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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Plötzlich Spannungen Selenskyj: "Dann werden wir den Krieg verlieren"
Dieses Mal fällt der Empfang für Wolodymyr Selenskyj in Washington deutlich kühler aus. Die Ukraine droht ein Opfer der amerikanischen Innenpolitik zu werden.
Bastian Brauns berichtet aus New York
Von einem Abstellraum zu sprechen, würde dem altehrwürdigen Saal nicht gerecht werden. Trotzdem ist der improvisierte Auftritt von Wolodymyr Selenskyj in der alten Senatskammer des US-Kongresses an diesem Donnerstag eine Verlegenheitslösung. Normalerweise werden durch den historischen Raum mitten im Kongressgebäude nur noch Touristengruppen geschleust. Jetzt aber muss er Selenskyj als Unterschlupf dienen. Im vergangenen Jahr noch durfte er vor dem ganzen Kongress im großen Plenum sprechen, übertragen von Fernsehsendern in die ganze Welt.
Dem ukrainischen Präsidenten ist es dieses Mal, bei seinem zweiten Besuch in Washington seit dem Überfall Russlands auf sein Land, jedoch untersagt, im amerikanischen Parlament zu den Abgeordneten und Senatoren zu sprechen. Der seit diesem Jahr amtierende republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, wollte das so. Seiner Vorgängerin, der Demokratin Nancy Pelosi, war der Auftritt Selenskyjs 2022 im Kongress noch eine Herzensangelegenheit gewesen.
Der Republikaner Kevin McCarthy geht damit als einziger führender Politiker im Kongress bewusst auf Abstand zu Selenskyj. Nicht einmal ein gemeinsames Foto postet er, ganz im Gegensatz zu dem Minderheitsführer im Senat, seinem Parteikollegen Mitch McConnell. Auch der Mehrheitsführer Chuck Schumer und der demokratische Minderheitsführer im Repräsentantenhaus, Hakeem Jeffries, demonstrieren öffentlich Nähe zum ukrainischen Präsidenten. McCarthys offizielle Begründung lautet: Für einen Kongress-Auftritt Selenskyjs hätten die Abgeordneten keine Zeit.
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Droht ein folgenreicher Rückzug?
Man mag dieses Verhalten von Kevin McCarthy als nebensächliche Symbolik abtun. Aber der führende Republikaner beraubt den ukrainischen Präsidenten damit eines seiner wichtigsten Instrumente: Er entzieht ihm das Wort im Zentrum der Macht Amerikas. Es wird überdeutlich, dass die Unterstützung der USA keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Mehr als ein Jahr vor den kommenden US-Präsidentschaftswahlen droht die Ukraine zum Spielball amerikanischer Innenpolitik zu werden.
Für Selenskyj, für Joe Biden und alle Verbündeten ist das ein bitterer Vorgeschmack auf das, was schon bald auf die Ukraine, auf Europa und den Rest der Welt zukommen könnte. Die Angst vor einem folgenreichen Rückzug der Amerikaner aus dem Milliarden Dollar schweren Engagement zur Verteidigung der Ukraine gegen die Nuklearmacht Russland wird akut. Denn eine Frage stellen viele Republikaner immer lauter: Was hat Amerika davon?
Ein Spielball der Trumpisten
Zwar will die große Mehrheit der Republikaner im US-Senat dem angegriffenen Land nach wie vor beistehen. Sie sind überzeugt, dass Putins Beispiel nicht Schule machen darf, auch weil China sich sonst ermutigt fühlen könnte, ähnlich vorzugehen. In der zweiten Kammer aber, dem Repräsentantenhaus, dem McCarthy als Sprecher vorsteht, entfaltet sich der Widerstand einer wachsenden Gruppe radikaler Republikaner, die unter dem Einfluss des ehemaligen und erneut kandidierenden US-Präsidenten Donald Trump stehen.
Das Haushaltsrecht, also auch der Militäretat und die Freigabe von Hilfsgeldern für die Ukraine, liegt allerdings gerade im Repräsentantenhaus. Und mit seiner hauchdünnen Mehrheit ist McCarthy von diesem radikalen Flügel, dem sogenannten Freedom Caucus, seit seiner denkbar knappen Wahl komplett abhängig. Und Donald Trump macht Druck. Einen Tag vor Selenskyjs Ankunft in Washington veröffentlichte er auf seiner sozialen Plattform Truth folgenden Aufruf:
Er fordert darin die "Republikaner im Kongress" auf, der "Regierung des korrupten Joe Biden, die sich weigert, die Grenze zu schließen und die das halbe Land als Staatsfeinde behandelt, sämtliche Mittel zu entziehen". Und Trump geht noch weiter: Die Blockade des Haushalts sei darüber hinaus die letzte Chance, die "politischen Verfolgungen" gegen ihn und "andere Patrioten" abzuwenden.
Damit verknüpft Donald Trump sein politisches und persönliches Schicksal mit dem des gesamten ukrainischen Volkes. Denn es droht nicht nur einmal mehr ein "Government Shutdown", also ein Stillstand der amerikanischen Verwaltung samt Gehaltseinbußen ihrer Beamten. Schon in neun Tagen könnte auch ein Zahlungsausfall der USA eintreten. Dieser würde nicht nur die Kreditwürdigkeit des Landes weiter herabstufen. Die nächsten milliardenschweren Finanz- und Militärhilfen für den Überlebenskampf des ukrainischen Volkes wären davon ebenfalls betroffen. Damit macht Trump die Ukrainer und all ihre weltweiten Unterstützer, allen voran Europa, zu seiner Geisel.
Geben, was noch geht
Der US-Präsident Joe Biden und seine Regierung versuchen an diesem Tag alles, um von diesem drohenden Szenario so gut wie möglich abzulenken. Selenskyj trifft den amerikanischen Verteidigungsminister Lloyd Austin im Pentagon und danach Joe Biden im Oval Office. Fotos der beiden Präsidentenpaare werden im Garten des Weißen Hauses gemacht.
Direkt im Anschluss gibt es noch Regierungskonsultationen. Von amerikanischer Seite sind sie maximal prominent besetzt: mit Joe Biden, seinem nationalen Sicherheitsberater Jake Sullivan, seiner Vizeministerin Kamala Harris, dem Außenminister Antony Blinken, dem Verteidigungsminister Lloyd Austin und der Finanzministerin Janet Yellen. Angesprochen von Reportern auf die folgenreiche Haushaltsgeiselnahme von Trumps Republikanern im US-Kongress sagt Biden: "Es gibt keine Alternative." Der US-Präsident kann nur hoffen, dass am Ende die Vernunft siegt.
Ob der nächste Haushalt durch den Kongress geht, kann heute aber niemand mit Sicherheit sagen. Ob es ein nächstes großes Hilfspaket für die Ukraine geben wird, auch nicht. Die 50 Senatoren hatte Selenskyj bei seiner Rede förmlich bekniet. "Wenn wir die Hilfen nicht erhalten, dann werden wir den Krieg verlieren", flehte er laut dem demokratischen Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer.
Aus dem schon bewilligten aktuellen Haushalt kündigt Joe Biden dann immerhin noch das nächste Militärpaket von 325 Millionen Dollar an. Ein sichtlich müder ukrainischer Präsident Selenskyj bedankt sich und meint: "Das ist genau das, was die ukrainischen Soldaten jetzt brauchen." Die für den Abwehrkampf geforderten Kurzstrecken-Raketen des Typs ATACMS enthält das Paket aber nach wie vor nicht.
Sollten Trump und seine radikalen Parlamentarier hart bleiben, könnte am Ende nur eine Lösung bleiben: Eine Mehrheit im Repräsentantenhaus für den Haushalt müsste in einer überparteilichen Abstimmung aus demokratischen und noch willigen republikanischen Abgeordneten zustande kommen. Das aber würde das politische Ende von Kevin McCarthy bedeuten. Er wäre das nächste Opfer von Donald Trump.
- Eigene Recherchen