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Gewalt im Nahe Osten: Wenn aus Nachbarn Feinde werden – Berichte


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Unruhen in Israel
"Freunde versuchen nun, uns zu töten"

Aus Tel Aviv berichtet Mareike Enghusen

Aktualisiert am 13.05.2021Lesedauer: 4 Min.
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Nahost-Konflikt: Israel setzt die Offensive im Gaza-Streifen fort. (Quelle: t-online)

Nachbarn, die lange friedlich nebeneinander gelebt haben, werden im Nahostkonflikt zurzeit zu Feinden. Ob Jude oder Araber: Viele Menschen trauen sich nicht mehr aus dem Haus. Sie fürchten um ihr Leben.

Die Szenen, die sich in diesen Tagen in der arabisch-jüdischen Kleinstadt Lod im Zentrum Israels abspielen, erinnern an Bürgerkrieg: Vermummte zielen mit Brandsätzen und Molotow-Cocktails auf schwer bewaffnete Polizisten, Autos gehen in Flammen auf, Randalierer werfen Steine auf Autos und durch die Fensterscheiben von Geschäften. Anfang der Woche brannten sogar Synagogen. Von „Kristallnacht“ sprach der jüdische Bürgermeister der Stadt.

Der militärische Konflikt zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas im Gazastreifen steht derzeit im Fokus der internationalen Presse. Es sind die schwersten Auseinandersetzungen seit Jahren, sogar das Szenario einer israelischen Bodenoffensive steht derzeit im Raum. Doch zugleich wird Israel von innen erschüttert: Arabische und arabisch-jüdische Städte erleben seit Tagen schwere Ausschreitungen und Gewalt zwischen arabischen und jüdischen Bürgern. Auf beiden Seiten wurden Menschen verletzt, manche schwer; die israelische Polizei nahm Hunderte fest.

In mehreren Städten gehen jüdische und arabische Israelis aufeinander los

Ursprünglich entzündeten sich die arabischen Proteste an den Spannungen in Jerusalem: Dort liefern sich seit Wochen Palästinenser heftige Straßenkämpfe mit israelischen Polizisten, die zwischenzeitlich sogar in die Al-Aksa-Moschee eindrangen, die drittheiligste Städte des Islams. Die Beamten rechtfertigen die Einsätze mit der Notwendigkeit, Randalierer zu stoppen, doch viele Muslime sahen in dem gewaltsamen Eindringen der Beamten in die Moschee eine unverzeihliche Provokation.

Zum zweiten Brennpunkt entwickelte sich ein Rechtsstreit um Grundstücke in dem Ost-Jerusalemer Viertel Scheich Jarrah, infolgedessen mehreren palästinensischen Familien die Zwangsräumung drohen könnte.

Viele der arabischen Bürger Israels, die ein Fünftel der Bevölkerung ausmachen, sympathisieren mit den Palästinensern oder definieren sich als solche. Empört über das israelische Vorgehen in Jerusalem begannen Tausende von ihnen, auf die Straße zu gehen. Seit einigen Tagen geraten ihre Proteste außer Kontrolle.

Am schlimmsten ist die Lage in Lod, einer Stadt mit 77.000 Einwohnern zwischen Jerusalem und Tel Aviv. Rund Zweidrittel der Einwohner sind jüdisch, die übrigen arabisch. Am Montag wurde dort bei Unruhen ein arabischer Mann erschossen, offenbar von einem jüdischen Israeli. Während manche berichten, letzterer hätte aus Notwehr geschossen, sagen andere, der Araber sei unbewaffnet gewesen.

In jedem Fall entfachte der Vorfall eine Welle schwerer Gewalt, die die Polizei trotz massiver personeller Verstärkung bisher nicht in den Griff bekommt. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der Lod diese Woche zweimal besuchte, rief am Dienstag dort den Notstand aus und verhängte eine abendliche Ausgangssperre. Dennoch kommt die Stadt nicht zur Ruhe.

Jüdischer Israeli: Meinem Freund haben sie ein Messer in den Rücken gerammt

"Es ist völlig wahnsinnig", berichtet der 34-jährige jüdische Israeli Yoel Frankenburg am Telefon, der seit zwölf Jahren in Lod lebt. "Nie habe ich etwas auch nur annähernd Vergleichbares erlebt." Gerade heute Morgen habe ein arabischer Mann einem Freund von ihm, der auf dem Weg zur Synagoge gewesen und mit seinen Gebetsriemen als Jude zu erkennen gewesen war, ein Messer in den Rücken gerammt. Auch israelische Medien berichteten von dem Angriff. "So etwas passiert hier gerade alle paar Minuten", fügt Frankenburg hinzu. Seine Frau und seine fünf Kinder habe er aus Furcht um ihre Sicherheit zu seinen Schwiegereltern geschickt.

"Ich will daran glauben, dass die Gewalttätigen eine Minderheit sind", sagt er. "Aber es scheint eine nicht besonders kleine Minderheit zu sein. Und das Schlimmste ist: Es gibt keine wichtigen Stimmen in der arabischen Gemeinde, die sich gegen die Gewalt aussprechen."

Auf beiden Seiten gibt es Verletzte: In der nordisraelischen Stadt Akko warfen arabische Randalierer Steine auf einen jüdischen Mann und verletzten ihn schwer am Kopf. In einem Tel Aviver Vorort wiederum griffen jüdische Jugendliche Mittwochnacht arabische Passanten an und fügten mindestens einem von ihnen schwere Wunden zu. In Ramle, einer ebenfalls gemischten Stadt, warfen jüdische Randalierer Steine auf arabische Autos. Auch dort herrscht Ausnahmezustand.

Araberin in Ramle: "Selbst in den Supermarkt gehe ich nicht"

"Ich habe Angst, aus dem Haus zu gehen", erzählt Vivian Rabieh am Telefon, eine 54-jährige Araberin, die in Ramle eine Begegnungsstätte für Juden und Araber leitet. "Ich wohne in einem gemischten Viertel, und ich habe Angst, dass man mich als Araberin identifiziert. Selbst in den Supermarkt gehe ich nicht."

Vor zwei Tagen, erzählt sie, habe ihr jüdischer Nachbar auf dem Balkon mit lauter Stimme ein Telefongespräch geführt, das sie zufällig mithörte. "Er sagte: ‚Araber verstehen nur Gewalt, keine andere Sprache. Man muss sie umbringen.’" Einen Tag später habe sie ihr Auto mit eingeschlagenen Rückfenstern vorgefunden. Zur Polizei zu gehen, war für sie allerdings keine Option: Wie viele arabische Bürger hat sie kein Vertrauen in die staatlichen Autoritäten.

"Es wird nicht so sein wie vorher"

"Es gibt tiefliegende Gründe für die Gewalt in den gemischten Städten", sagt der arabische Politikwissenschaftler Thabet Abu Rass, Direktor der Abraham Initiatives, einer Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Lod, die sich für Gleichberechtigung zwischen Juden und Arabern in Israel einsetzt.

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Arabische Bürger, fährt er fort, würden in den gemischten Städten marginalisiert und diskriminiert; die Polizei gehe oft unnötig brutal gegen sie vor. Dennoch gebe es keine Rechtfertigung für die Gewalt. "Die Situation ist sehr gefährlich."

Viele bezweifeln, dass sich die Beziehungen zwischen den beiden Gruppen wieder kitten lassen, auch nachdem die Gewalt abgeflaut ist. "Es wird nicht so sein wie vorher", glaubt Yoel Frankenburg aus Lod. "Menschen, mit denen wir vorher in Freundschaft zusammengelebt haben, versuchen nun, uns zu töten."

Auch Vivian Rabieh aus Ramle, die arabische und jüdische Freunde hat, sorgt sich um die Zukunft. "Das Zusammenleben zwischen Arabern und Juden ist wirklich in Gefahr", sagt sie. "Ich weiß nicht, wie wir danach wieder miteinander ins Gespräch kommen sollen."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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