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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Donald Trump vor Gericht Diese Anklage könnte einen Orkan auslösen
Die Anklage ist ein schwerer Schlag für Donald Trump. Doch für seine wahrscheinlich letzte politische Schlacht ist der juristische Ärger eine echte Wahlkampfhilfe.
Bastian Brauns berichtet aus New York
Um Donald Trump scheren sich die alten Damen von Chinatown kein bisschen. Im Columbus Park, gleich hinter dem turmhohen Gerichtsgebäude von Manhattan, sitzen sie in der Nachmittagssonne, spielen Karten und unterhalten sich unentwegt.
Eigentlich alles wie immer. Wären da nicht die Absperrgitter, Polizisten, Reporter und verirrten Menschen mit roten Trump-Baseballmützen, die immer wieder durch den Park stiefeln. Das politische Getümmel auf der anderen Seite des Gerichtsgebäudes schallt nur ab und an in Form von Schreien herüber. Von all dem aber scheinen die Menschen im Park keine Notiz zu nehmen.
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Es gibt in den USA noch ein Leben ohne Trump, auch wenn der Medienbetrieb einen das in diesen Tagen fast vergessen lässt. Während die von TV-Sendern gemieteten Helikopter über dem Süden von Manhattan kreisen, werden hier weiter frische Fische verkauft, Haare geschnitten und Teesorten verkostet.
Inmitten des Parks, der vorwiegend von der chinesischen Community New Yorks genutzt wird, steht eine Statue des spätkaiserzeitlichen Revolutionärs Sun Yat-sen. Darunter ist eine Inschrift auf Chinesisch und Englisch zu lesen: "Alle unter dem Himmel sind gleich".
Für den politischen Pokerspieler Donald Trump ist dieser Spruch an diesem Tag in New York City so passend wie wohl noch nie in seinem Leben. Auch er steht nicht über dem Gesetz. Sein Spiel soll er mit gezinkten Karten ausgetragen haben.
Trumps Grenzerfahrung vor Gericht
Trump, dessen Leben durchzogen ist von Ermittlungen, Verdächtigungen und Amtsenthebungsverfahren, wird erstmals in seinem Leben angeklagt, Verbrechen begangen zu haben. Für die einen sind es politisierte, juristische Spitzfindigkeiten. Für die anderen sind es Belege dafür, dass das System Trump endlich an seine Grenzen zu kommen scheint. Für den spätberufenen Politiker ist es zumindest juristisch gesehen das erste ernsthafte Stoppschild seines Lebens.
Politisch könnte dieses Gerichtsverfahren ihn jedoch zu Erfolgen führen, die bis vor Kurzem fast nicht mehr zu erreichen schienen.
Fotos aus dem Gerichtssaal zeigen Trump mit versteinerter Miene. Wie lange er für diesen nichts- und zugleich vielsagenden Gesichtsausdruck geübt haben mag, wissen nur er und seine Berater. Die Anklage bezichtigt den Ex-Präsidenten der planmäßigen Fälschung von Geschäftsunterlagen, begangen zum eigenen politischen Vorteil. Um damals im Wahlkampf 2016 nicht mit Schmutzeleien aus der eigenen Vergangenheit behelligt zu werden.
Ein Pornostar und ein Playmate sollten mit sechsstelligen Beträgen zum Schweigen gebracht werden. Als Wahlkampfausgaben wurde das natürlich nicht deklariert, sonst wäre das Ganze ja auch aufgeflogen. Während Trump vor seinem Richter mit ruhiger Stimme auf "unschuldig" plädiert haben soll, legte sein Ankläger, Staatsanwalt Alvin Bragg, seine Gründe umso vehementer dar.
"Nach dem Gesetz des Bundesstaates New York ist es ein Verbrechen, Geschäftsunterlagen mit der Absicht zu fälschen, um andere Verbrechen zu verschleiern", sagt er auf einer Pressekonferenz. Fälschungen in 34 Fällen wirft er Trump vor. "In New York sind dies Verbrechen, egal wer man ist", so Bragg.
Anklage ist Anlass für Zusammenhalt
In den Augen der Trump-Anhänger sind diese Vorwürfe, vorgebracht von einem Staatsanwalt mit einem Parteibuch der Demokraten, zwangsläufig politisch motiviert. Ob das wirklich stimmt, ist politisch gesehen vollkommen unerheblich. Die Anklage und das jetzt eröffnete Verfahren gegen Trump wirken schon jetzt wie die größte Wahlkampfspende, die sich sein Team nur wünschen konnte. Die Republikaner rücken zusammen.
Vermuten lässt sich das an den Millionenbeträgen, die Trump seit den ersten Gerüchten über seine bevorstehende Verhaftung eingesammelt haben will. Belegen lässt sich, dass sein Wahlkampfteam jede E-Mail-Adresse und jede Telefonnummer, die sie bekommen können, um Gelder anbetteln, um gegen die Verhaftung des Ex-Präsidenten gegen eine angeblich "linksradikalisierte" Justiz zu Felde zu ziehen. Geld ist buchstäblich die wichtigste Währung für Wahlkämpfe in den USA.
Hinzu kommen repräsentative Umfragen, die Donald Trump zumindest bei den eigenen Anhängern jetzt einen sagenhaften Vorsprung vor seinem möglichen Herausforderer Ron DeSantis aus Florida bescheren. Zu verdanken hat Trump diesen Höhenflug nicht nur dem Verfahren, sondern auch den ranghöchsten Republikanern, die ihm von Beginn an zur Seite sprangen. Der Sprecher des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, will sogar eine Untersuchung gegen den New Yorker Staatsanwalt Alvin Bragg anstrengen.
Regenerieren an Trumps Rückzugsort
Nach seinem 36-Stunden-Trip von Mar-a-Lago in Florida nach Manhattan und zurück wirkt selbst der robuste Donald Trump am späten Abend etwas abgekämpft. Trotz Luxusreise im Privatjet und Übernachtung im eigenen Wolkenkratzer zehrt dieses Verfahren an seinen Kräften. Leise und mit zelebrierter Bitterkeit in der Stimme spricht Donald Trump in Mar-a-Lago wie zu einem ihm treu ergebenen Hofstaat. "Wir müssen unser Land retten" sind seine ersten Worte. Nie hätte er gedacht, dass so etwas in Amerika passieren könne.
Er spricht von gezielter Wahlbeeinflussung durch die Demokraten, um seine Wiederwahl zu verhindern. Dieses Mal würden sie nicht die Auszählung manipulieren, sondern die Justiz missbrauchen. Der Richter sei ein Trump-Hasser, dessen Frau ebenso. Und auch deren Tochter sei Beweis für die Verdorbenheit des Systems, denn die habe im Wahlkampfteam für Joe Biden und Kamala Harris mitgearbeitet. In der gespaltenen amerikanischen Gesellschaft ist das der wirksame Trump-Mix aus Lügen, Halbwahrheiten und Wahrheiten, die ein System des unbedingten Glaubens an den eigenen Sieg und die eigene Unschuld erschaffen.
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Trumps spielt ein letztes Mal auf Zeit
Die juristische Anklage in New York ist für Donald Trump der Anpfiff für sein politisches Endspiel. Das Bizarre daran: Sollte er vor Gericht verlieren, muss ihm das nicht einmal schaden. Sollte er sogar gewinnen, könnte das einen politischen Orkan auslösen, der ihn am Ende wieder ins Weiße Haus fegen könnte.
Abwarten und Hinauszögern ist seit jeher die Taktik von Donald Trump gewesen. Die Zeit spielt auch dieses Mal wieder für ihn. Fest steht, dass er sich nicht geschlagen geben wird. Die anderen Verfahren im Bundesstaat Georgia wegen Wahlbeeinflussung und in Washington zum 6. Januar und den gestohlenen Geheimdokumenten dauern an. Und im Schweigegeld-Fall wurde der nächste Verhandlungstag in New York erst für den 4. Dezember 2023 angesetzt. Die Präsidentschaftswahlen sind dann nur noch ein knappes Jahr entfernt.
Im Columbus-Park von Manhattan werden die alten Damen dann wohl noch immer Karten spielen und sich nicht einmal ein bisschen wundern. Sie scheinen zu wissen, dass irgendwer auch noch dort sitzen wird, wenn Donald Trump einmal nicht mehr sein wird. Unter dem Himmel sind alle gleich.
- Eigene Beobachtungen vor Ort