Autor und Trump-Feind Winslow "Trump redet tatsächlich von einer Invasion"
Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Donald Trump plant seine Rückkehr ins Weiße Haus, Bestsellerautor Don Winslow möchte dies um jeden Preis verhindern. Wie er das anstellen will und wovon sein neuer Roman handelt, erklärt Winslow im Gespräch.
Amerikas Ex-Präsident steht unter Anklage, doch unbeirrt hält Donald Trump an seinen Plänen fest: Er will erneut Staatsoberhaupt der Vereinigten Staaten werden. Aber wie realistisch sind diese Pläne? Unterschätzen dürfe man Trump nicht, warnt Don Winslow, einer der bekanntesten US-Krimiautoren. Allerdings sei der 45. US-Präsident alles andere als unschlagbar. Warum er die Republikaner für verrückt hält, wie er Trump Einhalt gebieten will und wovon sein neuester Roman "City of Dreams" handelt, erklärt Winslow im Interview.
t-online: Herr Winslow, als erster ehemaliger US-Präsident der Geschichte steht Donald Trump in einem Strafprozess unter Anklage, in einem Zivilverfahren wurde er bereits wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt. Wie gefährlich ist dieser Mann noch?
Don Winslow: Wir dürfen Trump niemals unterschätzen – so wie das in der Vergangenheit leider geschehen ist. Zugleich wollen wir nicht vergessen, dass wir Trump geschlagen haben. Er hat verloren, trotz all seiner Lügen: Erst 2020 bei den Präsidentschaftswahlen, dann 2022 bei den Zwischenwahlen.
Seine Anhänger bejubeln Trump nach wie vor, 2024 will er das Weiße Haus zurückerobern.
Dann müssen wir ihn eben noch einmal schlagen. Aber ja, der Trumpismus bleibt eine Bedrohung. Leider. Es ist bestürzend, dass ausgerechnet Trump bislang Favorit für die Spitzenkandidatur der Republikaner ist. Das ist doch schlichter Wahnsinn! Dieser Mann hat nachweislich am 6. Januar 2021 mit dem Sturm aufs Kapitol einen Putschversuch gegen die demokratische gewählte Regierung inszeniert und angeführt.
Die Konsequenzen musste Trump bis heute nicht tragen.
Es ist unfassbar. Dieser Sonderausschuss des Repräsentantenhauses zu den Ereignissen des 6. Januar 2021 war das, was wir in Amerika eine "Dog-and-Pony"-Veranstaltung nennen: eine würdelose Inszenierung, bei der sich führende Republikaner, die fast bis zum letzten Augenblick zu ihm gehalten hatten, als Retter der Demokratie aufspielen konnten. Das war einfach ekelhaft. Stattdessen wandern nun nützliche Idioten in den Knast, während die Hauptschuldigen ungeschoren davonkommen. Es ist, als ob sie eine Aufführung von Shakespeares "Macbeth" veranstalteten – allerdings ohne Macbeth.
Don Winslow, Jahrgang 1953, ist ein weltweit bekannter Schriftsteller. Vor seiner Karriere als Autor war Winslow unter anderem Privatdetektiv, mittlerweile hat er mehr als 20 internationale Bestseller veröffentlicht. Darunter mit "Tage der Toten", "Das Kartell" und "Jahre des Jägers" eine Trilogie über den Drogenkrieg in Mexiko und den USA. Der Roman "Zeit des Zorns" wurde 2012 von Oscarpreisträger Oliver Stone verfilmt. Gerade ist mit "City of Dreams" Winslows neuestes Buch als zweiter Teil seiner Trilogie "City on Fire" erschienen.
Ein Sonderermittler soll Trump überführen helfen. Verspricht dies keinen Erfolg?
Jack Smith heißt der Mann. Vom Bigfoot habe ich bislang mehr gesehen als von ihm. Smith scheint der Harry Houdini unter den Ermittlern zu sein, er bringt sich selbst zum Verschwinden. Dieser orangefarbene Orang-Utan namens Trump wurde hingegen dabei gesichtet, wie er eine der Aufständischen des Kapitolsturms umarmt hat – und ihr den Rucksack signierte, den sie an diesem Tag getragen hatte.
Sie bezeichnen Donald Trump als Affen?
Ich sage, was ich denke. Die Orang-Utans möchte ich allerdings nicht mit diesem Vergleich beleidigen.
Die Republikaner bezeichnen sich selbst als "Grand Old Party". Wie kann es sein, dass Trump sie weiter derart kontrolliert?
Die Republikaner sind völlig verrückt geworden. Diese Partei existiert eigentlich nicht mehr. Sie haben solche Angst vor Trump und seinen Unterstützern, dass sie den Verstand verloren haben. Trumps Sündenregister ist endlos, zahllose weitere Anklagen werden folgen, aber sie lassen ihn einfach weitermachen.
Wäre Trump als Romanfigur geeignet – oder ist seine Biografie einfach zu unglaubwürdig?
In einem meiner Bücher – "Jahre des Jägers" – gibt es eine Figur, die Trump ein wenig ähnlich ist. Wenig überraschend hat sie mit Korruption zu tun.
Welche Reform bräuchte es, um die Demokratie in den USA wieder zu stärken?
Das größte Problem ist das Geld. Kandidaten müssen eine Menge davon ausgeben. Erst um gewählt zu werden, dann um wiedergewählt zu werden. Einen Großteil ihrer Zeit sind Politiker also damit beschäftigt, Spenden einzusammeln. Den Spendern sind sie dann wiederum verpflichtet. Das ist auch der Grund, warum wir in den USA keine sinnvolle Waffenreform haben: Manche Politiker sind im Grunde Huren der Waffenindustrie.
Sie drücken sich recht drastisch aus.
Es mag drastisch klingen, aber es ist die Wahrheit. Die Republikanische Partei ist eine Partei der Lügen und des Verrats geworden. Besonders ihr rechter Flügel glaubt an absurdeste Verschwörungsmythen. Vor allem an den sogenannten Großen Austausch – womit angeblich die Weißen gezielt durch andere Ethnien ersetzt werden sollen. Es ist eine rassistische Angst, nichts anderes. Ja, die demografische Entwicklung wird aller Voraussicht nach dazu führen, dass in 40 oder 50 Jahren die Weißen in den USA eine Minderheit sein werden. Aber das ist mir persönlich scheißegal. Menschen sind Menschen, egal welche Hautfarbe sie haben.
Gibt es denn bei den Republikanern niemanden, der noch Vernunft walten lässt?
Die Republikaner sollten sich in Schande auflösen – so wie sie derzeit sind. Etwas Besseres haben sie nicht verdient. Aus den Vernünftigen, die dabei übrig wären, ließe sich eventuell etwas Neues schaffen. Ein wenig Hoffnung habe ich allerdings. Ich lebe in einer sehr konservativen Gegend, aber neulich rief mich ein Nachbar an – und sagte, dass er mit Trump endgültig fertig sei. Man kann meinetwegen konservativ sein, aber deswegen muss doch niemand einem faschistischen Möchtegerndiktator wie Trump hinterherlaufen. Denn mehr ist er nicht. Immerhin hat Fox News Tucker Carlson gefeuert …
… der Verschwörungsmythen zur besten Sendezeit im US-Fernsehen verbreitet hatte.
Tucker Carlson ist eines der größten Ar… Ach, ich spreche es lieber nicht aus.
Sie nehmen jedenfalls kein Blatt vor den Mund, wenn es um die politische Auseinandersetzung mit Trump und den Republikanern geht. Exakt dafür haben Sie im letzten Jahr angekündigt, Ihre Karriere als Schriftsteller zu beenden – und nur noch die bereits fertiggestellten Bände Ihrer Trilogie zu veröffentlichen. Bleiben Sie diesem Plan treu?
Ja. Meine Karriere als Schriftsteller ist beendet. Ich widme meine Zeit nun dem Kampf gegen Donald Trump.
Im Wahlkampf 2020 sind Sie Trump mit selbstproduzierten Videos im Internet entgegentreten. Mit mehr als 250 Millionen Abrufen war es ein großer Erfolg.
Zusammen mit meinem Freund und Agenten Shane Salerno mache ich so weiter. Wir werden hart kämpfen – und in einer harten Sprache sprechen. Hart. Wirklich hart.
Normalerweise gehen die Demokraten mit ihren politischen Gegnern sanfter um.
Mittlerweile ist das Niveau von Trump-Anhängern auf dem Schulhof angekommen. Da verprügeln sie Jungs, die sich nicht wehren. Was passiert aber, wenn sie an den Falschen geraten? Sie rennen zum Lehrer. Zurück zu unserer Realität: Ich werde jeden Tag bedroht. Warum machen diese Leute das? Weil sie Feiglinge sind.
Kommen wir auf Ihr neues Buch "City of Dreams" zu sprechen. Im vorhergehenden Teil der Trilogie, "City on Fire", kam es in Rhode Island zum Mafiakrieg. Inspiriert war dieses Buch von der "Ilias" des antiken Dichters Homer. Für "City of Dreams" war nun die "Aeneis" des römischen Dichters Vergil Grundlage. Woher stammt Ihre Begeisterung für die Klassiker der Antike?
Homer ist ein Urvater des westlichen Dramas, wir verdanken ihm unendlich viel. Als Teenager hatte ich wiederum Latein in der Highschool, in dieser Sprache habe ich Vergil zuerst gelesen. Selbstverständlich habe ich viel Latein vergessen, aber der Stoff hat mich angezogen. Dann habe ich aber zunächst eine andere Richtung eingeschlagen.
Sie haben sich am College mit Afrika und seiner Geschichte beschäftigt.
Ich wurde ein richtiger Experte für Süd- und Ostafrika, ja. Weil ich aber später einige Jahre lang meinen Lebensunterhalt damit verdient habe, Shakespeare-Stücke in England zu inszenieren, fing ich an, die großen Werke der westlichen Literatur zu lesen. "Ilias", "Odyssee" und so weiter. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits ein Krimiautor – und ich machte Verbindungen zwischen diesen alten Dramen und unserer Realität aus.
Also übertrugen Sie die antiken Charaktere in Form eines Krimis in unsere Zeit.
Ich wollte eine moderne Kriminalsaga schreiben, basierend auf den Figuren und Themen dieser Klassiker. An sich ist das keine besonders originelle Idee. Aber sie hat etwas für sich: Auch wenn Sie nichts über "Ilias" und "Aeneis" wissen, können Sie die Bücher trotzdem als hoffentlich spannende Kriminalliteratur lesen. Wenn Sie sich aber obendrein mit den antiken Klassikern beschäftigen, ergibt sich ein Mehrwert. Diese Figur entspricht dieser aus der "Ilias", diese jener. So ist es gedacht.
Danny Ryan, der Protagonist von "City of Dreams", entspricht Aeneas, dem Helden der "Aeneis". Er hat den Mafiakrieg in Rhode Island überlebt und macht sich auf eine "Odyssee" durch Amerika, die ihn letztlich nach Hollywood bringt. Warum dieser Ort?
Die "Aeneis" beginnt mit der Flucht Aeneas' aus dem brennenden Troja. Später wird Aeneas an die Ufer Karthagos gespült, wo er eine Höhle aufsucht. Darin befinden sich Wandmalereien, er sieht sich selbst, seine Freunde, sein früheres Leben. Also überlegte ich mir ein modernes Äquivalent dazu. Ich konnte Danny Ryan schlecht in eine Höhle schicken, um sich dort die Wände anzuschauen. Nein, Danny kommt nach Hollywood, wo der Mafiakrieg von Rhode Island gerade verfilmt wird.
Auch Dido, die legendäre Königin Karthagos, hat ihren großen Auftritt.
Da kam eins zum anderen. Der erste Teil der "Aeneis" ist im Grunde eine Liebesgeschichte. Aeneas und Dido verliebten sich. Wieder stellte ich mir also die Frage nach der modernen Entsprechung. Nichts anderes als ein Filmstar kam infrage.
Kenner der antiken Vorlage ahnen, dass dieser Liebe kein langes Glück beschieden ist.
Danny Ryans Schicksal ist ebenso ein anderes, wie es auch das des Aeneas gewesen ist. Seine Aufgabe war es, Rom zu gründen. Mir war es übrigens sehr wichtig, die Rolle der Frauen näher zu betrachten. Die weiblichen Figuren in diesen alten Werken werden irgendwann langweilig. Sie in unserer Zeit neu zu erwecken, gibt Spielraum.
Hegen Sie Sympathie für manche Ihre Romanfiguren?
Es ist nicht meine Aufgabe, moralische Urteile über meine Charaktere zu fällen. Ich schreibe keine Predigten, ich schreibe keine philosophischen Abhandlungen. Mein Ziel besteht darin, dass sich die Leser in die Charaktere hineinversetzen. Dann sollen sie sich ihr Urteil bilden. Nehmen wir Danny Ryan. Er macht ein paar wirklich schlimme Sachen, für die er gute Gründe zu haben meint. Eindimensionale Charaktere sind auch wenig spannend. "Was Menschen Übles tun, das überlebt sie", heißt es in Shakespeares "Julius Caesar". "Das Gute wird mit ihnen oft begraben."
Gilt dies auch für Art Keller, die Hauptfigur Ihrer Trilogie über den Drogenkrieg in Mexiko und den USA?
Ich habe mich ein Vierteljahrhundert mit Art Keller beschäftigt, länger als mit jedem realen Menschen in meinem Leben. Ich kann Ihnen bis heute nicht sagen, ob er gut oder schlecht ist. Das ist auch keine besonders interessante Frage. Aber klar, in den drei Büchern, beginnend mit "Die Tage der Toten", kommen auch Charaktere vor, die abgrundtief böse Dinge tun. Um das aber einmal klarzustellen: Keine Gewalttat, die ich in "Tage der Toten", "Das Kartell" und "Jahre des Jägers" geschildert habe, habe ich mir ausgedacht. Und es sind auch Dinge passiert, die so schrecklich waren, dass ich mich nicht dazu überwinden konnte, sie aufzuschreiben.
Trump spielt wohl mit dem Gedanken, US-Militär nach Mexiko zu entsenden, um die Drogenkartelle zu bekämpfen.
Dieser verdammte Idiot redet tatsächlich von einer Invasion. Das ist atemberaubender Wahnsinn. Von der Unmoral ganz zu schweigen. Alles Machogehabe, um Stimmen zu bekommen.
Räumen Sie Trump bei der kommenden Wahl eine realistische Chance ein, falls er kandidieren wird?
Ich bin nicht im Kristallkugelgeschäft. Aber ich werde es ihm so schwer wie möglich machen. Man muss sich Joe Biden und Donald Trump doch nur einmal im Vergleich anschauen. Joe Biden ist dieses Jahr mitten im Krieg per Zug nach Kiew zu Wolodymyr Selenskyj gefahren. 2018 hat Donald Trump den Besuch eines US-Gefallenenfriedhofs in Frankreich abgesagt. Weil es geregnet hat. Er wollte nicht nass werden!
Herr Winslow, vielen Dank für das Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Don Winslow via Videokonferenz