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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Trumps Rede zur Lage der Nation Es wird immer giftiger
"Wie professionelles Wrestling": Donald Trumps Rede zur Lage der Nation begann und endete mit einem Eklat. Der Auftritt verschärft die Kämpfe in Washington noch weiter.
Es war das Duell Donald Trump gegen Nancy Pelosi, das alles überschattete. Bevor Trump überhaupt das Wort ergriff bei seiner diesjährigen Rede zur Lage der Nation, hatte der US-Präsident schon die Hand der Sprecherin des Repräsentantenhauses, die hinter ihm saß, ausgeschlagen. Er reichte ihr seine Rede, wie es das Protokoll will, und drehte sich einfach um.
Als Trump 78 Minuten später fertig war, erhob sich Pelosi, nahm die Kopien in die Hand und zerriss diese vor den Augen der Nation. Es war das Bild des Abends in Washington, der grellste, aber bei weitem nicht der einzige Beleg dafür, wie bitter die Feindschaft zwischen Trump und den Demokraten geworden ist.
Und so bedeutete die jährliche vorgeschriebene Präsidentenrede vor einer gemeinsamen Sitzung von Senat und Repräsentantenhaus, auch wenn es eigentlich kaum noch vorstellbar ist, eine weitere Zuspitzung der Verhältnisse in Washington.
Seltsames Timing
Trump hielt sie am Vorabend der Senatssitzung, in der über seine Amtsenthebung geurteilt wird. Die Kammer wird ihn freisprechen. Das Impeachment erwähnte er mit keiner Silbe, doch das seltsame Timing dürfte die Konfrontation noch befördert haben. Immerhin ist Pelosi die Frau, die das Amtsenthebungsverfahren eröffnet hatte und Trump als dritten impeachten Präsidenten in der US-Geschichte auf alle Zeiten brandmarkte, Freispruch hin oder her.
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Schon im vergangenen Jahr war die traditionelle Rede in sehr angespannter Atmosphäre gehalten worden. Damals hatte Trump das Land in einen 35-tägigen Regierungsstillstand manövriert, weil er vom Kongress kein Geld für seine Grenzmauer bekommen hatte. Pelosi beklatschte ihn fast schon aggressiv, als Trump ein Ende der "Politik der Rache" gefordert hatte. Das Bild ging um die Welt. Jetzt ist es der Zerriss der Rede.
Johlen, Selbstlob, Angriffe
Die Konfrontation war auch sonst während der Rede nicht zu übersehen oder zu überhören. Republikaner johlten streckenweise nach jedem Satz, wenn Trump über die eigenen Leistungen sprach. Trump lobte sich nicht nur ausdauernd selbst, er griff meist im selben Atemzug die Vorgängerregierung Barack Obamas an. Nicht immer mit der Wahrheit: Dass Trump mehr Jobs geschaffen habe als Obama, ist nicht zutreffend, Trump behauptete es dennoch. Die Faktenprüfer, die US-Medien auf solche Reden ansetzen, hatten viel zu tun.
Die Demokraten wiederum schüttelten immer wieder den Kopf, sie stöhnten auf. Der Abgeordnete Tim Ryan aus Ohio verließ den Saal: Es sei, "wie professionelles Wrestling zu schauen", twitterte er. "Alles ist Fake". Ein paar linke Abgeordnete rund um die New Yorkerin Alexandria Ocasio-Cortez waren gar nicht erst erschienen. Auch das: ein Affront.
Hinter Trump saßen sein Vize Mike Pence, der als Präsident des Senats wirkte, und eben Pelosi. Es war ihr erstes Zusammentreffen seit dem Impeachment-Votum des Repräsentantenhauses im Dezember.
"Großartiger denn je"
Trump hielt sich, wie bei seinen vorherigen "State of the Union"-Reden, größtenteils an das Manuskript, an dem Mitarbeiter über einen Zeitraum mehrerer Wochen feilen. Sein Thema war die Rückschau auf seine Leistungen auf dem Feld der Wirtschaft, die er unter dem Schlagwort des "großen amerikanischen Comebacks" inszenierte. Alles drehte sich um den Wahlkampf, der begonnen hat. Trump betonte, dass er seine Versprechen gehalten habe und dass Amerika unter ihm "großartiger denn je" werde.
In einer Attacke auf seine demokratischen Herausforderer, die allesamt große Gesundheitsreformen versprechen, um Millionen Amerikanern ohne Krankenversicherung zu helfen, sagte er: "Niemals werden wir den Sozialismus die amerikanische Krankenversicherung zerstören lassen."
Trump ehrt einen Scharfmacher
Und weil Trump sich mit Inszenierungen fürs Fernsehen auskennt, gab es auch mehrere Momente, die Emotionen an den Bildschirmen wecken sollten. Trump lud den konservativen Radio-Meinungsmacher Rush Limbaugh auf die Bühne, der vor wenigen Tagen bekanntgegeben hatte, an Lungenkrebs erkrankt zu sein.
Trump ließ ihm an Ort und Stelle durch Ehefrau Melania die Freiheitsmedaille verleihen – die höchste zivile Auszeichnung der USA für einen, den viele Demokraten als Hetzer sehen, der aber mit dem US-Präsidenten golfen geht und Einfluss auf seine Wählerbasis hat. Es war ein Geschenk an seine Anhänger. Eine Mutter mit zwei Kindern überraschte Trump mit der unangekündigten Heimkehr ihres in Afghanistan stationierten Mannes, der dann in die Kammer kam.
Die Schlagzeilen über den Auftritt wird aber das Duell von Trump und Pelosi prägen. Es ist ziemlich vorhersehbar, wie es weitergehen wird: Pelosi wird für ihren Zerriss von Linken gefeiert werden, die sich nicht alles von Trump bieten lassen wollen, und auf der Gegenseite als respektlos verdammt werden. Das ist die wahre Lage der Nation – und nur ein Vorgeschmack: Das Wahljahr dürfte unerbittlich werden.
- eigene Beobachtungen