen genug. Das Land hat große wirtschaftliche Probleme. Als sich im Januar 2022 die Preise für Autogas verdoppelten, trieb das Zehntausende auf die Straße. Die Proteste wurden gewalttätig, wobei offenbar auch Tokajews Widersacher, der frühere Präsident Nursultan Nasarbajew, mitspielte. Tokajew reagierte mit einem Schießbefehl, mithilfe von Truppen des von Russland angeführten Militärbündnisses OVKS unterdrückte die Regierung die Proteste. Mehr zu den Protesten in Kasachstan im Januar 2022 lesen Sie hier.
Kasachstan emanzipiert sich von Russland
In den vergangenen Monaten aber hat Kasachstan sich mehr von Russland abzukoppeln versucht. Das Land hat sich, anders als von Russland gefordert, nach der Invasion in der Ukraine nicht auf die russische Seite geschlagen. Tokajew hält sich eher neutral, fordert ein Ende des Krieges und ruft beide Seiten zu einer Lösung auf.
Zudem beteuert er, den Westen dabei zu unterstützen, dass die Sanktionen gegen Russland nicht umgangen werden. "Deutschland sollte keine Angst haben, dass wir irgendetwas tun könnten, um das Sanktionssystem zu umgehen", sagte er bei einem Pressestatement mit Scholz. Der Kanzler wiederum würdigte dessen Bemühungen, die Umgehung von Sanktionen gegen das benachbarte Russland zu unterbinden. Es sei "gut und hilfreich", dass die kasachische Regierung Gegenmaßnahmen ergriffen habe, sagte der Kanzler.
Auch sollte bei dem Treffen an diesem Freitag möglicherweise ein Thema sein. Denn die anderen Länder positionieren sich in der Sanktionsfrage nicht so klar. Die Exporte aus den zentralasiatischen Staaten nach Russland sind seit der Invasion in der Ukraine teils deutlich angestiegen. Das nährt den Verdacht, dass Unternehmen westlicher Staaten versuchen, Wirtschaftssanktionen auf diesem Umweg zu umgehen.
Der kirgisische Präsident Sadyr Dschaparow wehrte sich erst kürzlich gegen Forderungen aus den USA, mehr Kontrollen einzuführen. "Wir sind ein souveräner Staat. Wir behandeln alle Länder gleich", sagte er im August dazu.
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- kg.kabar.kg: "Садыр Жапаров Кыргызстан санкцияларды айланып өтүүгө көмөктөшүп жатат деген билдирүүлөргө комментарий берди" (russisch)
- euractiv.de: Scholz: Druck auf Russland durch Kasachstan und Zentralasien
- dw.com: Verbietet Turkmenistan dunkle Autos?
- t-online.de: Autoritäre Herrscher: Putins gleichgesinnte Unbekannte
- azathabar.com: "Türkmenistanda orsýetçilik propagandasy güýçlenýär, Ukrainadaky uruş barada günbatar maglumatlaryny okamazlyga çagyryş edilýär" (turkmenisch)