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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Anne Will" zu Trumps Abgang "Biden tappt in Trumps Falle"
Donald Trump hinterlässt einen Scherbenhaufen. Das hat Methode, meinen Anne Wills Gäste. Sie sehen Joe Biden vor einer schweren Aufgabe – bei der auch Deutschland gefragt ist.
Der scheidende US-Präsident Donald Trump klammert sich mit aller Macht ans Weiße Haus. Er spricht weiterhin von Wahlbetrug, will womöglich der Amtseinführung von Joe Biden fernbleiben. Wie stehen die USA und die Republikanische Partei nach vier Jahren Trump dar? Hat Biden mit seinem Kabinett den Status als Hoffnungsträger bereits verspielt? Darüber diskutierten die Gäste am Sonntagabend in der TV-Sendung "Anne Will". Ein Überblick.
Die Gäste
- Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag
- Sigmar Gabriel (SPD), ehemaliger Vizekanzler und Außenminister
- Angelika Kausche, Abgeordnete der Demokratischen Partei im Repräsentantenhaus im US-Bundesstaat Georgia
- Peter Rough, Politikberater in Washington, D.C., Mitglied der Republikanischen Partei
- Samira El Ouassil, "Spiegel"-Kolumnistin und Autorin
Die Positionen
Unmittelbar vor der Ausgabe von "Anne Will" hat Donald Trump am Sonntagabend auf Twitter verkündet, dass sein Anwalt Rudy Giuliani positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Im selben Atemzug sprach der scheidende US-Präsident erneut von der "korruptesten Wahl (mit Abstand!) in der Geschichte der USA".
Trump hat infrage gestellt, ob er der Amtseinführung von Nachfolger Joe Biden beiwohnen wird. Stilfrage oder Schaden für das demokratische System?, wollte die Gastgeberin von Norbert Röttgen wissen. "Er missachtet ganz offen die Grundregeln der Demokratie, nämlich Wahlen", warf der CDU-Außenexperte Trump vor. Der Wahnsinn hat Röttgens Ansicht nach Methode: "Das macht er alles, um seine Legende zu bilden: Ich bin nicht besiegt worden, wir sind betrogen worden."
Richtig eingehend wollte sich keiner der Gäste mit der Frage auseinandersetzen, ob Trump 2024 tatsächlich wieder als Präsidentschaftskandidat antreten könnte. Auf der Weihnachtsfeier im Weißen Haus hatte der Republikaner kürzlich gesagt: "Es waren wunderbare vier Jahre. Wir versuchen, weitere vier Jahre zu schaffen, andernfalls sehe ich euch in vier Jahren."
Politikberater Peter Rough hat dennoch weitgehend mit der Ära Trump abgeschlossen. Der habe zwar noch nach der Wahl am 3. November Hunderte Millionen Dollar an Wahlspenden gesammelt, mit denen er auch künftige politische Aktivitäten finanzieren könnte. Aber: "Ab dem 20. Januar wird sich das Rampenlicht auf Joe Biden konzentrieren", sagte der aus Washington zugeschaltete Republikaner. "Donald Trump wird nicht mehr die Macht haben und dann wird es schwierig sein, von außen – auch wenn man lautstark ist – mitzuregieren."
Rough rechnete nicht damit, dass der Präsident der Amtseinführung seines Nachfolgers beiwohnen wird, so wie es in den USA Tradition ist. Biden hatte für diesen Fall gewarnt, dass Trump dem Ansehen seines Landes in allerletzter Minute schaden könnte. Kommunikationswissenschaftlerin und Kolumnistin Samira El Ouassil fand diese Aussage des Demokraten unklug. "Biden tut sich keinen Gefallen, wenn er das so groß macht und genau in diese Falle hineintappt", sagte sie. Schließlich habe man von Trump nichts Anderes erwarten dürfen. Der Anti-Institutionalismus, der Widerstand gegen bestehende Strukturen, sei schließlich vier Jahre lang das Hauptmerkmal von Trumps Präsidentschaft gewesen. Da sei es geradezu "nur konsequent", Wahlergebnisse nicht anzuerkennen.
Die "New York Times" hat Trump zwar gerade attestiert, kaum noch zur Arbeit zu erscheinen. Am Samstag aber war der Noch-Präsident in Georgia. Dort wird in einer Stichwahl am 5. Januar über die letzten beiden Sitze und damit über die Macht im Senat entschieden. Demokratin Angelika Kausche, geboren in Wuppertal, macht in dem Bundesstaat als Abgeordnete im Repräsentantenhaus Lokalpolitik. Auf dieser Ebene sei eine Verständigung zwischen den verfeindeten Lagern noch eher möglich. "Aber es wird immer schwieriger", beschrieb sie die tiefe Spaltung und fragte angesichts von Trumps Wahlbetrug-Lügen: "Wo sind die Republikaner, die sagen: Genug ist genug?"
Bidens Hauptaufgabe besteht laut Röttgen nun darin, das Land zu versöhnen. "Es ist Gift im System. Der Giftentzug wird wahrscheinlich länger dauern", sagte der CDU-Politiker. Das gelte auch für die Republikanische Partei. "Was Trump gemacht hat, war die feindliche Übernahme der Republikanischen Partei. Er wurde nicht mit offenen Armen empfangen. Jetzt ist die Frage: Wie stabil ist diese feindliche Übernahme?"
Feindschaft machte auch Ex-Außenminister Sigmar Gabriel als wichtige Waffe Trumps aus. Der habe den politischen Gegner zum Feind stilisiert und damit seine Anhänger radikalisiert. Nun müssten die Konservativen entscheiden, wie sie mit dem Erbe Trump umgehen. "Die Schlacht innerhalb der Republikanischen Partei wird jetzt geschlagen", sagte Gabriel, gab aber auch zu bedenken, dass sich die Konservativen lange vor Trump radikalisiert haben, Stichwort "Tea Party".
Die Streitfrage des Abends
Dank des moderaten Republikaners Rough herrschte in der Runde weitgehend Einvernehmen. Die größten Meinungsunterschiede gab es beim Urteil über das Kabinett Biden. Selbst parteiintern wurde Kritik laut, dass der gewählte Präsident zu sehr auf alte Politgrößen statt auf neue Kräfte setzt. Ein Rückfall in alte Fehler, die Trump zum Aufstieg verholfen haben? "Das ist die Rache des Establishments", urteilte jedenfalls Rough. Für Ouassil zeigt sich an der Zusammensetzung des Kabinetts ebenfalls, wie hermetisch abgeschlossen das politische System der USA bleibt: "Das halte ich für ein Problem."
"Ich halte das mit dem Establishment für eine reine Diffamierungskampagne", meinte hingegen Röttgen. "Biden ist ein Mann der politischen Mitte." Das schlage sich in seinen Personalentscheidungen nieder. Gabriel nannte es eine "schräge Vorstellung", dass Amtsträger ohne Erfahrung besser sein sollten. Biden brauche eine erfahrene Mannschaft, denn er sei "ein Präsident des Übergangs", der das Land durch eine schwierige Phase führen müsse.
Das Zitat des Abends
Röttgen und Gabriel warnten davor, die USA unter Biden in ihrer neuen alten Führungsrolle allein zu lassen. "Diese Administration wird sich wieder der Welt zuwenden", sagte Röttgen. Da müsse sich auch Deutschland fragen: "Was wollen wir an neuer Substanz in dieses Verhältnis einbringen?"
Gabriel forderte, offensiv mit Angeboten auf die USA zuzugehen, um dem Einfluss Chinas auf der Weltbühne Einhalt zu gebieten. Er brachte ein gemeinsames Konkurrenzprojekt zu Pekings Seidenstraßen-Initiative ins Spiel. "Warum bieten wir den Zentralasiaten, den Afrikanern keine Infrastrukturprojekte an und eine Finanzierung zwischen den USA und Europa?", fragte der Ex-Außenminister und unterstrich. "Es gibt eine ganz große Möglichkeit, wenn auf beiden Seiten das Verständnis da ist: Wir brauchen uns auch im 21. Jahrhundert"