In allen Anklagepunkten George-Floyd-Prozess: Ex-Polizist Chauvin schuldig gesprochen
Es ist einer der wichtigsten Prozesse für die USA in den letzten Jahren: Im Prozess um den getöteten Afroamerikaner George Floyd ist der Angeklagte Chauvin schuldig gesprochen worden.
Ein US-Gericht hat im Fall des getöteten Afroamerikaners George Floyd den angeklagten weißen Ex-Polizisten schuldig gesprochen – in allen drei Anklagepunkten.
Das erklärte Richter Peter Cahill am Dienstag in Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota. Damit droht Derek Chauvin eine lange Haftstrafe. Das genaue Strafmaß soll erst später vom Richter festgelegt werden. Chauvins Verteidigung könnte noch Berufung gegen das Urteil einlegen.
Chauvin drohen bis zu 40 Jahre Haft
Der schwerwiegendste Anklagepunkt gegen Chauvin lautete Mord zweiten Grades ohne Vorsatz. Darauf stehen in Minnesota bis zu 40 Jahre Haft. Nach deutschem Recht entspräche dies eher dem Totschlag. Zudem wurde Chauvin auch Mord dritten Grades vorgeworfen, was mit bis zu 25 Jahren Haft geahndet werden kann. Auch musste er sich wegen Totschlags zweiten Grades verantworten, worauf zehn Jahre Haft stehen. Dieser Anklagepunkt entspräche nach deutschem Recht der fahrlässigen Tötung. Chauvin hatte auf nicht schuldig plädiert.
Die Staatsanwaltschaft forderte am Montag in ihrem Schlussplädoyer einen Schuldspruch gegen Chauvin in allen drei Anklagepunkten. Der weiße Ex-Polizist habe Floyd durch seinen Knie-Einsatz getötet: "Das war keine Polizeiarbeit. Das war Mord", sagte Staatsanwalt Steve Schleicher. "Das waren neun Minuten und 29 Sekunden eines schockierenden Amtsmissbrauchs."
Chauvins Verteidiger Eric Nelson hatte argumentiert, dass Chauvins Gewaltanwendung gerechtfertigt gewesen sei, weil sich Floyd der Festnahme widersetzt habe. Zudem vertrat er die Meinung, dass Floyds Tod nicht primär auf Gewalteinwirkung zurückging, sondern vor allem auf bestehende Herzprobleme und Rückstände von Drogen in seinem Blut.
Floyds Familie nimmt Anruf von Joe Biden entgegen
Der Anwalt der Familie von Floyd bezeichnete den Schuldspruch als "Wendepunkt in der Geschichte" bezeichnet. "SCHULDIG!", schrieb Ben Crump am Dienstag auf Twitter, nachdem die Geschworenen im Prozess um den Tod Floyds Chauvin in allen Anklagepunkten für schuldig befunden hatten. "Endlich ist schmerzlich verdiente Gerechtigkeit für George Floyds Familie eingetroffen. Dieses Urteil ist ein Wendepunkt in der Geschichte." Es sende eine klare Botschaft, dass auch die Strafverfolgung zur Rechenschaft verpflichtet sei. Crump schrieb weiter: "Gerechtigkeit für das schwarze Amerika ist Gerechtigkeit für ganz Amerika!" Zudem teilte er ein Video, auf dem zu sehen ist, wie Floyds Familie einen Anruf des US-Präsidenten Joe Biden entgegen nimmt.
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"Wir sind alle so erleichtert", sagte der Präsident in dem Telefonat. "Es ist wirklich wichtig." Biden versprach zugleich Maßnahmen im Kampf gegen Polizeigewalt gegen Schwarze – und stellte der Familie scherzhaft in Aussicht, sie an Bord der Präsidentenmaschine Air Force One nach Washington einzuladen. An dem Telefonat nahm auch Vizepräsidentin Kamala Harris teil. "Das ist ein Tag der Gerechtigkeit in Amerika", sagte die erste schwarze Vizepräsidentin des Landes. Die Geschichte werde "auf diesen Moment zurückblicken".
Auch Ex-Präsident Barack Obama begrüßte den Schuldspruch gegen Chauvin. "Heute hat eine Jury das Richtige getan", schrieb der erste schwarze Präsident der US-Geschichte im Kurzbotschaftendienst Twitter. "Aber wahre Gerechtigkeit verlangt nach viel mehr." Obama spielte damit vermutlich auf die Debatte über Reformen bei der Polizei an, der immer wieder gewaltsame Übergriffe gegen Minderheiten zur Last gelegt werden, aber auch auf die Diskriminierung von Afroamerikanern in anderen Bereichen.
Zwölf Geschworene fällten Urteil
Die Entscheidung über Schuld oder Unschuld fiel dem US-Rechtssystem folgend den Geschworenen zu. Für die seit Montagnachmittag andauernden Beratungen der zwölf Jury-Mitglieder gab es keine Zeitvorgabe. Sie durften während der Unterredungen aber nicht mehr nach Hause, sondern waren in einem Hotel untergebracht. Ihr Urteil musste einstimmig getroffen werden. Die Geschworenen bleiben in diesem Fall aus Sicherheitsgründen bis auf Weiteres anonym.
Der 46 Jahre alte Floyd war am 25. Mai vergangenen Jahres in Minneapolis bei einer Festnahme ums Leben gekommen. Chauvin hatte dem wegen Falschgeldvorwürfen festgenommenen Floyd neuneinhalb Minuten lang das Knie in den Nacken gedrückt, obwohl der Afroamerikaner wiederholt klagte, er bekomme keine Luft mehr. Floyds auf einem Handyvideo festgehaltener Tod sorgte international für Empörung und löste in den USA landesweite Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt aus.
Floyds Tod löste Protestwelle aus
Floyds Schicksal hatte in den USA mitten in der Corona-Pandemie eine Welle an Demonstrationen gegen Rassismus und Polizeigewalt ausgelöst und entwickelte sich zur größten Protestbewegung seit Jahrzehnten.
Die Erwartungen an das Verfahren waren in den USA daher immens: Viele Menschen, darunter viele Schwarze, hatten auf ein Urteil gehofft, das ein Zeichen gegen Rassismus und Polizeigewalt setzen würde. Selbst US-Präsident Joe Biden sagte am Dienstag, er bete dafür, dass das "richtige Urteil" gefällt werde. Für den Fall eines Freispruchs oder einer geringen Haftstrafe war mit neuen Protesten gerechnet worden.
Unmittelbar vor der Bekanntgabe des Urteils hatten sich bereits Hunderte Aktivisten der "Black Lives Matter"-Bewegung vor dem massiv gesicherten Gerichtsgebäude im Zentrum von Minneapolis versammelt. Sie skandierten unter anderem den Namen George Floyds, die Worte "Hört auf, uns zu töten" und "Chauvin - schuldig". Floyds Ex-Partnerin Courtney Ross sagte vor der Urteilsverkündung, ein Schuldspruch wäre nicht nur ein Zeichen der Gerechtigkeit für Floyd, sondern auch Rückenwind für den Kampf gegen den Rassismus.
Großaufgebot der Nationalgarde im Einsatz
Wegen des Prozesses war in Minneapolis ein Großaufgebot der Sicherheitskräfte im Einsatz, inklusive Soldaten der Nationalgarde. Gouverneur Tim Walz hatte zuvor dazu aufgerufen, friedlich zu demonstrieren und Ausschreitungen und "Chaos" zu vermeiden.
Chauvin war nach Floyds Tod entlassen worden. Er befand sich gegen Kaution auf freiem Fuß und war während des ganzen Prozesses anwesend. Neben Chauvin sind drei weitere am Einsatz gegen Floyd beteiligte Ex-Polizisten angeklagt, die in einem separaten Verfahren ab dem 23. August vor Gericht stehen werden. Ihnen wird Beihilfe zur Last gelegt. Auch ihnen könnten langjährige Haftstrafen drohen.
- Nachrichtenagenturen dpa, AFP