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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kampagne gegen Briefwahl Legt Trump die Post mit voller Absicht lahm?
Die Zweifel am Ablauf der US-Wahl steigen: Laut seinen Gegnern nimmt Donald Trump die Post zur Geisel, um die Briefwahl zu sabotieren. Im ganzen Land macht sich Missmut breit.
In der Theorie klingt alles ganz simpel: Wegen der Coronavirus-Pandemie werden viele US-Bürger ihre Stimme bei der Präsidentschaftswahl lieber per Brief abgeben, statt ins Wahllokal zu gehen. Doch in Donald Trumps USA sieht die Praxis ganz anders aus.
Die US-Postbehörde USPS schlug bereits im Juli Alarm – ihr Chefjustiziar warnte 46 der 50 Bundesstaaten davor, dass die Post kurzfristig versendete Briefwahlzettel wohl nicht pünktlich zum Wahltag zustellen könne.
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Und nun ist um die Briefwahl und um die Finanzierung der US-Post ein heftiger politischer Kampf ausgebrochen, den Präsident Trump eifrig befeuert. Die Frage steht im Raum, ob Hunderttausende oder gar Millionen Wählerstimmen so verspätet ankommen, dass sie nicht gezählt werden würden.
Es droht ein Wahldebakel
Damit wachsen die Zweifel an einem ordnungsgemäßen Ablauf der US-Präsidentschaftswahl weiter. Trump gibt seinen Gegnern und Beobachtern reichlich Anlass zur Annahme, dass er die Krise der Post noch verschärfen will, damit die von ihm so heftig attackierte Briefwahl nicht funktioniert.
Wenn es wirklich so kommt, könnten die USA ein Wahldebakel erleben, das die Hängepartie der Wahl im Jahr 2000, als wochenlang über die Auszählung in Florida gestritten wurde, noch in den Schatten stellt.
Trump, der in den Umfragen hinter Konkurrent Joe Biden liegt, attackiert die Methode der Briefwahl seit Monaten, weil sie laut seinen Aussagen vor allem Demokraten nutze sowie dem Wahlbetrug Tür und Tor öffne, wofür es keine Belege gibt. Die US-Post ist sogar seit Jahren Ziel von Trumps Kritik. Das ist man in Washington gewöhnt, doch eine Äußerung ließ die Alarmglocken schrillen.
"Dann kann es keine allgemeine Briefwahl geben"
Dazu muss man wissen, dass der USPS seit Jahren hohe Verluste einfährt. Die Schulden belaufen sich auf mittlerweile 71,5 Milliarden US-Dollar. Die Demokraten wollen der Post im Rahmen eines Corona-Hilfspakets 25 Milliarden US-Dollar gewähren, 3,5 Milliarden davon sollen den Ablauf der Briefwahl sichern.
Trumps Ansage an die Demokraten vom Donnerstag: "Sie brauchen dieses Geld, damit die Post funktioniert, damit sie mit all den Millionen Wahlzetteln umgehen kann. Aber wenn sie es nicht bekommen, dann kann es keine allgemeine Briefwahl geben, weil sie dafür nicht ausgestattet sind."
Ob Trump mit diesen Sätzen seine wahren Beweggründe verriet oder in den Corona-Verhandlungen mit der Gegenseite nur bluffen wollte, ist unklar. Doch die politischen Gegner Trumps sehen immer mehr Anzeichen dafür, dass der Präsident die US-Post absichtlich lahmlegen will – um die Briefwahl zu sabotieren.
Die Rolle des Großspenders
So ernannte er im Mai einen Großspender seiner Partei zum neuen "Postmaster General", also zum Chef der Behörde. Louis DeJoy hatte insgesamt 1,5 Millionen Dollar an die Republikaner gespendet, den Großteil davon direkt an Trump. Kurz nach seinem Amtsantritt und einem Termin im Weißen Haus ordnete DeJoy Reformen an: Überstunden sind nun untersagt, ein Zehntel der Briefsortiermaschinen wird abmontiert.
Interessieren Sie sich für die US-Wahl? Unser Washington-Korrespondent Fabian Reinbold schreibt über seine Arbeit im Weißen Haus und seine Eindrücke aus den USA unter Donald Trump einen Newsletter. die dann einmal pro Woche direkt in Ihrem Postfach landet.
Was DeJoy als Maßnahme zum Gesundsparen der Post bezeichnet, sehen Gewerkschafter als Anschlag auf das Zustellwesen.
Tatsächlich haben die Veränderungen Auswirkungen. Seit Wochen häufen sich in allen Ecken des Landes Beschwerden über die verspätete Zustellung von Briefen. Auch gibt es derzeit Berichte aus vielen Orten im Land, nach denen neben den Sortiermaschinen auch Briefkästen abmontiert werden.
"Sabotage der Wahl"
Trumps Gegner sehen darin eine beabsichtigte Schwächung des Zustellwesens, das weitere Zweifel an der Post und an der Briefwahl führen soll. Am Samstag gab es erstmals Proteste vor der Privatwohnung von DeJoy in Washington.
Die Sprecherin des Repräsentantenhauses, die Demokratin Nancy Pelosi, sprach am Sonntag von einer "Kampagne des Präsidenten zur Sabotage der Wahl, indem er die Post manipuliert, um den Wählern das Wahlrecht zu entziehen."
Sie beorderte die Abgeordneten aus der Sommerpause zurück, um über ein Gesetz abzustimmen, das betriebliche Veränderungen bei der Post verhindern soll. Postchef DeJoy soll am kommenden Montag im Kongress aussagen. Er nahm die Aufforderung an, sich den Fragen der Abgeordneten zu stellen.
Leiden insbesondere Trump-Wähler?
Schon ohne politische Störmanöver stellt die Präsidentschaftswahl in Pandemiezeiten den USPS vor große Probleme. Viele Staaten erwarten zehn Mal so viele Briefwähler wie üblich. In New York waren es bei einer parteiinternen Vorwahl im Juni gar 17-mal so viele wie üblich – die Auszählung ließ auch wegen Zustellungsproblemen sechs Wochen auf sich warten.
Wegen der Pandemie haben bereits 18 Staaten den Zugang zur Briefwahl ausgeweitet, doch das ist mit Trumps Kampagne nun ein politischer Streitpunkt: Laut "Washington Post" sind in zwei Dutzend Staaten insgesamt mehr als 60 Gerichtsverfahren anhängig, die sich mit Fragen der Auszählung von Briefwahlstimmen beschäftigen.
Die Nebenwirkungen des Kampfs um die Post könnten hoch ausfallen. Gefährdet ist eben nicht nur die Zustellung von Briefwahlunterlagen. In den USA werden auch Gehaltsschecks oder Arznei-Rezepte per Post versendet. Gerade in den ländlichen Gebieten sind diese Dienstleistungen unerlässlich – und dort leben überproportional viele Anhänger des Präsidenten.
- Eigene Recherchen
- Washington Post: Postal Service warns 46 states their voters could be disenfranchised by delayed mail-in ballots