Schlussplädoyer im Prozess Staatsanwalt: Ex-Polizist direkt für George Floyds Tod verantwortlich
Die Staatsanwaltschaft in Minneapolis nimmt den Ex-Polizisten Derek Chauvin in die direkte Verantwortung für den Tod von George Floyd. Chauvins Verteidigung sieht die Schuld jedoch nicht als zweifelsfrei bewiesen an.
Der weiße Ex-Polizist Derek Chauvin ist nach Ansicht der Staatsanwaltschaft direkt für Tod des Afroamerikaners George Floyd verantwortlich und muss verurteilt werden. Dessen exzessive und erbarmungslose Gewaltanwendung habe Floyd umgebracht, sagte Staatsanwalt Steve Schleicher am Montag im Schlussplädoyer am Gericht in Minneapolis.
Floyd habe Chauvin bis zu seinem letzten Atemzug gebeten, ihn atmen zu lassen, während dieser neun Minuten und 29 Sekunden erbarmungslos auf ihm gekniet habe. "Der Angeklagte hat nicht geholfen" und damit klar gegen die Regeln für Polizeieinsätze verstoßen, betonte Schleicher an die Geschworenen gerichtet. Chauvins Verteidiger Eric Nelson betonte jedoch die Unschuld seines Mandanten.
Chauvin sei "weiter auf Floyd geblieben und drückte ihn mit seinem Knie zu Boden", selbst als dieser schon leblos war, sagte Schleicher. Floyd habe keinen Puls mehr gehabt, der Rettungswagen sei vor Ort gewesen, aber Chauvin habe ihn immer noch in den "unnachgiebigen" Asphalt gepresst. Der Staatsanwalt betonte den Geschworenen gegenüber immer wieder, dass Floyds Überlebenskampf unter Chauvins Knie 9 Minuten und 29 Sekunden gedauert habe – und das obwohl Floyd nur wegen des Verdachts festgenommen worden sei, mit einem falschen 20-Dollar-Schein gezahlt zu haben.
Chauvins Anwalt sieht darin keinen Beweis
Nach Ansicht der Verteidigung hat die Staatsanwaltschaft die Schuld Chauvins damit nicht zweifelsfrei bewiesen. Falls nur ein Aspekt fehle, ein begründeter Zweifel bestehe, müsse das Urteil auf nicht schuldig lauten, forderte Anwalt Eric Nelson in seinem Schlussplädoyer.
An die Geschworenen gerichtet sagte er, es gebe begründete Zweifel an Floyds Todesursache. Zudem könne kein Verbrechen vorliegen, weil es sich bei Chauvins Handeln um berechtigte Gewaltanwendung im Rahmen eines "dynamischen" Polizeieinsatzes gehandelt habe, sagte Nelson. Floyd habe sich der Verhaftung widersetzt, betonte der Anwalt.
Beratungen von Jury-Mitgliedern folgen
Nach den Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung werden die Mitglieder der Jury beraten, um über Schuld oder Unschuld Chauvins zu befinden. Der schwerwiegendste Anklagepunkt gegen Chauvin lautet Mord zweiten Grades ohne Vorsatz. Darauf stehen im US-Bundesstaat Minnesota bis zu 40 Jahre Haft. Nach deutschem Recht entspräche dies eher dem Totschlag.
Zudem wird Chauvin auch Mord dritten Grades vorgeworfen, was mit bis zu 25 Jahren Haft geahndet werden kann. Auch muss er sich wegen Totschlags zweiten Grades verantworten, worauf zehn Jahre Haft stehen. Dieser Anklagepunkt entspräche nach deutschem Recht fahrlässiger Tötung. Chauvin hat auf nicht schuldig plädiert.
Argumentation der Verteidigung sei "Unsinn"
Schleicher bezeichnete die Argumentation der Verteidigung, dass Floyd nicht infolge von Chauvins Gewaltanwendung gestorben sei, als "Unsinn". Chauvins Verteidiger Eric Nelson hatte zuvor argumentiert, dass Floyds vorbelastete Gesundheit und Rückstände von Drogen in seinem Blut eine entscheidende Rolle bei seinem Tod gespielt hätten.
Schleicher betonte, Floyd sei nicht an einem Herzinfarkt oder einer Überdosis gestorben, sondern an einem Mangel an Sauerstoff, der Hirnschäden verursacht und Floyds Herz zum Stillstand gebracht habe, weil Chauvin ihm mit seinem Knie die Luftzufuhr abgeschnitten habe. Er habe ihn "vom Sauerstoff abgeschnitten, den Menschen zum Leben brauchen". Daran gebe es keine glaubwürdige Zweifel, so Schleicher.
Floyd starb am 25. Mai 2020
Der 46 Jahre alte Floyd war am 25. Mai vergangenen Jahres in Minneapolis bei einer Festnahme ums Leben gekommen. Videos dokumentierten, wie Polizisten den unbewaffneten Mann zu Boden drückten. Chauvin presste dabei sein Knie rund neun Minuten lang in Floyds Hals, während dieser flehte, ihn atmen zu lassen.
Floyds Schicksal hatte in den USA mitten in der Pandemie eine Welle der Demonstrationen gegen Rassismus und Polizeigewalt ausgelöst – und wurde damit zur größten Protestbewegung seit Jahrzehnten.
Keine Zeitvorgabe für Beratungen
Für die Beratung der Geschworenen gibt es keine Zeitvorgabe – sie könnten innerhalb einer Stunde entscheiden oder nach einer Woche, wie Richter Peter Cahill vergangene Woche erklärte. Die Geschworenen dürfen während der Beratungen nicht mehr nach Hause gehen, sondern werden in einem Hotel untergebracht. Die Mitglieder der Jury bleiben aus Sicherheitsgründen bis auf Weiteres anonym.
Hohe Erwartungen aus der Bevölkerung
Die Erwartungen an das Verfahren sind immens. Viele Menschen, wohl auch die meisten Schwarzen, hoffen auf ein Urteil, das ein Zeichen gegen Rassismus und Polizeigewalt in den USA setzen wird – und dagegen, dass Sicherheitskräfte oft straffrei davonzukommen scheinen.
Sollte Chauvin freigesprochen werden oder eine kurze Haftstrafe bekommen, weil die Geschworenen ihn zum Beispiel nur des Totschlags für schuldig befinden, dürfte es zu massiven Protesten kommen. Die Sicherheitskräfte haben ihre Präsenz in Minneapolis daher bereits verstärkt, viele Geschäfte bereits ihre Vitrinen verrammelt.
- Nachrichtenagentur dpa