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Baerbock in Washington: "Das spielt dieser US-Regierung in die Hände"


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Baerbock in Washington
"Das spielt dieser US-Regierung in die Hände"

  • Bastian Brauns
Interviewvon Bastian Brauns, Washington

Aktualisiert am 06.01.2022Lesedauer: 5 Min.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock trifft in Washington auf den US-Außenminister Antony Blinken.Vergrößern des Bildes
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock trifft in Washington auf den US-Außenminister Antony Blinken. (Quelle: imago-images-bilder)
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Annalena Baerbocks erste Reise in die USA war durchaus heikel. Die grüne Außenministerin musste beim wichtigsten Partner um Vertrauen werben. Ein Reizthema bleibt das Verhältnis zu Russland.

Die Deutsch-Amerikanerin Cathryn Clüver Ashbrook ist die Direktorin der Denkfabrik Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

t-online: Frau Clüver Ashbrook, wie ist ihr Eindruck vom ersten gemeinsamen öffentlichen Auftritt der deutschen Außenministerin und dem US-Außenminister Antony Blinken in Washington?

Clüver Ashbrook: In der Pressekonferenz stand Geschlossenheit im Vordergrund. Es wurde deutlich, wie ernst beide Außenminister die Lage an der ukrainischen Grenze nehmen – und wie selbstverständlich in diesem Zusammenhang die enge Absprache zwischen beiden Verbündeten ist, um den Drohgebärden Russlands entgegenzuwirken. Keine Entscheidung werde hier über die Köpfe der Europäer, über die Köpfe der Ukrainer hinweg gefällt, sicherte Blinken zu. In der schwierigen Frage zu Nord Stream 2 hat der amerikanische Außenminister anklingen lassen, dass er es begrüßen würde, wenn die Bundesregierung die Inbetriebnahme der Pipeline auch in die diplomatische Waagschale werfen würde. Damit sprach er Annalena Baerbock wohl aus der parteipolitischen Seele.

Gut 20 Jahre nach Joschka Fischer hat mit Annalena Baerbock eine Außenministerin die USA besucht, die ebenfalls den Grünen angehört. Was ist von ihr generell zu erwarten?

Frau Baerbock hat sich bereits sehr früh sehr deutlich zu einer wertebasierten Außenpolitik bekannt. Das ist keine Abkehr vom außenpolitischen Handeln der Vergangenheit. Aber sie will die Werte noch einmal deutlich in den Vordergrund stellen. Das spielt dieser US-Regierung sehr in die Hände. Die Amerikaner haben das Großmächte-Ringen, das Verhältnis mit China und Russland, das Verhältnis zwischen Autokratien und Demokratien als große strategische Arena aufgemacht.

Eine von Werten geleitete deutsche Außenpolitik – das klingt moralisch einwandfrei. Aber wird sich auch konkret etwas ändern im Vergleich zur bisherigen deutschen Außenpolitik?

Praktisch haben Sie recht. Es wird sich wenig verändern. Kontinuität wird das sein, was eine deutsche Außenpolitik weiter begleitet, also auch Verlässlichkeit der Bundesrepublik gegenüber dem transatlantischen Partner USA. In der Pressekonferenz ist die Außenministerin konkret zu den Menschenrechtsvergehen in der chinesischen Provinz Xinjiang befragt worden: In dem Zusammenhang konnte sie noch mal unterstreichen, wie wertebasierte außenpolitische Entscheidungen in der Zukunft aussehen sollen. Auch die US-Regierung betont nicht ohne Grund immer wieder, dass sie im Wettstreit mit China und Russland die demokratischen Werte, den Pluralismus, die Meinungsfreiheit auf der Welt stärken will. Es geht in der Außenpolitik um Entscheidungen, aber immer auch um Signale und Symbole.

US-Präsident Joe Biden betont immer wieder, wie wichtig die Zusammenarbeit unter den Demokratien der Welt sei. Aber ob Afghanistan-Abzug, der U-Boot-Deal mit Australien oder die bilateralen Verhandlungen mit Russland – die USA fallen durch ihre Alleingänge auf.

Die USA kämpfen mit dem Verlust ihrer hegemonialen Rolle. Sie müssen klarkommen mit der Tatsache, dass wir heute, wie der US-Politikwissenschaftler Ian Bremmer es nennt, in einer G-Zero-Welt leben, einer blockfreien Welt. Die Vereinigten Staaten wissen, dass sie internationale Verantwortung nur mit internationalen Bündnissen wahrnehmen können. Aber im Muskelspiel der Hegemonialmächte lassen sie sich eben auch immer wieder hineinziehen in geübte Rollen. Dann handeln sie, weil sie denken, handeln zu müssen. Wie problematisch das sein kann, haben wir in Afghanistan gesehen. Aber die USA haben nach dem Zweiten Weltkrieg an einer multilateralen Sicherheitsarchitektur gebaut, die sie angeführt haben, und die zumindest diese Regierung weiter erhalten und ausbauen will.

Was kann die deutsche Außenministerin den Amerikanern bezüglich Russland überhaupt anbieten?

Bei dem Besuch ging es aus amerikanischer Sicht darum, herauszufinden, ob auch diese neue Bundesregierung ähnlich gute diplomatische Hebel gegenüber Russland nutzen können wird, wie Angela Merkel es lange getan hat. Sie führte zum Beispiel die Normandie-Verhandlungen ganz klar an. Sie kennt Putin seit Jahrzehnten und konnte ihn einschätzen. Für die Deutschen geht es darum, zu zeigen, dass sich die Amerikaner hier keine Sorgen machen müssen – Deutschland wird in den Verhandlungen mit Russland in unterschiedlichen Formaten eine konsistent verlässliche Rolle spielen. Das war die Botschaft, die Annalena Baerbock mitbrachte.

Es gibt eine weitere Kontinuität seit Merkel. Der neue Bundeskanzler Olaf Scholz nennt die Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 ein rein wirtschaftliches Projekt. Was die Kritik an der Abhängigkeit von Russland angeht, sind die Grünen damit den Amerikanern näher als der SPD. Mögliche Sanktionen sind vonseiten der USA längst nicht vom Tisch. Das klingt nach großen Problemen für die Ampelkoalition.

Bislang hat Joe Biden der deutschen Regierung den Rücken freigehalten. Das Abkommen vom vergangenen Sommer mit Angela Merkel wurde nicht ohne Grund geschlossen. Aber Nord Stream 2 bleibt problematisch, weil es Abhängigkeiten zwischen Russland und Deutschland schafft, die in der aktuellen geopolitischen Lage nicht zuträglich sind. Es wird Botschaften geben aus Washington, die Frau Baerbock mitnehmen soll nach Berlin. Und das wird natürlich noch zu Diskussionen innerhalb der Koalition führen, wie mit dem Nord-Stream-2-Thema nicht nur koalitionär, sondern auch außenpolitisch umgegangen wird.

Deutschland war lange und ist noch immer der wichtigste Ansprechpartner für die USA in Europa. Die Grünen drängen auf viel mehr europäische Abstimmung in der Außenpolitik und weniger deutsche Alleingänge. Wir wissen, wie langwierig solche gemeinsamen Positionen sein können. Ist das aus Sicht der USA überhaupt wünschenswert, die eine starke Rolle Deutschlands immer gefördert haben?

Die Amerikaner hätten gerne, dass Deutschland die Integration Europas auch in der Außen- und Sicherheitspolitik innerhalb der EU weiter vorantreibt, und zwar schnell. Denn es geht in der Tat um Schnelligkeit und um Gleichzeitigkeit. Denn die Probleme kommen nicht nacheinander. Ob Cyber-Bedrohungen, kinetisch-militärische Bedrohungen an der Grenze zur Ukraine oder hybride Bedrohungen mit der Migrationsfrage an der Grenze zu Polen. Dafür hat die Europäische Union bislang keine kohärenten oder vorgefertigten Möglichkeiten oder Abläufe, die sie den USA und der eigenen Bevölkerung präsentieren kann, um zu signalisieren, sie könne mit diesen Herausforderungen eigenständig umgehen. Früher hatte Amerika Sorge, dass die EU-Strukturen eine ungute Doppelung der Nato-Strukturen bedeuten könnten. Das hat sich aber geändert. Die Deutschen sollen nach dem Wunsch der USA hier eine Führungsqualität entwickeln und eben diese Diskussion beschleunigen. Denn wie gesagt, das Weltgeschehen schläft nicht.

Wie viel Konfliktpotenzial sehen sie beim Nato-Zwei-Prozent-Ziel? Hier treten die Grünen und Annalena Baerbock schon lange auf die Bremse.

Das Zwei-Prozent-Ziel sollte bleiben, weil es ein Ziel ist, das plakativ und nützlich ist. Das wissen auch die Grünen. Andererseits sieht man auch, wie während der Pandemie Veränderungen beim Bruttosozialprodukt so ein Zwei-Prozent-Ziel nicht mehr zu einem guten Gradmesser machen – Verteidigungsinvestitionen müssen vor allem sinnvoll die eigenen Kapazitäten erhöhen. Es ist auch klar, dass sich die vielen verschiedenen Bedrohungen nicht alle mit einer Panzerfaust oder mit zusätzlichen Flugzeugträgern beantworten lassen. Es geht auch für die Amerikaner um ein integriertes Nachdenken über das, was Sicherheit im 21. Jahrhundert wirklich bedeutet. Dazu gehören mehrere Elemente, wie saubere digitale Netzwerke, etwa in Bezug auf die 5G-Technologie. Das werden wir im Mai bei der Präsentation des Nato-Strategie-Konzepts auch deutlich sehen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Telefon-Interview mit Cathryn Clüver Ashbrook
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