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Ukraine-Krieg: Angst vor russischer Invasion — Deutschlands Mitschuld


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Eskalation im Ukraine-Konflikt
Die Angst vor der russischen Invasion


Aktualisiert am 07.04.2021Lesedauer: 6 Min.
"Wir hören täglich Panzer rollen": Das sagen ukrainische Soldaten über die sich zuspitzende Lage an der Front. (Quelle: Glomex)
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Wladimir Putin spielt mit den Muskeln. Russische Soldaten und Panzer werden an die Grenze zur Ukraine verlegt. Der Krieg droht erneut zu eskalieren – auch Deutschland trägt daran eine Mitschuld.

Lange Panzerkolonnen fahren auf russischen Straßen in der Nähe der ukrainischen Grenze, Militärgerät wird auf Züge geladen, hohe Rauchsäulen steigen nach dem Beschuss durch Artillerie über Ortschaften in der Ostukraine auf. Die Bilder und Videos, die momentan über Twitter und Facebook geteilt werden, wecken Erinnerungen an einen Krieg, der in den letzten Jahren in Vergessenheit geriet.

Fest steht: Die Situation im Ukraine-Konflikt ist weiterhin wie ein großes Pulverfass und durch die massive Truppenverlegung an die Grenze gibt es immer mehr Funken.

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Doch die russischen Truppenbewegungen als Indiz für einen Angriff auf die Ukraine zu sehen, ist ein Trugschluss. Viel davon ist Propaganda, denn der russische Präsident Wladimir Putin braucht aufgrund zahlreicher innenpolitischer Probleme ein Ablenkungsmanöver. Manöver an der Grenze zur Ukraine sind nicht ungewöhnlich und eher als Machtdemonstration zu werten. Der wirtschaftliche Schaden für Russland wäre immens.

Kleiner Putin-Kreis entscheidet über Krieg und Frieden

Der Krieg zwischen prorussischen Kräften im Donbass und den ukrainischen Truppen brach nach dem Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch vor sieben Jahren aus. Mehr als 13.000 Menschen starben nach UN-Schätzungen in dem blutigen Konflikt.

"Es ist schwer zu sagen, wie groß die Kriegsgefahr in der Ostukraine ist", erklärt Osteuropa-Experte Andreas Umland t-online. "Über einen russischen Angriff entscheidet ein kleiner Kreis im Kreml, die engsten Vertrauten von Wladimir Putin." Es sei ähnlich wie vor dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan im Dezember 1979. Auch damals entschied nur ein kleiner Kreis um Staatsführer Leonid Breschnew.

Andreas Umland lebt in Kiew. Der Politikwissenschaftler arbeitet für das "Ukrainische Institut für die Zukunft". Außerdem ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am schwedischen Institut für internationale Angelegenheiten in Stockholm.

Internationale Beobachter melden nun die Verlegung von Tausenden russischen Soldaten an die russisch-ukrainische Grenze. Die "New York Times" spricht von 4.000, plus schwerem militärischen Gerät. Aber die genaue Anzahl ist unklar. Trotzdem gibt es zahlreiche Gründe, die dabei gegen einen russischen Angriff auf die Ukraine sprechen. Ein Überblick:

  • Durch die Corona-Pandemie steckt Russland in einer Wirtschaftskrise. Der russische Rubel wurde wegen der Krise auf den Energiemärkten 2020 stark abgewertet. Im vergangen Jahr verlor die Landeswährung 25 Prozent an Wert gegenüber dem Euro.
  • Eine russische Invasion würde zu weiteren internationalen Sanktionen gegen Russland führen, die die Wirtschaftskrise weiter verschärfen würden. Es war eigentlich Putins Ziel, die Sanktionen loszuwerden.
  • Für Russland wäre ein Nato- oder EU-Betritt der Ukraine eine existenzielle Bedrohung. Dafür gibt es momentan keine Anzeichen.
  • Ein weiterer Kriegsschauplatz ist im Angesicht der Pandemie nicht im russischen Interesse. In Syrien scheint Moskau mit der gegenwärtigen Situation zufrieden zu sein, auch in Bergkarabach intervenierte die russische Armee nicht, ließ Armenien – trotz Sicherheitsversprechen – den Krieg gegen Aserbaidschan verlieren.
  • Russische Manöver an der ukrainisch-russischen Grenze finden regelmäßig statt.

Dazu erklärte der Kreml: Russland habe niemanden bedroht und bedrohe niemanden. Das sagte Sprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. Medienberichte zitieren den Donezker Separatistenchef Denis Puschilin: "Der Donbass will keinen Krieg." Der Konflikt müsse diplomatisch gelöst werden.

Truppenbewegungen als Propaganda-Theater

Die russischen Truppenbewegungen zur ukrainischen Grenze sind deshalb wahrscheinlich vor allem eines: Muskelspiele von Wladimir Putin. "Es kann sein, dass die Truppenbewegungen nur Theater sind, um seine Verhandlungsposition zu stärken", meint Umland. "Niemand kann voraussagen, ob die Truppen an der ukrainisch-russischen Grenze auch eingesetzt werden."

Die Demonstration militärischer Stärke soll vor allem den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj einschüchtern, der wiederum von den Nationalisten im Land unter Druck gesetzt wird, Stärke gegenüber Russland zu demonstrieren. Dieser hatte zuletzt drei TV-Sender verboten, die russische Propaganda gegen die Ukraine verbreiteten. Die Sender gehörten dem Oligarchen Wiktor Medwedtschuk, einem Vertrauen Putins. Die Konten von Medwedtschuk wurden eingefroren. Eine Kampfansage, auch an Putin.

Seither hat sich die russische TV-Propaganda gegen die Ukraine verschärft. Es wird von toten Babys im Dombass berichtet oder über einen Angriffskrieg, den die Ukraine zur Rückeroberung der Krim planen soll. "Das ist völlig absurd. Die Ukraine wird sich nie so weit aufrüsten können, dass sie die russische Armee schlagen kann", erklärt Umland. "Das weiß auch die ukrainische Regierung."

Ein teures Ablenkungsmanöver?

Dennoch spitzen sich die Gefechte an der Grenze zu, mit jedem Beschuss durch Artillerie wächst die Gefahr einer Eskalation, auch wenn sie für Russland irrational erscheint. Es gibt allerdings auch Gründe, die für einen Angriff sprechen:

  • "Für eine Invasion Russlands in der Ostukraine spricht, dass Putin momentan mit sehr großen innenpolitischen Problemen zu kämpfen hat", sagt Osteuropa-Experte Umland. "Ein Krieg in der Ukraine wäre für ihn ein Ablenkungsmanöver."
  • Die Regimestabilität in Russland wiegt für Putin schwerer als die Gesundung der russischen Wirtschaft. Deshalb könnte er einen Kriegseinsatz in der Ukraine in Kauf nehmen.
  • Die Ukraine führt gemeinsame Manöver mit der Nato durch, für den Kreml ist das eine Provokation.
  • Durch Nord Stream 1 und 2 ist Russland beim Gastransit nicht mehr auf seinen kleineren Nachbarn angewiesen. Das macht die Ukraine angreifbarer.

Letztlich schreckt Militärexperten auf, dass russische Truppen aus Sibirien in den Osten verlegt werden. Das gibt der russischen Militäraktion noch mehr Aufmerksamkeit, mehr Videos und Bilder finden sich in den sozialen Netzwerken. Wenn die Truppenbewegungen nur ein inszeniertes Muskelspiel Putins waren, dann ist der Aufwand dafür immens.

Veränderung durch Biden im Weißen Haus

Das Risiko einer russischen Invasion ist dennoch groß. Viele Menschen in Russland glauben zwar der Propaganda, wonach die Ausbreitung der Nato eine Gefahr für ihr Land ist. Aber die wirtschaftlichen Folgen wären unabsehbar, Russland würde international weiter isoliert und sanktioniert werden. Das passt eigentlich nicht in Putins Pläne: Der Präsident wollte die Beziehung zu Europa verbessern – auch durch russische Hilfen in der Corona-Pandemie. Die EU ist als Handelspartner für Russland wichtig.

Auf der anderen Seite haben sich auch die Beziehungen zwischen den USA und Russland durch den Einzug von US-Präsident Joe Biden ins Weiße Haus geändert. Sein Vorgänger Donald Trump mochte Putin auf einer persönlichen Ebene und hatte kein Interesse an der Ukraine. Doch auch in seiner Amtszeit sprachen sich US-Senat und -Kongress für eine härtere Linie gegenüber Moskau aus. "Unter Biden sind sich Präsident und beide Parteien über ein hartes Vorgehen gegenüber Russland einig", sagt Umland. "Eine derartige Einigkeit ist in den USA selten."

Trotzdem ist es unwahrscheinlich, dass die USA Truppen in die Ukraine schicken. Biden spricht zwar von einer "unerschütterlichen Unterstützung", aber ein Sicherheitsversprechen an die Ukraine ist das nicht. Dafür gebe es in der US-Bevölkerung auch kaum Rückhalt, obwohl eine Mehrheit im Land einen harten Kurs gegenüber Putin befürwortet, sind die Amerikaner kriegsmüde.

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"Deutschland hat ein Image-Problem"

Während die USA in der Russland-Politik zunehmend einig auftreten, ist die EU gespalten. Vor allem wegen der deutschen Politik, vor allem wegen Nord Stream 2. "Nord Stream 2 ist eine Gefahr, die Osteuropa destabilisiert", meint Politikwissenschaftler Umland. "Deutschland hält wahrscheinlich nur noch so verbissen daran fest, weil sonst Regressionsforderungen in Milliardenhöhe an beteiligte Unternehmen fällig wären."

In der Ukraine gab es auch deshalb nach dem Zerfall der Sowjetunion 20 Jahre Frieden, weil Russland abhängig von dem Gastransit durch das Nachbarland nach Europa war. Das ist nun vorbei und die EU hat sich durch die Abhängigkeit vom russischen Gas selbst die Hände gebunden.

Bemerkenswert daran ist, dass Deutschland kaum einen wirtschaftlichen Nutzen von dem Bau der Pipeline hat. Das Urteil der Energieexperten am renommierten deutschen Wirtschaftsforschungsinstitut DIW fällt hart aus: Nord Stream 2 sei "energiewirtschaftlich unnötig, umweltpolitisch schädlich und betriebswirtschaftlich unrentabel", so Klaudia Kemfert, Co-Autorin einer Studie aus dem Jahr 2018. Selbst russische Analysten bezweifelten, dass sich das Projekt für den russischen Gazprom-Konzern rechnet.

Deshalb steht die deutsche Politik international in der Kritik, auch in der Ukraine. "Deutschland hat in der Ukraine durch Nord Stream 2 ein großes Imageproblem", so Umland. Er sei außerdem davon überzeugt: "Ohne Nord Stream 1 hätte es den Ukraine-Konflikt nicht gegeben." Die Auflösung dieser russischen Abhängigkeit vom Gastransit in der Ukraine habe die Kriegsgefahr erhöht.

Der Krieg und die erneut drohende Eskalation in der Ukraine zeigt vor allem, dass die europäische Russland-Strategie "Wandel durch Handel" nicht funktioniert, wenn man sich in eine einseitige Rohstoffabhängigkeit begibt. Die rollenden Panzer in der Ostukraine und im Westen Russlands zeigen auch, wie stumpf das Sanktionsschwert der EU gegenüber Moskau geworden ist.

Verwendete Quellen
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