Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Svenja Schulze "Wir wollen aktiv anbieten, Schulden zu erlassen"
Entwicklungsministerin Svenja Schulze warnt davor, Ostafrika aus dem Blick zu verlieren. Und hat eine klare Meinung zu den Aktionen der "Letzten Generation".
Während die Welt auf den Krieg in der Ukraine blickt, fordert fast unbemerkt in einer anderen Region der Welt eine andere Katastrophe täglich Menschenleben. Eine Jahrhundertdürre hat den Osten Afrikas fest im Griff. Im Interview erklärt Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD), warum es Frauen härter trifft und wo man deshalb ansetzen muss.
Frau Schulze, alle Aufmerksamkeit richtet sich im Moment auf die Situation in der Ukraine und die drohende Hunger- und Kältekatstrophe dort. Verlieren wir andere Krisenregionen wie Ostafrika zu sehr aus dem Blick?
Svenja Schulze: Für mich ist ganz wichtig, dass das nicht passiert. Zumal beides miteinander zusammenhängt: Dass die Hungersnot in Afrika so katastrophal groß ist, ist auch eine Folge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Schließlich sind Lieferketten zerstört und lebensnotwendige Getreidelieferungen bleiben aus.
Gerade in Kenia spitzt sich die Lage derzeit zu. Denn das Land kämpft nicht nur selbst gegen die Dürre, sondern hat auch noch mehr als 80.000 Menschen aufgenommen, die vor Dürre und anhaltender Gewalt aus Somalia geflüchtet sind. Die Camps sind völlig überlastet. Droht der Zusammenbruch?
Die Dürre in Kenia macht mir große Sorgen. In den anderen Ländern am Horn von Afrika ist die Lage allerdings noch viel schlimmer. Kenia ist ein sehr vielschichtiges Land. Es gewinnt schon jetzt mehr als 90 Prozent seiner Energie aus erneuerbaren Quellen. Es ist in der Lage, Geflüchtete aus Nachbarländern aufzunehmen. Auf der anderen Seite bleibt die Ernährung ein Riesenproblem, vor allem in den Regionen, die von der Dürre betroffen sind. Wir unterstützen vor Ort beim Aufbau nachhaltiger Ernährungssysteme und schaffen Jobperspektiven, damit Menschen nicht in die Armut und damit in den Hunger abrutschen. Gerade diese Woche haben wir mit der kenianischen Regierung über unsere gemeinsamen Prioritäten verhandelt. Deutschland wird Kenia über 112 Millionen Euro zur Verfügung stellen für den Kampf gegen den Klimawandel, für Ernährungssicherheit und die Stärkung von Frauen.
Sie haben die Förderung von Frauen zu Ihrem Schwerpunkt in der Entwicklungshilfe gemacht …
Wir sagen übrigens nicht mehr Entwicklungshilfe, weil das so klingt nach "Wir reichen eine Reisschüssel runter". Wir sprechen von Entwicklungszusammenarbeit.
Also gut: Warum sind Frauen Ihr Schwerpunkt in der Entwicklungszusammenarbeit?
In vielen afrikanischen Staaten dürfen Frauen kein Land besitzen. Damit können sie selbst nicht in ihr Land investieren, kommen schlechter an Kredite. Wenn eine Dürre kommt, können sie kein neues Saatgut kaufen, ihre Familie nicht ernähren, die Kinder nicht mehr zur Schule schicken. Ich will, dass Frauen und Mädchen gestärkt werden. Frauen haben das Wissen und die Fähigkeiten, sie brauchen auch die Rechte. Das hilft, die ganze Gesellschaft widerstandsfähiger zu machen.
Sind Frauen die größeren Fortschrittstreiber in diesen Ländern?
Es ist doch völlig logisch: Wenn eine Gesellschaft auf die Hälfte ihrer Kompetenz verzichtet, indem sie Frauen und Mädchen diskriminiert, kann sie sich nicht weiterentwickeln. Das kann man sogar beziffern. Nehmen Sie die Landwirtschaft: Ist der Zugang zu Produktionsmitteln gleichberechtigt, steigen die Erträge um 30 Prozent. Frauen sind Stabilitätsfaktoren in solchen Gesellschaften. Wenn sie Zugriff auf das Geld haben, tut das der Entwicklung der ganzen Gesellschaft gut.
Wie passt es zusammen, dass in Kenia mehr als 70 Prozent der Frauen in der Landwirtschaft arbeiten und trotzdem Frauen häufiger von Hunger betroffen sind?
Neben dem Problem, dass Frauen seltener Land besitzen, gibt es weitere. Zum Beispiel produzieren Frauen zwar die Lebensmittel, stellen häufig aber die Versorgung der Kinder vor die eigene. Eine Lösung ist, Kindern beim Schulbesuch eine Mittagsmahlzeit zur Verfügung zu stellen. So bleibt den Frauen mehr Nahrung und gleichzeitig ist es ein Anreiz für den Schulbesuch. Wir achten auch darauf, Zugang für Frauen zu Gesundheitssystemen zu schaffen, rechtsstaatliche Strukturen zu stärken oder die Praxis der eigentlich verbotenen Genitalverstümmelung im ländlichen Raum zurückzudrängen.
Diese Unterstützung ist nicht ganz uneigennützig. Deutschland ist gerade auch mit Kenia eine Klimapartnerschaft mit dem Ziel eingegangen, dass das Land 100 Prozent erneuerbare Energien produziert und uns dann Wasserstoff liefern kann.
In der Tat ist eines der gemeinsam vereinbarten Ziele auch, dass in Kenia die Grundlagen für eine grüne Wasserstoffwirtschaft entwickelt werden. Hier geht es in erster Linie um den Aufbau einer Produktion für heimischen Dünger. Denn Dünger wird bislang meist aus Erdgas hergestellt, der Import ist daher viel zu teuer für viele afrikanische Länder. Der grüne Wasserstoff kann also auch für mehr Ernährungssicherheit sorgen. Das ist für mich als Entwicklungsministerin noch viel wichtiger als die Exportperspektive.
Von der Umwelt zur Entwicklung
Die SPD-Politikerin Svenja Schulze ist seit Dezember 2021 Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Zuvor war sie Umweltministerin und von 2010 bis 2017 Landesministerin für Wissenschaft und Forschung in Nordrhein-Westfalen.
Auch insgesamt schneidet Kenia bei der Klimapolitik besser ab als Deutschland: Wir sind bei Weitem nicht auf dem Weg, das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Wie kann man nachhaltige Entwicklung einfordern, wenn man selbst die Hausaufgaben nicht gemacht hat?
Jedes Land hat seine eigenen Herausforderungen. Wir sind ein Industrieland, das noch dazu in diesem Jahr wegen des russischen Angriffskrieges viele Pläne über den Haufen werfen musste. Das hat kurzfristig Folgen für die Kohleverstromung. Aber zugleich beschleunigen wir den Ausbau von Wind- und Sonnenstrom massiv. Gerade von den Entwicklungsländern gibt es viele positive Rückmeldungen auf unser Klima-Engagement. Als Umweltministerin wurde mir einmal bei einer Klimakonferenz der nicht so schöne Preis "Fossil of the day" verliehen, weil Deutschland beim Klimaschutz nicht auf Kurs war. Diesmal haben mir die besonders verwundbaren Entwicklungsländer einen "Trailblazer-Award" verliehen, weil wir Wegbereiter sind für einen faireren Umgang mit Klimaschäden in den besonders vulnerablen Staaten.
Trotzdem erreichen wir vermutlich nicht einmal das Ziel, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen.
Es stimmt, dass die Weltgemeinschaft derzeit auf rund 2,5 Grad Erderhitzung zusteuert. Das ist besser als die vier oder fünf Grad Erhitzung, die uns ohne die Fortschritte der Klimakonferenzen drohen würden. Aber es gibt auch noch viel zu tun. Die Industrieländer müssen dabei mit gutem Beispiel vorangehen. Und auch die Entwicklungs- und Schwellenländer, die bereits für zwei Drittel der weltweiten Emissionen verantwortlich sind, spielen eine immer wichtigere Rolle dabei. Als Umweltministerin war ich vor allem für den Klimaschutz in Deutschland zuständig, als Entwicklungsministerin ist es jetzt meine Aufgabe, für eine nachhaltige Entwicklung in anderen Ländern zu werben und sie zu unterstützen, sich wirtschaftlich zu entwickeln, ohne dass sich gleichzeitig ihr CO2-Ausstoß erhöht. Das können wir tun, indem wir zum Beispiel Lieferketten sicherstellen, für die keine Wälder gerodet werden, wie es gerade auf EU-Ebene beschlossen wurde. Sonst sind wir Teil des Problems.
"Was die 'Letzte Generation' derzeit macht, bringt den Klimaschutz nicht voran."
Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD)
Auch wenn Sie nicht mehr Umweltministerin sind: Wie bewerten Sie die Aktionen der "Letzten Generation"?
Was die "Letzte Generation" derzeit macht, bringt den Klimaschutz nicht voran. Für den Klimaschutz brauchen wir viele, die mitmachen. Die Aktionen der "Letzten Generation" schrecken eher ab. Anders als Fridays for Future. Die haben viele Menschen auf die Straße gebracht und dafür gesorgt, dass der Klimaschutz als Thema in den Familien diskutiert wurde. Das ist es, was wir für konkrete Fortschritte beim Klimaschutz brauchen.
Kenia ist nicht das einzige Land, mit dem Deutschland Klimapartnerschaften plant. Wie ist das mit jenen Ländern in Afrika, die instabile Regierungen haben oder Autokratien sind? Können wir mit ihnen guten Gewissens wirtschaftlich zusammenarbeiten?
Natürlich versuchen wir verstärkt, mit Demokratien zusammenzuarbeiten. Aber leider leben 70 Prozent der Menschen auf der Welt in Autokratien. Auch dort müssen wir uns engagieren, weil sonst andere die Lücke füllen, die gerade nicht für demokratische Strukturen eintreten. Aber je nach Zustand und Ausrichtung der Regierungen sind wir in der Lage, unsere Unterstützung auch regierungsfern über UN-Strukturen oder Nichtregierungsorganisationen zu kanalisieren.
Ein Land, das die Lücke füllt, ist China. Mit seinem Projekt "Neue Seidenstraße" versucht es auch in Teilen Afrikas, die Länder mittels Infrastrukturprojekten langfristig an sich zu binden. Müssten wir da nicht dringend als Gegengewicht die Beziehungen noch viel stärker ausbauen?
China ist in Ostafrika ein sehr präsenter Akteur. Die chinesische Regierung hat sogar einen eigenen Sonderbeauftragten für die Region eingesetzt. China ist inzwischen einer der Hauptkreditgeber in der Region und schafft damit finanzielle Möglichkeiten, aber auch Abhängigkeiten. Umso wichtiger ist es, dass wir partnerschaftliche Gegenangebote schaffen wie Klima- oder Infrastrukturpartnerschaften. Auch das Thema Schulden muss wieder auf den Tisch.
Embed
Was meinen Sie konkret?
Viele Länder haben inzwischen eine Schuldenlast, die ihnen keinerlei Spielraum mehr lässt. Wir wollen aktiv anbieten, Schulden zu erlassen, wenn die Regierungen die frei werdenden Mittel im Gegenzug zum Beispiel in Gesundheitssysteme oder den Klimaschutz investieren. Fakt ist aber auch: China und private Banken sind inzwischen so große Gläubiger, dass wir diese bei allen Versuchen einer Entschuldung miteinbeziehen müssen. Das ist leider kein Selbstläufer.
Andere Länder in Afrika sind noch schwerer von der Dürre betroffen als Kenia. Wie kann der Region geholfen werden?
Obwohl der afrikanische Kontinent am wenigsten zu den Klimaveränderungen beigetragen hat, ist er am stärksten davon betroffen. Deshalb müssen wir solidarisch sein. Wir haben deshalb gerade den am stärksten von Dürre betroffenen Ländern Äthiopien, Somalia und Sudan länderspezifische Unterstützungspakete in Höhe von insgesamt 360 Millionen Euro zugesagt. Das Geld wird unter anderem in soziale Sicherungssysteme investiert, damit die Menschen in der Krise ihre Existenzgrundlage erhalten können. Ein weiterer Förderschwerpunkt ist eine klimaangepasste Landwirtschaft. Also ein lokaler Anbau von Lebensmitteln – beispielsweise mit lokalen Getreidesorten, die resistenter gegen die Klimaveränderungen sind. Das macht die Länder auch unabhängiger von schwankenden Weltmarktpreisen für Weizen, Mais und Reis.
Was wollen Sie tun, damit die Menschen bei uns an Weihnachten – traditionell die Zeit, in der am meisten gespendet wird – den Fokus wieder auf Afrika richten?
Wir versuchen, das ganze Jahr die Spendenbereitschaft hochzuhalten, indem wir über die Lage informieren. Aber im Dezember stößt das immer auf noch offenere Ohren. Es ist eine Zeit, in der Menschen innehalten und mehr über die nachdenken, denen es schlechter geht. Und das freut mich: Denn Ostafrika braucht dringend Spenden aus Deutschland.
Der Hunger in Afrika ist kein neues Phänomen: Seit Jahrzehnten arbeitet Deutschland mit den Staaten in Subsahara-Afrika zusammen, seit Jahrzehnten werden Spenden gesammelt. Was entgegnen Sie den Menschen, die angesichts dessen das Gefühl haben, dass das alles eh nichts bringt?
Es bringt etwas. Aber die vielen Krisen haben uns leider wieder ein Stück zurückgeworfen. Ich kann nur ermutigen, die Region weiter zu unterstützen. Das ist ein Langstreckenlauf, kein Sprint.
- Interview mit Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD)