t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikUkraine

Ist die Ukraine nur der Anfang? "Putin droht dem Westen mit einem Atomkrieg"


Interview
Unsere Interview-Regel

Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.

Ukraine nur der Anfang?
"Putin will die Nato zerstören"

InterviewVon Marc von Lüpke

Aktualisiert am 25.02.2022Lesedauer: 4 Min.
Player wird geladen
Verstärkung der Truppen: So reagieren die Nato und die Bundeswehr auf den Ukraine-Krieg. (Quelle: reuters)
News folgen

Russland bekriegt die Ukraine, der Westen bleibt weitgehend untätig. Das ist ein Fehler, warnt Experte Ralf Fücks. Denn Wladimir Putins Pläne betreffen auch die Nato.

t-online: Herr Fücks, Russland unter Wladimir Putin führt Krieg gegen die Ukraine, der Westen schaut bis auf einige Sanktionen zu. Wie kann das sein?

Ralf Fücks: Ich bin ziemlich erschüttert. Der russische Überfall auf die Ukraine ist eine politische und humanitäre Katastrophe. Gleichzeitig droht Putin dem Westen unverblümt mit einem Atomkrieg, wenn wir ihm in die Quere kommen sollten. Das müsste doch einen Aufschrei in Deutschland auslösen. Es passiert aber nichts.

Passiert ist auch zuvor wenig, Putin tritt nicht erst seit dem Angriff auf die Ukraine aggressiv auf: 2014 hat er die Krim annektiert, zuvor in Georgien militärisch interveniert. Hätte sich der Westen nicht besser rüsten müssen gegen Russland?

Wir haben uns in einer Scheinwelt ohne Gegner und Konflikte eingerichtet. Die Abschreckungsfähigkeit der Bundeswehr wurde dramatisch geschwächt. Das gilt auch für die Nato. Putin bestimmt nun, wie weit er geht, weil er über militärische Dominanz verfügt. Dass nun der Inspekteur des Heeres und die frühere Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer unisono erklären, dass die Bundeswehr "blank" dastehe, ist ein Offenbarungseid.


Waren die Bundesregierungen der letzten zwei Jahrzehnte naiv, was Russland angeht? Angefangen von Gerhard Schröder, der Putin bis heute sehr, sehr nahesteht, über Angela Merkel bis hin zum jetzigen Amtsinhaber Olaf Scholz?

Die vorigen Bundesregierungen haben sicherheitspolitisch fahrlässig gehandelt. Wir haben nicht nur die Bundeswehr ausgetrocknet, sondern alle Warnzeichen aus Moskau ignoriert. Putins Regime hat sich in ein Monstrum verwandelt, das sich an keinerlei Regeln mehr hält und seine Ziele mit Gewalt durchsetzt. Und wir haben dieses Monstrum auch noch mit gigantischen Summen für den Import von russischem Öl und Gas gefüttert. Wir wollten nicht wahrhaben, dass Putin auf totalen Konfrontationskurs gegangen ist.

Was will er denn? Die Ukraine oder noch viel mehr? Finnland und Polen befanden sich einst unter der Herrschaft der Zaren, der sowjetische Machtbereich umfasste bis 1989 auch Ostdeutschland.

Putin ist ein Revanchist. Er will das Rad der Geschichte zurückdrehen und das einstige Imperium so weit wie möglich restaurieren. Die Ukraine spielt dabei eine zentrale Rolle. Er spricht ihr die Existenzberechtigung ab und behauptet, sie gehöre zum russischen Kernland.

Ralf Fücks, Jahrgang 1951, ist Gründer des Thinktanks "Zentrum Liberale Moderne" in Berlin, zuvor war er unter anderem Senator der Hansestadt Bremen. Anschließend war er 21 Jahre lang Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, der politischen Stiftung der Grünen. Fücks ist Experte für Außen- und Sicherheitspolitik.

Nun sind die baltischen Staaten, auf die Putin sicher auch schielt, Mitglieder der Nato. Wie weit wird Russlands Präsident gehen?

Putin will die Nato zerstören, um Russland die Dominanz über Europa zu sichern. Wenn wir ihm nicht entschlossen entgegentreten, könnte er die baltischen Länder als Angriffspunkt nutzen, um die Nato als Papiertiger vorzuführen.

Sollte Deutschland aus dieser Bedrohungslage heraus nun nicht dringend aufrüsten – und die Bundeswehr in die Lage versetzen, uns und unsere Verbündeten zu schützen?

Keine Frage – wir müssen wieder mehr in militärische Sicherheit investieren. Deutschland gilt in den Augen vieler Verbündeter bereits als sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer. Jetzt hat sich die Konfliktlage in Europa dramatisch zugespitzt. Wir haben es mit einem Gegner zu tun, der bereit ist, militärische Gewalt einzusetzen, um seine politischen Ziele zu erreichen. Wer militärisch erpressbar ist, ist auch politisch erpressbar.

Sind die USA denn noch ein verlässlicher Partner? Joe Biden verstärkt die US-Truppen in Europa, Donald Trump hätte das vielleicht nicht getan in einer vergleichbaren Situation.

Deutschland und Europa müssen sicherheitspolitisch selbstständiger werden und dürfen sich nicht nur auf die USA verlassen. Wir wissen nicht mehr, wie stabil die amerikanische Demokratie ist. Im Augenblick wären wir ohne die USA aber völlig schutzlos.

Nun hat der Westen den angegriffenen Ukrainern viele warme Worte geschickt, mit Taten waren die Deutschen und andere Europäer eher sparsam. Hätten nicht wenigstens die Sanktionen gegen Russland härter ausfallen können?

Die Sanktionen hätten härter ausfallen müssen, um Putin zu signalisieren: bis hierher und nicht weiter. In zwei zentralen Punkten ist die EU zurückgewichen: Zum einen wurde Russland nicht aus dem internationalen Zahlungssystem Swift ausgeschlossen, zum anderen fließen nach wie vor Öl und Gas aus Russland Richtung Westen und finanzieren Putins Krieg. Ein Öl- und Gasembargo würde die ökonomische Basis des Regimes ernsthaft treffen. Und vor allem verdeutlichen, dass die Europäer zur Verteidigung ihrer Werte und ihrer Sicherheit auch etwas zu opfern bereit sind.

Das ist ein gutes Stichwort: Ist Deutschland zu einem sicherheitspolitischen Engagement nur bereit, wenn die Kosten nicht zu hoch werden? Oder provokant gefragt: Sind wir zu bequem geworden, persönliche Nachteile in Kauf zu nehmen bei der Verteidigung unserer Werte und unserer Sicherheit?

Wir haben immer noch nicht verstanden, dass wir uns in einer neuen internationalen Konfliktsituation befinden. Es geht jetzt um die Verteidigung der liberalen Demokratie und einer regelbasierten internationalen Ordnung. Jeder sollte verstehen: Mit diesen beiden Kategorien ist auch unser Wohlstand verknüpft. Wenn Putin nun die europäische Sicherheitsordnung über den Haufen wirft und die europäische Landkarte mit Gewalt verändert, wird das Folgen auf jeder Ebene haben.

Loading...
Symbolbild für eingebettete Inhalte

Embed

Russlands Angriff auf die Ukraine ist der erste zwischenstaatliche Krieg in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Hätten wir nicht etwas aus der Vorgeschichte dieses globalen Konflikts lernen können? Immer wieder versuchten demokratische Nationen Adolf Hitler zu beschwichtigen. Die Folgen sind bekannt.

Eine zentrale Lehre der Dreißigerjahre des letzten Jahrhunderts besteht darin, dass Beschwichtigungspolitik nicht funktioniert. Im Gegenteil, durch sie werden aggressive Mächte noch ermutigt. Da stimme ich Ihnen zu.

Also ist die Ukraine möglicherweise nur eine Art Test, wie weit Putin gehen kann, ohne dass der Westen reagiert?

Putin testet uns und beobachtet unsere Reaktion genau. Er hält uns für schwach, verachtet die liberale Demokratie geradezu. Die Ukraine ist jetzt der zentrale Schauplatz der großen Auseinandersetzung zwischen Demokratie und Autoritarismus geworden.

Dann sollte der Westen nun endlich machtvoll reagieren?

Wenn wir jetzt nicht Stärke zeigen, wird noch weit mehr ins Rutschen kommen. Dann leben wir wieder in einem Europa, in dem das Recht des Stärkeren gilt.

Herr Fücks, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Telefonisches Gespräch mit Ralf Fücks
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website