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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kampfflugzeuge für die Ukraine Dieses Desaster verursacht den ersten Riss im Anti-Putin-Bündnis
Soll sie liefern oder nicht? Die von der Ukraine gewünschten MiG-29-Kampfjets verunsichern die Nato. Vor allem die Kommunikation zwischen Warschau, Berlin und Washington wirkt schlecht abgestimmt.
Oft lassen jene Sätze aufhorchen, die selbstverständlich klingen. "Polen ist ein hochgeschätzter Verbündeter und ein sehr guter Freund", ist so ein Satz. Er stammt von John Kirby, dem Sprecher des US-Verteidigungsministers. Der musste in den vergangenen Stunden öffentlich zusammenflicken, was für die ganze Welt ein erkennbares Desaster ist.
Die seit vielen Tagen diskutierte Frage, wie Polen seine MiG-29-Kampfjets der Ukraine zukommen lassen könnte, mündete in ein Chaos von Sichtweisen aus Warschau, Berlin und Washington. Polens Regierung hatte nach US-Angaben ohne Absprache angekündigt, seine MiG-29 den USA über deren Luftwaffenstützpunkt im deutschen Ramstein zu überlassen. Das eigentliche Ziel: die Ukraine.
Der Vorgang zeigt einen ersten Riss im bislang so geeint wirkenden Bündnis gegen Wladimir Putin.
Bis zu dem Zeitpunkt, als klar wurde, dass Polen seinen Vorschlag nach US-Angaben ohne Absprache veröffentlichte, gaben sich auch deutsche Experten wie Carlo Masala begeistert von den "cleveren" Polen. Dann aber brach alles schnell zusammen.
Wie konnte es dazu kommen? Und ist das Problem wirklich schon vom Tisch? Aus Angst vor einer Eskalation und vor nuklearen Drohungen aus Russland scheint die Nato in die Defensive zu geraten. Die heikle Frage, wer sich doch noch traut, die Kampfjets zu liefern, gleicht einem viel zu heißen Eisen, das eilig herumgereicht wird. Tatsächlich aber lassen sich die USA trotz vieler Beteuerungen noch immer eine Hintertür für MiG-29-Lieferungen offen.
Nein aus Berlin, Abwarten aus Washington
Das deutlichste Nein zum polnischen Ramstein-Vorschlag kommt zwar aus Deutschland. Neben Kanadas Premierminister Justin Trudeau stehend, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwoch: Zur deutschen Unterstützung für die Ukraine gehörten "ganz sicher keine Kampfflugzeuge". Seine Verteidigungsministerin Christine Lambrecht wurde noch deutlicher: "Polens Vorschlag wird keiner der Nato-Partner weiter verfolgen."
In Washington aber dauerte es mehrere Stunden, bis wieder eine klare Position zu erkennen war. Und selbst die bleibt nach genauem Zuhören noch unklar. Die Sprecherin des US-Präsidenten, Jen Psaki, sagte vor Reportern zu Polens Vorpreschen: Man habe schlicht nicht gewusst, dass Polen die MiG29-Idee "gestern" verkünden würde.
Das Ganze sei nur ein "vorübergehendes" Kommunikationsproblem. "Die Angelegenheit wird vorrangig über militärische Kanäle bearbeitet", so Psaki. Denn es würde eher um den Mechanismus und die Operation an sich gehen, wie die Kampfjets zugestellt werden könnten. "Wir diskutieren noch." Ein klares Nein, wie aus Berlin, war das zu diesem Zeitpunkt nicht.
John Kirby im Pentagon wurde später deutlicher. Er betonte einmal mehr, dass eine Lieferung der MiG-29 an die Ukraine mit "einem hohen Risiko" verbunden sei. Darum unterstütze man dies "zu diesem Zeitpunkt" nicht. Was noch immer kein klares Nein bedeutet.
Widersprüchliche Aussagen
Die Begründung im Pentagon: Nach Geheimdiensterkenntnissen würden Kampfjets für die Ukraine von Moskau als Provokation gewertet, die den Krieg auf Nato-Länder ausweiten könnte. Auf Nachfragen gab Kirby aber auch an, dass die bisherigen Waffenlieferungen an die Ukraine ebenfalls "ein hohes Risiko" darstellen würden. Heißt: Die militärischen Unterstützungen des Westens sind ohnehin ein Spiel mit dem Feuer.
Und so bemühte sich der Pentagon-Sprecher, noch einen zweiten Grund mitzuteilen, warum die polnischen MiG-29 ohnehin nicht notwendig seien. Denn diese würden die "Effektivität der ukrainischen Luftwaffe im Verhältnis zu den russischen Fähigkeiten nicht erheblich verändern." Noch einmal lobte Kirby die polnische "Großzügigkeit", die MiGs zur Übersendung an die Ukraine den USA überlassen zu wollen.
Man werde mit der ukrainischen Regierung nun weiter darüber sprechen, welche militärischen Wünsche diese habe und dann werde man versuchen, diese auch bestmöglich zu erfüllen. Tatsächlich telefonierte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski fast zur gleichen Zeit mit der demokratischen Sprecherin im US-Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi. Anschließend sagte sie zu Journalisten: "Er will die Flugzeuge, die Flugzeuge, die Flugzeuge." Die "Effektivität" der Kampfjets scheint also sehr unterschiedlich bewertet zu werden.
Wieder könnte es an Deutschland liegen
Auch die in den USA bislang weitgehend überparteiliche Einigkeit angesichts des russischen Krieges in der Ukraine bekommt in dieser Frage erste Risse. Mehrere Republikaner, aber auch Demokraten wie Chuck Schumer, der Mehrheitsführer im US-Senat, fordern, die Biden-Administration solle die Kampfjets liefern. Der ukrainische Präsident hatte die Kongressabgeordneten bereits vor einigen Tagen um die Flugzeuge gebeten.
Mit immer neuen Schreckensberichten und -bildern aus der Ukraine wird dieser Druck ähnlich wie bei den Sanktionen steigen. Dass die russische Armee jetzt auch ein Entbindungskrankenhaus mit Kindern und schwangeren Frauen in Mariupol beschossen hat, ist bereits ein solcher Moment.
Auch die neueste Warnung aus dem Weißen Haus, Wladimir Putin könnte unter einem konstruierten Vorwand biologische oder chemische Waffen einsetzen, verschärft die Lage weiter.
Damit steigt nicht nur der moralische Druck auf die USA, sondern auch auf Deutschland. Denn einige der polnischen MiG-29-Kampfjets stammen ursprünglich aus der Bundesrepublik. Sie hatte die Flugzeuge aus DDR-Beständen einst zu einem symbolischen Preis an Polen verkauft. Ähnlich wie schon bei der Weitergabe von ehemaligen NVA-Artilleriegeschützen durch Estland und die Niederlande wäre also bei den betreffenden MiG-29 eine Zustimmung der Bundesregierung notwendig.
Deutschland hat also wie Polen eine ähnlich ausgerichtete Motivlage, vor Russland nicht als Verursacher der Kampfjet-Lieferung dazustehen. Trotz aller Unstimmigkeiten scheint das Bündnis derzeit zumindest in der individuellen Sorge vor einer Eskalation und Putins schwer einzuschätzendem und im Zweifel vernichtendem Zorn geeint zu sein.
Wege aus dem Dilemma
Verwunderlich bleibt, dass der US-Außenminister Antony Blinken noch vor Kurzem "grünes Licht" gegeben hatte, sollte Polen seine MiG-29 direkt an die Ukraine liefern wollen. Souveräne Länder könnten einander jederzeit Waffen verkaufen, betont man selbst jetzt noch im Pentagon. Hauptsache, kein Nato-Etikett klebt darauf.
Am Donnerstag wird US-Präsident Joe Biden mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan die Lage in der Ukraine erörtern. Womöglich sprechen die beiden auch über die MiG-29-Lieferung. Immerhin sind es derzeit türkische Kampfdrohnen, die der ukrainischen Armee bei der Verteidigung gegen Putin erfolgreiche Schläge ermöglichen. Erdoğan gilt spätestens seit dem Abschuss eines russischen Kampfjets im Jahr 2015 als wenig zimperlich im Umgang mit Putin.
Zugleich hat Biden seine Stellvertreterin Kamala Harris zu Gesprächen nach Rumänien und Polen entsandt. Auch sie dürfte das Thema noch einmal zur Sprache bringen und versuchen, eine Lösung zu finden. Womöglich wird die polnische Regierung dazu dann aber keine Pressemitteilung mehr auf der eigenen Webseite veröffentlichen.
- Eigene Recherchen