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Letzte USA-Reise von Angela Merkel: Die Kanzlerin und ihre vier US-Boys


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Letzte USA-Reise der Kanzlerin
Das merkwürdige Amerika-Verhältnis der Kanzlerin


Aktualisiert am 15.07.2021Lesedauer: 7 Min.
Seit Jahren alte Bekannte: Joe Biden und Angela Merkel auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2015Vergrößern des Bildes
Seit Jahren alte Bekannte: Joe Biden und Angela Merkel auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2015 (Quelle: imago-images-bilder)
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In den 16 Jahren, in denen Angela Merkel Kanzlerin ist, regierten in Washington Bush, Obama, Trump und Biden. Mit allen wusste sie irgendwie umzugehen. Aber was hat das der transatlantischen Freundschaft gebracht?

"Schroeder Doesn't Speak For All Germans" – mit diesem Satz wollte sich Angela Merkel im Februar des Jahres 2003 zum ersten Mal einer größeren amerikanischen Öffentlichkeit als treue Transatlantikerin präsentieren. In einem Gastbeitrag für die "Washington Post" griff die CDU-Vorsitzende als damalige Oppositionsführerin im Deutschen Bundestag das propagierte "Nein zum Irakkrieg" des SPD-Bundeskanzlers Gerhard Schröder an. Es sollte zugleich das letzte Mal sein, dass Angela Merkel sich so dezidiert gegen eine Mehrheitsmeinung der Deutschen stellte.

In ihrem Artikel für die US-Zeitung äußerte Merkel Verständnis für die Position der US-Regierung und bezeichnete die Gefahr durch den Irak als "nicht fiktiv, sondern real". Deutschland und Europa sollten deshalb nicht gegen, sondern mit den Amerikanern arbeiten. Nach Meinung von SPD und Grünen verstieß Merkel damit gegen eine Sitte, sich als Opposition möglichst aus Fragen der deutschen Außenpolitik herauszuhalten. Der damalige SPD-Fraktionschef Franz Müntefering echauffierte sich über die "Diffamierung der eigenen Regierung" und den "Bückling gegenüber der US-Administration" und warf Merkel schließlich "Feigheit" vor. Katrin Göring-Eckardt sprach als Grünen-Fraktionsvorsitzende von "geschmackloser Anbiederei" an die Amerikaner.

Rekordhalterin im US-Präsidenten-Treffen

Rund zweieinhalb Jahre später war Angela Merkel die erste weibliche deutsche Regierungschefin und sollte es für 16 Jahre bleiben. Bis heute hat sie damit vier US-Präsidenten erlebt. Mit Helmut Schmidt (SPD) gibt es nur einen deutschen Kanzler, der ebenfalls vier US-Präsidenten während der eigenen Amtszeit kennenlernte. Allerdings tauschten die Amerikaner mit Richard Nixon, Gerald Ford, Jimmy Carter und Ronald Reagan ihre Regierungschefs damals auch deutlich schneller aus als während Angela Merkels Kanzlerschaft.

Was ist nach 16 Jahren Angela Merkel mit George W. Bush, Barack Obama, Donald Trump und Joseph Biden aus der transatlantischen Freundschaft geworden? Anders als SPD und Grüne 2003 argwöhnten, entpuppte sich die Bundeskanzlerin nicht unbedingt als Bückling vor den USA. Zum Leidwesen selbst der jetzigen US-Regierung hält sie etwa bis heute an dem umstrittenen deutsch-russischen Erdgaspipelineprojekt Nord Stream 2 fest. Auch die China-Politik der Bundesrepublik entspricht nicht dem, was die USA sich von ihrem westlich-demokratischen Verbündeten erhoffen.

Doch schon beim damals amtierenden US-Präsidenten George W. Bush punktete Merkel mit ihrer Haltung zum Irak. Obgleich sie ihre beteuerte Gefolgschaft politisch da schon nicht mehr einlösen musste.

In einem Interview mit der Deutschen Welle brachte George W. Bush kürzlich zum Ausdruck, dass die Beziehung mit Gerhard Schröder "sehr eisig" gewesen sei. Angela Merkel, die transatlantische Eisbrecherin – trotz der gleich bei ihrem ersten Bush-Besuch geäußerten Kritik etwa an dem bis heute bestehenden Gefängnis Guantanamo? Offenbar. Merkel sei eine echte Anführerin, keine Mitläuferin, sagte Busch. Das schätze er.

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Als heftigste Meinungsverschiedenheit nannte er eine unterschiedliche Auffassung zu einer möglichen Nato-Mitgliedschaft von Georgien und der Ukraine. Hier habe sich Merkel konsequent dagegen ausgesprochen. Bush bleibt beeindruckt: In schwierigen Zeiten habe Merkel es geschafft, sich über 16 Jahre lang das Vertrauen vieler Deutscher zu bewahren, die für ihn extrem wichtige Verbündete seien.

Der sich selbst heute als "einfachen Maler" bezeichnende Ex-US-Präsident hat sogar ein Porträt von Merkel gefertigt. Ihn verbinde eine tiefe Freundschaft mit ihr, deren entscheidender Moment ihre Teilnahme an der Beerdigung seines Vaters George Bush Senior gewesen sei.

Obama – Merkels langjährigster Amtsabschnittspartner

Die meiste gemeinsame Amtszeit verbrachte Angela Merkel über acht Jahre mit Barack Obama. Unter ihm hielt sie 2009 eine Rede vor dem US-Kongress. "Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten – es war für mich lange Jahre meines Lebens das Land der unerreichbaren Möglichkeiten", sagte Merkel in Bezug auf ihr Leben in der DDR. Schon damals warnte sie vor den Gefahren durch Protektionismus: "Die Alternative zur Globalisierung wäre die Abschottung, doch das wäre keine Alternative. Sie führte nur ins Elend, weil sie in die Isolation führt. Das Denken in Bündnissen, das Denken in Partnerschaften dagegen – das führt in eine gute Zukunft." Joe Biden, damals noch Vizepräsident, und Nancy Pelosi saßen direkt hinter ihr. Von Donald Trump noch keine Spur in Washington.

Ausgerechnet unter Obama aber erlebten die deutsch-amerikanischen Beziehungen zumindest in der deutschen öffentlichen Meinung nach dem Tief unter George W. Bush einen erneuten Rückschlag im Jahr 2013. Die Enthüllungen des ehemaligen Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden offenbarten, dass der amerikanische Auslandsgeheimdienst NSA die Deutschen und sogar das Handy der Kanzlerin abhört.

"Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht", sagte Merkel dazu schließlich, dem Eindruck vieler Deutscher nach aber viel zu spät. Ernsthafte Konsequenzen zog sie keine. Wie auch.

Da wirkte es fast wie eine vorweggenommene symbolische Wiedergutmachung, dass Barack Obama ihr im Jahr 2011 die "Presidential Medal of Freedom" im Rosengarten des Weißen Hauses verlieh, die höchste zivile Auszeichnung der USA. Ausgerechnet Merkels Aufwachsen in einem Überwachungsstaat erwähnte Obama dabei und die Kanzlerin betonte in ihrer Dankesrede: "Die Sehnsucht nach Freiheit lässt sich nicht dauerhaft einmauern".

Snowden versteckt sich derweil aus Furcht vor den US-Behörden noch immer in Russland. Mit Julian Assange kämpft, inhaftiert in London, ein weiterer Whistleblower gegen seine Auslieferung an die USA.

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Obama im Rosengarten 2011 lobte Merkels beeindruckende Karriere und orakelte, auch künftig werde ihre Führungsrolle, insbesondere für Europa, sehr wichtig bleiben. Ihr langjährigster Amtsabschnittspartner sollte recht behalten:

Anführerin der freien Welt

Unter Obamas Nachfolger Donald Trump avancierte die Bundeskanzlerin zumindest unter demokratisch orientierten Amerikanern und weltweit zum respektierten "Leader of the Free World", zur letzten verbliebenen Anführerin der freien Welt. Merkel krönte diese ihr zugeschriebene Rolle, angeblich auch auf Bitten Barack Obamas, mit einer weiteren, einer vierten Amtszeit als Bundeskanzlerin. Obwohl sie offenbar da schon längst genug hatte und die Medien schon begannen, sie als lahme Ente zu beschreiben.

Die zahlreichen Düpierungsversuche des neuen US-Präsidenten, wie etwa ein verweigertes Händeschütteln, konterte Merkel stets mit Humor. Oder mit scharfen Blicken, zum Beispiel als Trump versuchte, die NSA-Abhöraktion als gemeinsame Opfererfahrung gegen seinen Vorgänger Barack Obama zu instrumentalisieren.

In einer gefeierten Rede an der Harvard Universität griff sie 2019 die Trump-Regierung in Anspielung an deren umstrittenen Umgang mit Fakten scharf an, ohne den Namen des amtierenden US-Präsidenten zu nennen. "Dazu gehört, dass wir Lügen nicht Wahrheiten nennen und Wahrheiten nicht Lügen", sagte Merkel. Das vornehmlich akademische Publikum sprang begeistert auf und applaudierte.

Was Trump von Angela Merkel unterm Strich gehalten hat, ließ er sein Publikum im Juni bei einer Rede vor Anhängern in Ohio wissen. Er sprach von ihr als "Angela, die ich sehr mag". Von Angela, mit der er sich eigentlich sehr gut verstehe. Ein vergiftetes Lob. Denn der Ex-Präsident und noch immer extrem einflussreiche Republikaner stellte die Kanzlerin zugleich als listig, wenn nicht gar hinterlistig dar. "Sie ist zäh und schlau, und sie nutzt die Vereinigten Staaten aus", sagte er etwa mit Blick auf Nord Stream 2 und den militärischen Schutz Deutschlands durch die USA. In einem Gespräch habe er ihr gesagt: "Wir verteidigen euch vor einem Land, dem ihr jeden Monat Milliarden von Dollars gebt." Wie das für sie funktioniere? "Sie lächelte nur. Sie lächelte nur, sie weiß es", behauptete Trump. Sein Publikum jubelte. Die USA sind gespalten, auch was die Meinung zur deutschen Bundeskanzlerin betrifft.

Beliebter als Joe Biden

Laut einer weltweiten Umfrage des Pew Research Centers führt Angela Merkel aber auch unter dem neuen amtierenden US-Präsidenten Joe Biden das Vertrauens-Ranking an. Der Bundeskanzlerin vertrauen demnach beim Thema internationale Führung im Mittel 77 Prozent der global Befragten. Joe Biden landete nur bei 74 Prozent. Merkel, die sich schon innenpolitisch am langjährigen Koalitionspartner SPD stabilisieren konnte – auch außenpolitisch scheint sie die Nutznießerin der Schwäche des transatlantischen Partners zu sein. Aber was ist das am Ende wert, wenn sie nun im Herbst abtritt?

Tatsächlich hält auch Biden die von Trump eingeführten Strafzölle auf Stahl aus der EU noch immer aufrecht. Biden weiß um die wichtigen Stimmen der Wähler aus dem sogenannten Rust Belt. Würde er die Zölle aufheben, es wäre ein willkommenes Wahlkampfgeschenk für Trump und die Republikaner bei den Zwischenwahlen im kommenden Jahr. Daran wird er vermutlich nicht rütteln lassen. Dass Angela Merkel sich hingegen auf eine Freigabe der Patente auf Covid19-Impfstoffe einlässt, wie von Biden gefordert, gilt ebenfalls als unwahrscheinlich.

Die US-Beziehungen zu Deutschland und der Europäischen Union sind längst noch nicht dort, wo sie wieder sein könnten. Das dürfte auch an der geradezu waghalsig balancierenden außenpolitischen Strategie Angela Merkels in Bezug auf Russland und China liegen. Dass Joe Biden sie beim G7-Treffen im britischen Cornwall öffentlich als "großartige Regierungschefin" lobte, die er "am meisten bewundere in Europa", dürfte daran wenig ändern. Womöglich erreichen Biden und Merkel bei ihrem Aufeinandertreffen einen brüchigen Burgfrieden bei Nord Stream 2. Vielleicht lassen die Amerikaner die Europäer auch bald wieder in die USA reisen. Die großen Fragen zu China, Russland und zur Zukunft des Handels und des Klimaschutzes – die wird eine neue deutsche Regierung im Oval Office erörtern müssen.

Historisches Frühstück mit Kamala Harris

Und so wird es nach 16 Jahren Merkel in Washington, D.C. auch um die künftige Ausrichtung der deutsch-amerikanischen Beziehungen gehen. Auch, weil eine zweite Amtszeit des bald 79-jährigen Joe Biden als nicht gerade wahrscheinlich gilt.

Darum dürfte das Aufeinandertreffen der deutschen Bundeskanzlerin nach ihrer Ankunft mit der ersten weiblichen US-Vizepräsidentin Kamala Harris sehr aufmerksam beobachtet werden. Zumal Merkel als Frau auch Rolemodel für Harris ist. Die Vizepräsidentin wurde von Joe Biden zudem mit dem hochbrisanten Thema der Migration beauftragt. Eine politische Bewährungsprobe für Harris, die auch Merkel mit der Flüchtlingssituation von 2015 schon überstehen musste.

Gleich nach dem Wahlsieg der Demokraten im vergangenen Jahr sagte Merkel über Kamala Harris: "Als erste Frau im Amt und als Kind zweier Einwanderer ist sie für viele Menschen eine Inspiration, ein Beispiel für die Möglichkeiten Amerikas." Sie freue sich darauf, sie kennenzulernen. Dazu ist nun Gelegenheit.

Noch bevor Merkel ihre insgesamt 20. Ehrendoktorwürde, dieses Mal an der Johns-Hopkins-Universität, verliehen bekommt, lautet ihr erster offizieller Programmpunkt in Washington, D.C.: "Frühstück mit der Vizepräsidentin". Nach 2002 in Wolfratshausen mit Edmund Stoiber dürfte es das zweite historische Frühstück im Leben von Angela Merkel werden – nur dass es dieses Mal nicht mehr um ihre eigene politische Karriere geht.

Womöglich bricht Angela Merkel damit in gewisser Weise auch noch den gemeinsam mit Helmut Schmidt gehaltenen Rekord im Präsidenten-Treffen. Sollte Harris einst wirklich auch die erste weibliche US-Präsidentin werden, die Bundeskanzlerin hätte zumindest auch sie noch während ihrer Amtszeit offiziell kennengelernt.

"Merkel Doesn't Speak for All Germans", traute sich während ihrer gesamten Kanzlerschaft kein Oppositionspolitiker in einer US-Tageszeitung zu schreiben. Womöglich hat die Bundeskanzlerin im transatlantischen Verhältnis nicht allzu viel falsch gemacht. Oder aber, die Opposition hatte in 16 Jahren Angela Merkel außenpolitisch nicht so viel Mut, Dreistigkeit und ein bisschen Leichtsinn wie einst sie 2003 in der "Washington Post".

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